Frage an Sylvia Kotting-Uhl von Christian S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Kotting-Uhl,
der 9. November darf sich im Jahre 2007 wieder einmal in die Reihe deutscher Unglücksdaten einreihen: Die Vorratsdatenspeicherung wurde mit den Stimmen der Großen Koalition verabschiedet. Die Protokollierung sämtlicher Telekommunikation ohne Verdacht stellt eine gravierende Abkehr von bisherigen Prinzipien dar, stellt die Bevölkerung unter Generalverdacht und bürdet den Aufwand für die Totalüberwachung den Kommunikationsanbietern auf. Da ich bisher davon ausgegangen war, dass die Position der Grünen in dieser Frage beinahe eindeutig ist, bin ich erstaunt für meinen eigenen Wahlkreis nur ein "nicht beteiligt" lesen zu können. Ich möchte meine Enttäuschung darüber nicht verbergen und fühle mich in dieser Frage politisch nicht repräsentiert. Ich glaube, dass es vielen ähnlich geht, die nicht bereit sind Privatsphäre gegen eine Illusion von Sicherheit einzutauschen. Darf ich fragen, ob Sie meine Einschätzung über die Wichtigkeit der Abstimmung nicht teilen, und was Sie davon abgehalten hat sich hier deutlicher zu positionieren?
Mit freundlichen Grüßen,
Christian Staudt
Sehr geehrter Herr Staudt,
kommt Ihnen gar nicht der Gedanke, dass Abgeordnete wie alle anderen Menschen auch mal krank werden können? Ich kann Ihnen versichern, dass mich kein anderer Grund von einer namentlichen Abstimmung (noch dazu einer von uns selbst beantragten!) abhalten könnte, schon gar nicht - was Sie ja für möglich halten - Desinteresse!
Die Position von uns Grünen in dieser Frage ist nicht nur, wie Sie schreiben, "beinahe eindeutig", sondern völlig eindeutig. Leider blieb die Koalition unbeirrbar und ignorant gegenüber dem hier angetasteten Grundrecht. Sie argumentiert mit der Verpflichtung zur Umsetzung der EU-Richtlinie, trotz der bereits anhängigen Nichtigkeitsklage beim Europäischen Gerichtshof und trotz der schon jetzt vorbereiteten Beschwerden vor unserem Bundesverfassungsgericht.
Wer telefoniert, eine SMS verschickt, E-Mails versendet oder einfach nur im Internet surft, hinterlässt Spuren. Diese werden künftig gespeichert. Für Ermittlungen in einem Strafverfahren sollen die Strafverfolgungsbehörden dann auf Daten von 80 Millionen Bürgerinnen und Bürgern zugreifen können. Unsinnige Kosten für unsinnige Zugriffsmöglichkeiten. Aus Bürgerrechts- und Grundrechtssicht ist das überhaupt nicht hinnehmbar. Jede obligatorische Vorratsdatenspeicherung und ihre spätere Auswertung durch Sicherheitsbehörden ist ein Eingriff in das Grundrecht auf vertrauliche Kommunikation. Die Anhäufung von Datenbergen ist keine angemessene Antwort eines Rechtsstaates auf welche reelle oder vermutete Bedrohungslage auch immer.
Die Eile mit der die Regierung die umstrittene Richtlinie jetzt umsetzt entspricht allerdings passgenau den unwürdigen Vorschlägen die in regelmäßigen Abständen aus dem Hause Schäuble zur Terrorismusbekämpfung auf den Tisch kommen. Lieber den Bürger der Totalüberwachung aussetzen als besonders gefährdete potentielle Terror-Ziele auszuschalten - wie z.B. die alten AKW die nicht gegen Flugzeugabsturz ausgelegt sind.
Glauben Sie mir, Herr Staudt, ich hätte liebend gerne mit meinem Namen zu diesem Unsinn und Angriff auf unsere freiheitliche Grundordnung Nein gesagt - genauso wie zu dem Virus der mich hartnäckig lahmgelegt hat.
Mit freundlichen Grüßen
Sylvia Kotting-Uhl