Frage an Sylvia Kotting-Uhl von Gerhard R. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Kotting-Uhl,
seit Juli 2008 gehören auch Kampfeinsätze zu den Aufgaben der Bundeswehr in Afghanistan. Damit steigt nicht nur das Risiko für deutsche Soldaten. Auch die Terrorgefahr für die Bundesrepublik nimmt zu (CDU-MdB Börnsen am 26.7.08 in den Zeitungen des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlags).
Welche Atomkraftwerke in Deutschland sind nur unzureichend gegen gezielte Flugzeugabstürze gesichert?
Gibt es Akws, die wegen der dünnen Betonkuppel auch dem Absturz kleinerer Maschinen nicht standhalten können?
Das Akw Biblis A ist nur 1 Flugminute vom Frankfurter Flughafen entfernt, so daß für denkbare Gegenmaßnahmen die Zeit nicht ausreicht.
Welche Auswirkungen hätte hier die Katastrophe für die Menschen und für die Umgebung?
In welcher Entfernung würde der radioaktive Fallout die Evakuierung von Städten und Landstrichen erforderlich machen?
Wie groß wäre die Fläche, in der die Bevölkerung umgesiedelt werden müßte?
Wären nicht nur Städte im Rhein-Main-Raum sondern auch Berlin, Paris und Prag bedroht?
Welche gesundheitliche Folgen wären nach dem heutigen Stand der Medizin unvermeidbar?
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Reth
Sehr geehrter Herr Reth,
die Gefahr eines terroristischen Angriffs auf eine deutsches Atomkraftwerk ist nach Ansicht der Bundesregierung nicht auszuschließen. Meine Fraktion hat zu diesem Gefahrenkomplex die Bundesregierung bereits 2006 befragt, die Antworten sind veröffentlicht und können hier eingesehen werden: http://dip21.bundestag.btg/dip21/btd/16/012/1601249.pdf
Zu Ihren Fragen:
Gegen einen Angriff wie den auf das World Trade Center ist kein deutsches Atomkraftwerk geschützt. Die Vernebelungs- und Abschussstrategie ist seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass ein als Waffe umfunktioniertes Flugzeug mit unbeteiligten Passagieren an Bord nicht abgeschossen werden darf, gescheitert. Die AKW-Betreiber sind seitdem ein neues Schutzkonzept schuldig geblieben. Die 5 ältesten Meiler wie würden sogar dem Aufprall eines Sportflugzeuges nicht standhalten.
Über die Auswirkungen auf das Leben und die Gesundheit der unmittelbar Betroffenen, die sich im Falle einer Katastrophe in einem AKW in direkter Nachbarschaft befinden, gehen die Einschätzungen auseinander. Während die Atom-Lobby mit "geringen Wahrscheinlichkeiten" argumentiert, hat das Öko-Institut Darmstadt in einer Studie die Folgen eines möglichen Absturzszenarios untersucht. Dort ist ausgeführt, dass die Anlage in Biblis A neben der Zerstörung von Reaktorgebäude und Sicherheitsbehälter durch den Flugzeugeinschlag selbst weitere Schäden durch Trümmer und Treibstoffbrände erleiden würde. Dies umso mehr, als bei einem Terrorangriff zu erwarten ist, dass gezielt besonders anfällige Stellen anvisiert werden. Verbleibende Sicherheitssysteme können den Unfallablauf dann nicht mehr kontrollieren, es kann zu einer Kernschmelze kommen. Die Folge ist eine rasche Freisetzung großer Mengen Radioaktivität in die Umgebung.
Für Menschen, die sich nur wenige Kilometer entfernt von Biblis A befinden, bedeutet das den unmittelbaren Tod durch akute Strahlenschäden. Wie stark Gebiete in der weiteren Umgebung betroffen sind, hängt sehr von den Wetterbedingungen ab. Von Evakuierungs- und Umsiedlungsmaßnahmen können Flächen in der Größenordnung von 10.000 km2 oder - bei wechselnder Windrichtung “ noch mehr betroffen sein. Je nach Windverhältnissen können noch Gebiete in 600 km Entfernung von der radioaktiven Wolke erreicht werden, das kann auch eine Evakuierung von Städten wie Berlin, Hamburg, München, Paris oder Prag nötig machen. Ob eine Rückkehr möglich ist, hängt stark davon ab, ob es zu lokalen Niederschlägen gekommen ist, es kann sich ein "Flickenteppich" von Gebieten ergeben, die dauerhaft nicht mehr bewohnbar sind. Ob Evakuierungen im entsprechenden Ausmaß überhaupt durchführbar wären, weiß niemand, denn solche Pläne gibt es nicht. In der Notfall-Informationsbroschüre für das AKW Biblis wird ausgeführt: "Die Katastrophenschutzbehörde hat Pläne für eine angeordnete Evakuierung vorbereitet, die bis zu einer Entfernung von circa 10 km vom Standort des Kernkraftwerkes gelten." Wir können sicher davon ausgehen, dass Evakuierungen in dicht besiedelten Gebieten wie in Westdeutschland wenn überhaupt, dann nicht in der notwendigen zeitlichen Kürze durchgeführt werden könnten.
Die gesundheitlichen Folgen und Spätschäden für die betroffene Bevölkerung sehen wir am Beispiel Tschernobyl. Es wird von interessierter Seite immer wieder versucht die Zahl der an den Folgen des GAU inzwischen gestorbenen Menschen kleinzurechnen, indem man alle heraus rechnet die z.B. schon eine Vorerkrankung hatten, durch Umzug und Leid psychisch geschwächt oder das Vergessen im Alkohol gesucht haben. Durch optimale Behandlung der vor allem auftretenden Krebserkrankungen, psychische und finanzielle Hilfe hätte das Ausmaß der Folgen von Tschernobyl sicher abgeschwächt werden können. Durch gute Prophylaxe kann man auch verhindern, dass nachgeborene Kinder - wie vor allem in Weißrussland immer noch - in großer Zahl an Immunschwäche und Schilddrüsenkrebs leiden und oft nicht erwachsen werden. Das macht die Vorstellung eines solchen Umfalls aber nicht wirkllich erträglicher.
Für mich ist die Haltung der Bundesregierung nicht stimmig. Sie ist unter der von Ihnen beschriebenen veränderten Sicherheitslage ständig bestrebt, der Möglichkeit, dass jede und jeder ein potentieller Terrorist sein könnte, duch immer gründlichere Überwachung seiner Bürgerinnen und Bürger entgegenzutreten. Unseren Antrag zur Erhöhung der Sicherheit die möglichen Terrorziele mit dem größten Gefährdungspotential auszuschließen, indem die ältesten Atomkraftwerke abgeschaltet werden, haben die Regierungsfraktionen abgelehnt (unter den SPD-Abgeordneten etliche immerhin mit sichtlichen Bauchschmerzen).
Mit freundlichen Grüßen
Sylvia Kotting-Uhl