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Sylvia Kotting-Uhl
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Frage von Harald W. •

Frage an Sylvia Kotting-Uhl von Harald W. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrteFrau Kotting-Uhl,

Sie haben den zitierten Thesen und Zielen von Ludwig Erhard mehr oder weniger zugestimmt. Ich wüsste nur gerne von Ihnen gerne, was Sie meinen: Bei welchem Euro-Betrag pro Kopf oder pro Haushalt könnte man heute von "breitgeschichter Massenkaufkraft" im Sinne von Ludwig Erhard sprechen?

Mit anderen Worten: Wie viel Geld müsste im Mittelmaß in Deutschland einer erwachsenen Person oder einem Haushalt (augenblicklich oder im Monatsdurchschnitt) zur Verfügung stehen, damit angesichts der in Deutschland vorhandenen Geldmenge M1 das Ziel "breitgeschichter Massenkaufkraft" erreicht wäre?

Mit freundlichen Grüßen
dr. wo

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Wozniewski,

Ihren ersten Fragenkomplex zu Ludwig Ehrhards These habe ich beantwortet. Ich habe auch Ihre breit gestreute mail gelesen in der sie mich und die anderen Politiker die Ihnen geantwortet(!) haben beschimpfen, weil "natürlich" keiner "von denen" Ihnen eine Zahl auf die Frage nach dem bei welchem Euro erreichten Ziel der Massenkaufkraft genannt hat. Warum das keiner getan hat, interpretieren Sie auf freundliche Weise gleich mit. Dafür erstmal meinen Dank. Genauso stelle ich mir den Dialog zwischen Bürgern und ihren Abgeordneten vor.

Ich habe nicht deshalb keine Zahl für das erreichte Ziel von Massenkaufkraft genannt, weil ich noch nie in der Situation gewesen wäre mit wenig Geld auskommen zu müssen, sondern weil das Ansinnen in diesem Zusammenhang absurd ist. Auch Ludwig Erhard hat das nicht getan. Ihm ging es nicht um einen Umverteilungsstaat, sondern um ein Wirtschaftskonzept - ein ordoliberales im Übrigen. Wenn Erhard sagte "Das erfolgversprechendste Mittel zur Erreichung und Sicherung jeden Wohlstands ist der Wettbewerb", dann hieß das im Umkehrschluss, dass "Wohlstand für alle" - Massenkaufkraft - der beste Treibstoff des Kapitalismus ist. Ihm ging es mit der Sozialen Marktwirtschaft um ein funktionierendes Kapitalismus-Konzept - basierend auf der Freiburger Schule, nicht auf den tatsächlichen Inhalten einer Sozialen Marktwirtschaft wie sie ihr "Erfinder" Müller-Armack definierte. Staatliche Interventionen oder ein direktes soziales Engagement des Staates lehnte Ludwig Erhard ab.

Deshalb stimme ich - wie Sie richtig anmerken - den Thesen und Zielen Erhards auch nur "mehr oder weniger" zu. Wenn Sie mit Ihren Fragestellungen nicht in erster Linie das Funktionieren des Kapitalismus im Kopf haben, sondern - wie ich mal hoffe - die Leitplanken des Kapitalismus und die Gerechtigkeitsfrage, dann ist mir die Verkürzung auf Kaufkraft zu wenig. Die "in Deutschland vorhandenen Geldmenge M1" - die über 680 Mrd. Euro in Form von Bargeld und von Guthaben auf Girokonten - die Sie in Verbindung mit dem Ziel breitgeschichteter Massenkaufkraft bringen, sind höchst ungleich und ungerecht verteilt, das ist ein Problem. Weitere Probleme sind nicht existenzsichernde Löhne und Gehälter und die (nach der EU-Armutsdefinition) über 11 Millionen arme Bundesbürger in unserem Land, das habe ich aber schon in meiner ersten Antwort geschrieben. All das gilt es zu bearbeiten, eine zentrale Gerechtigkeitsfrage ist außerdem die 3-Klassen-System-orientierte Bildungsstruktur die gesellschaftliche Verlierer vorbestimmt. Das ist alles ein bisschen zu komplex als dass es mit einer Umverteilung der 680 Mrd. Euro zu lösen wäre - auch wenn ein Massenkaufrausch die Wirtschaft vorübergehend sehr befriedigen würde.

Mit freundlichen Grüßen
Sylvia Kotting-Uhl