Frage an Sylvia Kotting-Uhl von Markus E. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Kotting-Uhl,
wissen Sie eventuell weshalb man im SBG die Sanktionen auf 3 Monate festgelegt hat
und weshalb man die " einjahres Regel " bei den Sanktionen verankert hat ?
Hat man sich da etwa am Strafgesetzbuch in Richtung Vorstrafen orientiert ?
Auf welcher Grundlage wurden die Sanktionsprozentzahlen ausgerechnet ?
Es ist nachvollziehbar das Hartz 4 Empfänger sanktioniert werden sollen wenn sie bestimmte Regeln nicht einhalten. Aber das nur wenn die Sanktionen nicht völlig übertrieben sind. Das man z.B. um 10 Prozent für 3 Monate gekürzt wird,, wenn man einen persönlichen Termin aus welchem Grund auch immer nicht wahrnimmt,, ist meiner Meinung viel zu hoch angesetzt. Woher kann der Gesetzgeber z.B. wissen, daß der Arbeitgeber jemanden aus einem nicht selbstverschuldeten Grund nach 4 Wochen wieder entlassen könnte ? Auch an diesem Beispiel sind die 3 Monate viel zu überzogen.
Ich habe es erst wieder vor wenigen Tagen erlebt wie man seitens des Jobcenters zu Stellen regelrecht gezwungen wird, obwohl man diese auf freiwilliger Basis nicht antreten würde. Die Jobcenter Mitarbeiter lassen es einem deutlich spüren wer hier das sagen hat. Ich habe mal etwas von " Vermittlung auf Augenhöhe gelesen " . Noch ist das ein Wunschtraum. Hartz 4 soll fordern und fördern. Von fördern ist meiner Erfahrung nach nicht zu reden.
Ich hoffe sehr das Sie und Ihre Partei 2013 endlich etwas im Hartz 4 System verändern können. Selbst wenn nur das Sanktionssystem erheblich zugunsten der Betroffenen verbessert wird, wäre schon einiges erreicht. Dann würde sich auch automatisch in der Zeitarbeitsbranche etwas positiv verändern, weil die dann einfach weniger freiwilliges Person zu Verfügung haben.
Mit freundlichen Grüßen
M. Einzinger
Sehr geehrter Herr Einzinger,
danke für Ihre Mail zum Thema Sanktionen im SGB II (,Hartz 4´) vom 21.01.2013. Ich kann sehr gut verstehen, dass Sie die Sanktionen als zu hart empfinden. Ich persönlich finde sie nicht nur in Einzelfällen zu hart, sondern grundsätzlich unangemessen. Das Existenzminimum - und um nicht mehr handelt es sich beim ALG2 - kann man nach meiner Einschätzung nicht kürzen ohne den Grundsatz der unantastbaren Menschenwürde anzugreifen. Wir Grünen haben die Thematik Sanktionen auf unserem letzten Bundesparteitag im November kontrovers behandelt. Ich war eine der RednerInnen für die völlige Abschaffung der Sanktionen, die Delegierten entschieden mit knapper Mehrheit dagegen und für ein Sanktionsmoratorium von einigen Jahren. Meine Prognose ist, dass man danach nicht wieder zu den früheren Sanktionen zurückkehrt.
Nun zu Ihren konkreten Fragen:
1. Die Sanktionsregeln, die mit Einführung des SGB II (,Hartz 4´) im Jahr 2005 im Gesetz verankert wurden, haben sich an der damaligen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu Sanktionen in der damaligen Sozialhilfe orientiert. Eine Sanktion in Höhe von 30% über drei Monate wurde von der damaligen Rechtsprechung zur früheren Sozialhilfe als vereinbar mit dem Sozialstaatsprinzip erachtet und als rechtens anerkannt. In dieser Form wurden sie im Jahr 2005 dementsprechend Teil des SGB II. Die Sanktionsregeln wurden im Jahr 2006 von der damaligen großen Koalition verschärft. Ab 2007 wurde es möglich, Sanktionen von bis zu 100% auszusprechen, wenn innerhalb eines Jahres wiederholt Regelverstöße erfolgten.
2. Eine Orientierung am Strafgesetzbuch gab es nicht. Entscheidend war vielmehr die Rechtsprechung der Gerichte, die festlegte, in welchem Umfang Sanktionen mit dem Sozialstaatsgebot vereinbar sind.
3. Auch hier war -- zumindest bis zur Neuregelung im Jahr 2006 -- die Rechtsprechung der ausschlagegebende Maßstab. Die ab 2007 geltende Möglichkeit einer Sanktion in Höhe von 100% der Regelleistung, inklusive der Leistungen für Unterkunft, sollten dagegen mutmaßlich vor allem abschreckenden Charakter haben.
Im Falle einer Regierungsbeteiligung ist unsere Leitlinie: Arbeitssuchende und ihre Angehörigen brauchen Unterstützung statt Druck. Nicht Sanktionen, bürokratische Zumutung und Gängelung, sondern faire Spielregeln, Motivation und Bestärkung der Arbeitssuchenden müssen die Arbeit in den Jobcentern bestimmen. Grundlage dafür muss ein qualifiziertes, individuelles und umfassendes Fallmanagement sein. Sowohl Scheinangebote zur Überprüfung der Arbeitsbereitschaft als auch Sanktionsandrohungen und --automatismen haben in diesem Prozess keinen Platz.
Wir wollen die Rechte der Arbeitsuchenden stärken und gesetzlich verankern, dass Arbeitsuchende ein Wahlrecht zwischen angemessenen Maßnahmen haben. In Zukunft müssen Arbeitsuchende die Möglichkeit haben, den persönlichen Ansprechpartner bei schwerwiegenden Konflikten auf Wunsch zu wechseln. In den Jobcentern sollen unabhängige Ombudsstellen eingerichtet und finanziert werden, die in Konfliktfällen zwischen Arbeitsuchenden und Trägern vermitteln.
Solange die Rechte der Arbeitsuchenden nicht in dieser Form gestärkt sind, soll ein Sanktionsmoratorium gelten. Darüber hinaus müssen die jetzt geltenden Sanktionsregeln geändert werden. Insbesondere die scharfen Sanktionen für Menschen unter 25 Jahren müssen zurückgenommen werden. Sanktionen dürfen auch keinem Automatismus mehr unterliegen. Eine Rücknahme der Sanktion bei Verhaltensänderung und die zeitliche Flexibilisierung der Sanktionsverhängung muss jederzeit möglich sein. Werden Fähigkeiten, Wünsche und Vorschläge der Einzelnen nicht Rechnung getragen oder besteht keine Wahl zwischen angemessenen Förderangeboten, dürfen keine Sanktionen verhängt werden. Wird die Aufnahme von Arbeit verweigert, die unterhalb des maßgeblichen tariflichen oder -- wenn keine tarifliche Regelung vorhanden ist -- des ortsüblichen Entgelts entlohnt wird, dürfen ebenfalls keine Sanktionen ausgesprochen werden. Legen Hilfebedürftige Widerspruch gegen die Verhängung einer Sanktion ein, so muss dieser Widerspruch aufschiebende Wirkung haben und der Fall der Ombudsstelle vorgelegt werden.
Ich hoffe, dass Sie solche Maßnahmen als deutliche Verbesserung betrachten.
Mit freundlichen Grüßen
Sylvia Kotting-Uhl