Frage an Sylvia Kotting-Uhl von Matthias W. bezüglich Gesundheit
Guten Tag Frau Kotting-Uhl,
was werden Sie tun, nachdem bereits im August 2013 bekannt wurde, daß nun sogar BIO-Lebensmittel mit Gentechnik kontaminiert sind?
Selbst die bisher hochwertigen und teils sehr hochpreisigen Demeter-Produkte waren betroffen, wie z.B. hier bekannt wurde:
http://www.feelgreen.de/gentechnik-im-biogemuese/id_64817512/index
Ist es nicht schlimm genug, daß Glyphosat(Roundup) im Urin unserer "Nutztiere" gefunden wurde?
Welche Schritte wurden bisher eingeleitet, um die Wiederholung solcher Skandale auszuschließen?
Als Vollzeiterwerbstätiger, der viel um die Ohren hat, hat sich mir die Tragweite dieser Sauerei erst gestern zur Gänze erschlossen.
Was ist mit dem Vorsorgeprinzip? (GVO-Verbot bevor zweifelsfrei feststeht, daß so etwas nie wieder passieren kann)
Danke für eine Stellungnahme binnen einer Woche, damit ich weiß ob ich noch bedenkenlos deutsche/europäische Lebensmittel essen kann!
Hoffnungsvollen Gruß
M. Wagner
Sehr geehrter Herr Wagner,
vielen Dank für die Frage zu einem wirklich Besorgnis erregenden Thema.
Wir Grüne lehnen den Einsatz der Agrogentechnik ab. Wir setzen uns sowohl für den konsequenten Schutz der gentechnikfreien Landwirtschaft in Europa als auch für industrieunabhängige und alle Bereiche umfassende Risikobewertungsverfahren für gentechnisch veränderte Organismen ein. Das bisherige Risikobewertungsverfahren wird aus unserer Sicht dem Vorsorgeprinzip als zentralem Rechtsgrundsatz der EU nicht gerecht.
Die größten Potenziale bei der Pflanzenzüchtung liegen aus unserer Sicht in der klassischen Züchtung, die heute mit modernen Methoden, insbesondere zur Genomuntersuchung und -analyse, beschleunigt werden kann. Ich halte es für absolut sinnlos, weitere Gelder für die teure und erfolglose Gentechnik auf dem Acker zu verschwenden.
Im Ökologischen Landbau darf Gentechnik grundsätzlich nicht eingesetzt werden. Die von Ihnen erwähnten Medienberichte beziehen sich auf Gemüse (v.a. Brokkoli und Chicoree) aus Saatgut, das mit Hilfe der Zellfusionstechnik erzeugt wurde.
Die Zellfusionstechnik wurde bei dem betroffenen Saatgut dazu genutzt, um in der Hybridzucht die Eigenschaft der Männlichen Sterilität auf Pflanzen derselben Pflanzenfamilie zu übertragen, die nicht über diese Eigenschaft verfügen (Cytoplasmatische Männliche Sterilität, CMS). Die männlich sterilen Pflanzen lassen sich dann problemlos mit anderen Sorten kreuzen und liefern höhere Erträge.
Wir Grüne sehen die Zellfusionstechnologie kritisch, auch wenn daraus entstehende Sorten keine gentechnisch veränderten (transgenen) Organismen im klassischen Sinn sind. Während bei der herkömmlichen Gentechnik die DNA im Zellkern manipuliert wird, werden bei der Zellfusion DNA-Bruchstücke aus Zellorganellen wie z. B. den Mitochondrien übertragen (den „Kraftwerken“ der Zelle).
Daher wird auch bei der Zellfusion letztlich die Integrität der Zelle verletzt und Erbgut mit einer ziemlich brachialen technischen Methode (mittels Elektrizität oder Chemikalien) übertragen. Bei einer Zellfusion besteht damit die Gefahr, dass die übergeordnete Genregulation (also das geordnete Zusammenwirken bzw. die Steuerung) zwischen dem Genom im Zellkern (in den Chromosomen) und den Erbinformationen in den Mitochondrien bzw. Plastiden gestört wird. Damit könnten ähnliche Risiken wie mit der Gentechnik verbunden sein.
Leider wurden CMS-Hybride, die aus Zellfusion entstehen, über eine Ausnahmeregelung der maßgeblichen EU-Freisetzungsrichtlinie 2001/18 nicht zu den gentechnisch veränderten Organismen (GVO) gezählt und sind somit von allen entsprechenden Regulierungen und Kennzeichnungspflichten ausgenommen.
Wir Grüne und die Öko-Anbauverbände wollen dagegen ein klares Einsatzverbot für die CMS-Technologie aus Zellfusion für den gesamten ökologischen Landbau, d.h. auch Produkte, die zwar der EU-Ökoverordnung entsprechen, aber keinen zusätzlichen Verbandsregeln unterliegen. Außerdem fordern wir eine generelle Kennzeichnungspflicht sowohl für Produkte, die auf Basis von CMS-Saatgut mittels Zellfusion erzeugt wurden, als auch eine direkte Kennzeichnung für solches Saatgut. Betriebe der Anbauverbände Bioland, Demeter und Naturland (mit generell strengeren Regeln als bei EU-Ökosiegel) dürfen schon heute keine CMS-Hybride einsetzen, daher wurde dem betroffenen Demeterprodukt aus dem ZDF-Bericht auch der Status als Verbandsware entzogen und die Betriebskontrollen in Bezug auf die Saatgutherkunft verstärkt. Wir empfehlen Ihnen daher, beim Einkauf auf (möglichst regionale) Öko-Verbandsware zu achten. Unabhängig davon bleiben Öko-Produkte schon allein wegen der (durch staatliche Kontrollen bestätigten) sehr geringen Pestizidbelastung weiterhin für Verbraucher die erste Wahl.
Bislang gibt es aber keine generelle Kennzeichnungspflicht für CMS-Saatgut, was das Risiko erhöht, dass auch Verbandsbetriebe an solches Saatgut geraten, ohne es zu wollen. Bislang behelfen sich die Anbauverbände daher mit entsprechenden Sortenlisten (ohne CMS-Hybride), die sie ihren Mitgliedern zur Verfügung stellen. Dies bietet aber keine absolute Sicherheit, weil diese Listen ständig auf dem aktuellen Stand gehalten werden müssen. Leider sind CMS-Hybride bei einigen Gemüsesorten wie Kohlarten oder Chicorée inzwischen sehr weit verbreitet und dominieren den Saatgutmarkt in diesem Bereich. Die derzeit noch kleinen Öko-Zuchtbetriebe müssen gezielt durch Forschung, Förderung und erleichterte Sortenzulassungsbedingungen unterstützt werden, damit ein ausreichendes Angebot an Saatgut ohne CMS-Hybride geschaffen wird.
Wir setzen uns auch für entsprechende Änderungen im Entwurf der EU-Kommission für eine neue EU-Saatgutverordnung ein, um die biologische Vielfalt an Sorten (alte und regionale Sorten) zu erhalten und die wichtige Arbeit der kleineren Züchter sowie der ökologischen Züchtung zu unterstützen.
Wir sind dankbar für jede Unterstützung in unserem Kampf für gesunde und natürliche Nahrungsmittel.
Mit freundlichen Grüßen
Sylvia Kotting-Uhl