Frage an Sylvia Kotting-Uhl von Achim L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Kotting-Uhl,
auf abgeordnetenwatch.de werden Sie als eine der Grünen Abgeordneten gelistet, die sich bei der Abstimmung über Sperren für Kinderpornographische Internetseiten enthalten haben.
Ich war ursprünglich davon ausgegangen, dass dieses Thema sehr polarisierend wirkt und möchte Ihnen deshalb zweierlei Fragen stellen:
1. Was hat Sie dazu bewegt, sich Ihrer Stimme zu enthalten? Da Sie ja an der Abstimmung teilgenommen haben, gehe ich davon aus, dass Sie sich eine Meinung zu diesem Gesetzesentwurf gebildet haben und diese Entscheidung bewusst getroffen haben.
2. Ein ähnliches Verhalten scheint bei den Grünen weiter verbreitet zu sein als bei den anderen Parteien. Ihre Partei hat einen sehr geringen Anteil an Abgeordneten, die nicht an der Abstimmung teilgenommen haben, aber einen vergleichsweise großen Anteil an Abgeordneten, die sich Enthalten haben. Kennen sie eine Erklärung für dieses Verhalten?
Ich freue mich auf Ihre Antwort und verbleibe mit freundlichen Grüßen aus Karlsruhe
Achim Lehmann
Sehr geehrter Herr Lehmann,
ich denke Ihre Fragen werden am besten beantwortet durch die Persönliche Erklärung nach §31 GOBT, die wir 15 Grünen Abgeordneten gemeinsam zu unserer Enthaltung bei der Abstimmung zum "Gesetz zur Bekämpfung der Kinderpornographe in Kommunikationsnetzen" abgegeben haben:
Kinderpornografie ist eine der widerlichsten Formen von Kriminalität. Man macht Geschäfte mit dem sexuellen Missbrauch von Kindern, traumatisiert sie und zerstört Lebenswege. Die Verbreitung von kinderpornographischem Material ist ein Straftatbestand und muss deshalb mit allen rechtsstaatlichen Mitteln verhindert werden. Das gilt für alle Verbreitungswege. Deshalb ist es grundsätzlich richtig, eine gesetzliche Grundlage für die Bekämpfung von Kinderpornographie im Internet zu schaffen.
Trotzdem ist die Kritik an dem vorliegenden Gesetzentwurf berechtigt wie sie auch in dem bündnisgrünen Entschließungsantrag zu diesem Gesetz formuliert ist. In vielen Punkten teilen wir die kritische Bewertung des Gesetzentwurfs: Er erfüllt die Kriterien des Rechtsstaats nur unzureichend, der Datenschutz ist nicht hinreichend gewährleistet und er birgt die Gefahr, dass unsere Medienordnung aus der Balance gerät. Schwere Bedenken hat auch der Datenschutzbeauftragte der Bundesregierung geäußert, der die ihm zugedachte Aufgabe als wesensfremd für sein Amt einstufte.
Das Gesetz ist zudem technisch unzureichend, nicht sachgerecht und zu wenig spezifisch auf die Notwendigkeiten im Kampf gegen Kinderpornographie und sexuelle Ausbeutung von Kindern in Kommunikationsnetzwerken ausgerichtet.
Dennoch sagen wir ganz klar: Kinderpornographie im Internet ist mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu bekämpfen. Auch ausländische Seiten mit kinderpornographischem Inhalt müssen konsequent aus dem Internet entfernt werden, so wie dies bereits mit deutschen Seiten nach rechtsstaatlichem Verfahren geschieht. Es kann auch gute Gründe geben, Internetseiten mit Kinderpornographie zu sperren. Unser Zeil ist die Löschung solcher Seiten und wenn dies nicht möglich ist, den Zugang zu sperren: Kinderpornographie fügt den betroffenen Kindern schwerste Verletzungen zu und traumatisiert sie oftmals fürs Leben. Das dürfen wir nicht zulassen!
In der Vergangenheit hat das staatliche Vorgehen gegen Kinderpornographie im World Wide Web Erfolge gebracht. Kinderpornographische Angebote wurden aufgespürt, ihre Entfernung verfügt und Strafverfahren eingeleitet. Und es gibt das Mittel der richterlichen Sperrverfügung, mit dem Internet-Zugangs-Anbieter gezwungen werden können, durch technische Maßnahmen den Zugang ihrer Kunden zu bestimmten Internetangeboten zu verhindern. Dieses Mittel soll weiterhin angewendet und schneller eingesetzt werden. Deutlich ist jedoch auch, dass mit den sich rasch entwickelnden technischen Möglichkeiten und der kriminellen Energie der Täter neue Handlungsfelder im Kampf gegen sexuelle Ausbeutung von Kindern entstanden sind und dieser Herausforderung wird der Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht gerecht.
Daher können wir diesem Gesetz nicht zustimmen und werden uns enthalten.
Dennoch müssen wir alle daran arbeiten, Kinderpornographie auch aus dem Internet zu verbannen. Der Kampf gegen Kinderpornographie und Ausbeutung von Kindern darf jedoch nicht bei den gesetzlichen Regelungen im Internet stehen bleiben. Wir brauchen und fordern einen nationalen Aktionsplan auf allen Ebenen sowie die bessere Ausstattung aller zuständigen Behörden mit Personal und Sachmitteln.
