Frage an Sylvia Canel von Holger D. bezüglich Recht
Sehr gehrte Frau Canel,
Ich wohne in Hamburg-Rahlstedt, innerhalb eines 30km-Umkreises um das Atomkraftwerk Krümmel. Mein Vertrauen in diese Technologie war noch nie groß. Dazu hat unter anderem die Tatsache beigetragen beigetragen, dass die Atomkraftwerke gesetzlich fast völlig von einer Haftung bei schwereren Unfällen befreit sind. Ich muss also zwangsweise die Atomkraftwerke dadurch subventionieren, dass ich das Risiko für Schäden, die der Betreiber zu verantworten hat, selbst und allein tragen muss. Auch meine Sachversicherungen schließen Schäden durch Atomkraft ausdrücklich aus. Das widerspricht deutlich der Einschätzung dieser Technik als absolut sicher.
Meine Fragen an Sie:
1. Warum gibt es diese Haftungsbeschränkung für Atomkraftwerke, wo zum Beispiel jeder Betreiber eines Kraftfahrzeugs verpflichtet ist, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen. Liegt dies daran, dass Versicherungsunternehmen der Atomtechnik so wenig trauen, dass sie Atomkraftwerke generell für nicht versicherbar halten?
2. Plant Ihre Partei, die Haftungsbeschränkung für Atomkraftwerke so zu ändern, dass eine Versicherungspflicht eingeführt wird?
3. Plant Ihre Partei, für die Betreiber von Atomkraftwerken eine Rechtsform vorzuschreiben, die eine persönlich Haftung der Eigentümer vorsieht?
4. Sind Sie wie ich der Meinung, dass die Risikowahrscheinlichkeit, die uns als Bevölkerung zwangsweise zugemutet wird, um so kleiner sein muss, je größer der Schaden bei einem Unfall ist? Und ziehen Sie daraus wie ich die Schlussfolgerung, das ein möglicher Schaden, der große Teile unseres Landes unbewohnbar machen kann, auch bei kleinster Eintrittswahrscheinlichkeit unverantwortbar ist?
Zu Ihrer Information: Ich habe diese Fragen auch an andere Abgeordnete Ihrer Partei und Ihres Koalitionspartners gestellt, weil ich glaube, dass gerade bei diesem Problem die persönliche Meinung von Abgeordneten von der vereinheitlichten Koalitionsmeinung abweichen wird.
Mit bestem Gruß
Holger Dierks
Sehr geehrter Herr Dierks,
lassen Sie mich vorab gerne folgende allgemeine Äußerungen machen:
Angesichts der Ereignisse in Japan, nach dem verheerenden Erdbeben und den großen Problemen in japanischen Kernkraftwerken, müssen wir in Deutschland Konsequenzen ziehen. Die Frage der Sicherheit stellt sich neu, denn die Restrisiken müssen neu bewertet werden. Die Sicherheit und der Schutz der Menschen haben für mich dabei höchste Priorität. Wir müssen aus der Kernenergie aussteigen und brauchen den Umbau der Energieversorgung hin zu Erneuerbaren Energien. Wie sich dieser Ausstieg gestaltet, erfordert eine offene und ehrliche politische Diskussion. An dieser werde mich engagiert beteiligen.
In Deutschland gibt es keine Haftungsbeschränkung. Nach deutschem Recht haftet der Betreiber für Schäden, die auf einem von einer Kernanlage ausgehenden nuklearen Ereignis beruhen, grundsätzlich summenmäßig unbegrenzt.
Zur Erfüllung etwaiger Schadensersatzverpflichtungen hat der Betreiber Deckungsvorsorge zu treffen. Diese Deckungsvorsorge kann bis zu einem Höchstbetrag von 2,5 Milliarden Euro festgesetzt werden (vgl. § 14 Atomgesetz und § 9 der Verordnung über die Deckungsvorsorge nach dem Atomgesetz). Die Deckungsvorsorge kann durch Haftpflichtversicherung oder eine sonstige finanzielle Sicherheit erbracht werden.
Die Deckungsvorsorge für Kernkraftwerke wird aktuell bis zu einem Betrag von 255,645 Mio. Euro durch eine Versicherung erfüllt. Die Differenz bis zu dem Betrag von 2,5 Milliarden Euro stellen die Muttergesellschaften der Kernkraftwerksbetreiber durch gegenseitige Garantiezusagen sicher.
Genehmigungsvoraussetzung für jedes einzelne deutsche Kernkraftwerk (KKW) war der Nachweis der nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderlichen Schadensvorsorge (§ 7 AtG). Die Einhaltung eines hohen Schutzniveaus deutscher KKW wurde schon bisher und wird auch weiterhin im Rahmen von Änderungs-Genehmigungen, periodischen Sicherheitsüberprüfungen (§ 19a AtG) und der laufenden Überwachung durch die zuständigen Atomaufsichtsbehörden (§ 19 AtG) kontrolliert.
Nach den Ereignissen in Japan erfolgt eine Risikoanalyse aller deutschen KKW, d.h. die Sicherheit aller Kernkraftwerke in Deutschland wird unabhängig von den regelmäßig stattfindenden Kontrollen gesondert überprüft.
Die von Ihnen genannte Formel, die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Schadensereignisses müsse um so geringer sein, je größer der Schaden bei einem Eintritt eines Schadenereignisses wäre, entspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum KKW Kalkar. Nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 des Atomgesetzes richten sich Art und Ausmaß der erforderlichen Schadensvorsorge nach dem Stand von Wissenschaft und Technik. Nach geltendem Recht muss diejenige Vorsorge getroffen werden, die nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen für erforderlich gehalten wird. Ein verbleibendes Restrisiko muss nach dem Stand von Wissenschaft und Technik „praktisch ausgeschlossen“ sein.
Dieser Maßstab gilt im Atomrecht und soll nach Auffassung der FDP-Bundestagsfraktion auch weiterhin gelten. Mit der 12. Atomgesetznovelle hat die Koalition zudem mit § 7d Atomgesetz zusätzlich zu den bestehenden Verpflichtungen eine Sorgepflicht zur weiteren Vorsorge gegen Risiken eingeführt. Diese wird zu einer Erhöhung der Sicherheitsreserven führen
Das KKW Krümmel gehört zu denjenigen Anlagen, die mit Inkrafttreten der 13. AtG-Novelle stillzulegen sind.
Mit freundlichen Grüßen
Sylvia Canel