Frage an Sylvia Kotting-Uhl von Rüdiger W. bezüglich Umwelt
Sehr verehrte Frau Kotting-Uhl
Wir haben unzählige Ministerien und Institutionen, die sich mit dem Naturschutz unserer Heimat beschäftigen. Naturschutzgesetze des Bundes und der Länder formulieren hervorragend und umfassend die Ziele des Umwelt- und Naturschutzes. Umwelt- und Landwirtschaftsministerien beschreiben mit Tausenden Beiträgen und Studien diese Ziele.
Wenn Sie die Naturschutzgesetze analysieren, sind das alles Kannbestimmungen: Ausnahmebestimmungen hebeln die gesamten Naturgesetze aus. Appelle an Politiker, allmächtige Bürgermeister und Stadt-/Gemeinderäte gegen Umwelt- und Naturzerstörungen in unserem Land vorzugehen, verhallen ungehört.
Gehen Sie mit Herz und Verstand und mit offenen Augen durch unsere Heimat: Sie werden die unsäglichen Folgen weniger Profiteure allerorten antreffen. Zuvorderst sind die Agrarchemie und ihre Lobbyisten aus Politik und Gesellschaft zu nennen: 0,7% (560.000) unserer Bevölkerung bewirtschaften 49,3% (17.000.000 ha) der Gesamtfläche Deutschlands. Bei diesen Bewirtschaftungen werden gigantische Naturzerstörungen geduldet und von Steuergeldern gefördert. Das sprengt alles Vorstellungsvermögen! Und der Trend geht weiter.
Bevor wir Regenwälder, China, Schwellenländer und andere Synonyme für gigantische Umweltzerstörungen (zu Recht) anprangern, sollten wir als eines der reichsten Länder der Erde endlich Schluss machen mit den hemmungslosen Naturzerstörungen unserer Heimat!
Auszug aus der BMU-Pressemitteilung Nr. 087/07: 72 (!) Prozent aller 690 verschiedenen Lebensraumtypen in Deutschland gelten als gefährdet oder sogar als akut von der Vernichtung bedroht. „Der Verlust an Lebensräumen ist in vielen Fällen nicht oder nur mit großem Aufwand rückgängig zu machen. Sterben Tier- und Pflanzenarten aus, ist dies unwiderruflich“, mahnte Gabriel.
Wie kann es sein, dass der naturvernichtende Flächenverbrauch und die noch radikalere Umweltvernichtung durch die Intensivlandwirtschaft so ungebremst weitergehen?
Mit freundlichen Grüßen
Rüdiger Weis
Sehr geehrter Herr Weis,
Sie sprechen ein tatsächlich gravierendes Problem an und Ihrer Analyse und Kritik kann ich nur beipflichten. Wir haben ein in Politik und Wirtschaft leider immer noch weit verbreitetes falsches Verständnis von Umwelt- und Naturschutz. Anstatt zu erkennen, dass der Erhalt von Natur, Umwelt und inzwischen auch KIima die Grundlage für alles - auch wirtschaftliche Prosperität - ist, herrscht immer noch - gerade in Wirtschaftskreisen - die Ansicht vor, Natur- und Klimaschutz sei etwas für finanzielle Schönwetterzeiten. Etwas, das man sich leisten können müsse. Jüngstes Beispiel ist die Einlassung von Wirtschaftsminister Glos, angesichts der internationalen Finanzkrise und ihren Folgen für die Wirtschaft müssten die klimaschutzbedingten Anforderungen an die Wirtschaft nun erstmal zurückgestellt werden.
Unsere Naturschutzgesetze, denen sie nicht viel zutrauen, waren (unter rot-grün) tatsächlich schon mal besser. Die Föderalismusreform 1 und die Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes haben hier einiges geschliffen. Aussicht auf Besserung steht leider nicht ins Haus. Im Gegenteil: die Formulierung zur Eingriffsregel, dem zentralen Instrument des Naturschutzes, im Entwurf des UGB (Umweltgesetzbuch) weckt schlimmste Befürchtungen. Soll sie doch zukünftig im Einvernehmen mit dem Landwirtschafts- und dem Verkehrsminister geregelt werden. Ahnen Sie, was dieses Zugeständnis an die Union, die dem Entwurf des UGB sonst nicht zugestimmt hätte, für den Naturschutz bedeuten wird? Er wird nur noch dort stattfinden, wo er niemanden "stört".
Von unseren Zielen, den Flächenverbrauch auf 30 Hektar pro Tag zu reduzieren (immer noch ein Wahnsinn, wenn wir aus der ersten Wuppertal-Studie wissen, dass wir ihn bis 2010 stoppen müssten) und den Artenverlust bis 2010 gravierend zu begrenzen - die EU hatte sich sogar "stop the loss" zum Ziel gesetzt - sind wir Lichtjahre entfernt. Bei der COP9 in Bonn in diesem Frühjahr habe ich mich geweigert, die Erklärung der internationalen Parlamentarier zu unterstützen, die das Artenschutzziel wieder bekräftigte, ohne entsprechende Instrumente und Sanktionen zu benennen. Das ist diese Art von Politik - "KannBestimmungen" - die Sie zu Recht kritisieren. Die Intensivlandwirtschaft ist eines der größten Probleme für Flora und Fauna (im Übrigen auch viel problematischer fürs Klima als bisher diskutiert). Mit weniger als 5 Prozent Öko-Landbau sind wir hier kein Vorzeigeland für den Umweltschutz. Wachstum gab es unter Ministerin Künast. Seit der Minister Seehofer heißt, wird stattdessen der Gentechnik der Weg geebnet - im kommenden Haushaltsjahr wieder mit 30 Millionen für weitere Forschung.
Lieber Herr Weis, es tut mir Leid, dass ich Ihrer die politischen Versäumnisse beklagenden mail nichts Optimistisches entgegensetzen kann. Unter schwarz-rot hat Klima- und Naturschutz zwar auch Einzug in die Reden der Kanzlerin gehalten, aber das Reden und das Tun klaffen bei dieser Regierung leider weit auseinander. Wir brauchen 2009 einen Regierungswechsel, um bei Naturschutz, bei Ökolandbau, bei Ressourcenschonung und Kreislaufwirtschaft u.v.a. weiter zu kommen. Und wir brauchen viel Druck und Bewegung aus der Gesellschaft. Schicken Sie solche mails bitte auch an die Kanzlerin, an Umwelt-, Verkehrs- Landwirtschafts- und Wirtschaftsminister.
Mit freundlichen Grüßen
Sylvia Kotting-Uhl