Mit freundlichen Grüßen
Sylvia Kotting-Uhl
Sehr geehrter Herr Lehmann,
ich will versuchen Ihnen darzulegen, warum ich nicht zu einem klaren Nein gekommen bin:
Das Gesetzesvorhaben bewegte sich von Anfang an in einem Spannungsverhältnis zwischen Schutz- und Freiheitsrechten. Kindern gebührt jeder Schutz den eine Gesellschaft bieten kann. Kinderpornographie ist das widerwärtigste Verbrechen an Leib und Seele junger Menschen das man sich vorstellen kann. Durch die Ausweitung des Internet hat die Möglichkeit kinderpornographisches Material anzubieten enorm zugenommen. Die Möglichkeiten hier gesetzgeberisch einzuschreiten können damit nicht Schritt halten.
Das Gesetz hat entsprechend Defizite in der Schlagkraft und Wirksamkeit die man sich gegen das Verbrechen Kinderpornographie wünscht. Ich teile aber nicht die Einschätzung völliger Wirkungslosigkeit. Es geht hier nicht um die teilweise von GegnerInnen des Gesetzes aufgebaute Alternative „Löschen statt Sperren“ oder „Sperren statt Löschen“ – es geht darum dann zu sperren, wenn Löschen nicht greift, also „Löschen vor Sperren“. Und es geht um eine klare gesellschaftliche Botschaft.
Die Einschätzung, dass die vom Internet-Zugangs-Anbieter errichteten Hürden mit geringem technischen Aufwand zu umgehen sind und die Anbieter mit einer Verlagerung ihrer Angebote reagieren, bedeutet nicht zwangsläufig, dass sich an Zugriffsleichtigkeit und Zugriffszahlen nichts ändert. Genau das wird nach zwei Jahren evaluiert. Selbstverständlich sind mit gesetzlichen Regelungen im Internet auch nicht die Handlungsmöglichkeiten im Kampf gegen Kinderpornographie ausgeschöpft. Unerlässlich und von uns gefordert ist die bessere Ausstattung aller zuständigen Behörden mit Personal und Sachmitteln. Das Gesetz ist kein Instrument zur Verhinderung von Kinderpornographie, es ist bestenfalls ein Baustein im Kampf dagegen.
Die Frage die sich stellt ist, ob dieser Baustein dessen Wirksamkeit noch evaluiert werden muss, den Preis rechtfertigt. Der Preis ist ein Einschnitt in die Freiheit des Internet. Auch hier gibt es keine zwangsläufige Folge, dass dieser Einschnitt andere Einschnitte nach sich zieht, aber die Bedenken verstehe ich.
Nach Inkrafttreten des Gesetzes wird weiter darüber zu reden sein, ob das unabhängige Gremium, das das BKA beim Aufstellen der Sperrlisten kontrollieren soll, ausgerechnet beim Bundesdatenschutzbeauftragten richtig angesiedelt ist, zumal dieser selbst das nicht so sieht.
Grundsätzlich ist das unabhängige Kontrollgremium zu begrüßen. Ebenso die gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf vorgenommene Änderung, dass personenbezogene Daten von Nutzern die beim Anklicken gesperrter Seiten auf das „Stoppschild“ umgeleitet werden, nicht gespeichert und auch nicht zur Strafverfolgung genutzt werden. Hier hat der Widerstand im Vorfeld zu positiven Veränderungen geführt.
Bürgerrechte, Freiheit und Demokratie sind für mich grundlegende Werte. Freiheit und Teile der Bürgerrechte werden in einer Demokratie Einzelnen als Antwort auf bestimmtes Verhalten aber durchaus abgesprochen. Ebenso hat die Freiheit des Einzelnen immer da ihre Begrenzung, wo es um die Freiheit des Anderen oder um den Schutz der Allgemeinheit geht. Diese Grenzen müssen bei jeder neuen Herausforderung in gesellschaftlichen und parlamentarischen Prozessen erneut ausgehandelt werden.
Für mich war die Zuspitzung der Kritik an dem „Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsstrukturen“ durch die Gegner auf die Begriffsschöpfung „Zensursula“ nahezu unerträglich. Die Beurteilung der komplexen Thematik wird radikal auf den Zusammenhang Kinderpornographie und Zensur verkürzt. Für alle die zu dem komplexen Argumentationshintergrund keinen Zugang haben heißt das: keine Zensur bei Kinderpornographie.
Wir Grünen sind abgesehen von der ökologischen Frage keine homogene Partei, und das ist gut so – dadurch haben wir diese Vielfalt an ausdifferenzierten Themen und klugen Köpfen die für diese Themen stehen. Das produziert aber logischerweise auch immer wieder Spannungsfelder. Das Spannungsfeld Freiheit im Netz – Bekämpfung der Kinderpornographie mit ALLEN Mitteln ist ein klassischer Wertekonflikt. Ich stehe dazu, dass für mich Schutzrechte von Kindern über der Freiheit im Netz stehen.
Ich bitte aber nicht zu übersehen, dass ich dem vorgelegten Gesetz wegen seiner Defizite nicht zugestimmt habe.
Noch kurz zu Ihrer 2. Frage: An Abstimmungen nicht teilzunehmen, wenn die eigene Haltung nicht der Fraktionsmehrheit entspricht, ist ein beliebtes Instrument im Bundestag. Wir nutzen das nicht. (Kneifen gilt nicht!)
Mit freundlichen Grüßen
Sylvia Kotting-Uhl