Frage an Susanne Mittag von Birgit D. bezüglich Landwirtschaft und Ernährung
Sehr geehrte Frau Mittag,
mit Fassungslosigkeit habe ich gerade gelesen, dass Sie auch für die Verlängerung der betäubungslosen Ferkelkastration gestimmt haben. Das ist ein Skandal. Mir drängt sich der Verdacht auf, dass auch die SPD eine Tierquäler-Partei ist. Das ging schon mit dem Koalitionsvertrag los, indem sich die SPD gemeinsam mit CDU/CSU darauf geeinigt hat, Tierschützer, die in Ställe „einbrechen“ (um Missstände aufzudecken!), härter bestrafen zu wollen. Im September hat die SPD zusammen mit CDU/CSU zwei verschiedene Anträge von FDP und Grünen zu Verschärfungen bei Tiertransporten abgelehnt. Und nun diese unselige Fristverlängerung!
Genau dieses "Weiter-So-für-die-Wirtschaft-koste-es-was-es-wolle" ist der Grund dafür, dass der SPD die Wähler in Scharen weglaufen.
Bitte erläutern Sie mir Ihre ganz persönlichen Beweggründe, warum Sie dafür gestimmt haben, dieses qualvolle Prozedere beibehalten zu wollen.
Und kommen Sie mir nicht mit einer vorformulierten Textwüste von Ihrem SPD-Kollegen Rainer Spiering. Und auch nicht mit dem Totschlagargument Arbeitsplätze (ich weiß, eine makabre Wortwahl in Zusammenhang mit dem sensiblen Thema Tierschutz). Wenn Geschäftsgrundlagen ethisch nicht vertretbar sind und zu gesundheitlichen Gefahren von Mensch, Tier und Umwelt führen, dürfen Arbeitsplätze kein Argument mehr sein.
Mich interessiert wirklich, ob Sie als Politikerin noch Empathiefähigkeit für andere Lebewesen haben, und wie Sie persönlich zum Thema Tierschutz stehen.
Mit freundlichen Grüßen,
B. D.
Sehr geehrte Frau Deter,
dass das betäubungslose Kastrieren von unter acht Tage alten Ferkeln um weitere zwei Jahre verlängert werden musste, nachdem die vorige Übergangsfrist von fünf Jahren durch das Bundeslandwirtschaftsministerium nicht genutzt wurde, um die vorhandenen Verfahren praxistauglich zu machen, ist mehr als ärgerlich.
Als Tierschutzbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion setzte ich mich dafür ein, dass die Lebensbedingungen von Nutz-, Heim- und Wildtieren nachhaltig verbessert werden. Deshalb widerstrebte es mir zutiefst, dieser Gesetzesänderung zuzustimmen. Allerdings wurde im parlamentarischen Willensbildungsprozess auch deutlich, dass es derzeit keine Alternative gibt, die die gegenwärtige Praxis flächendeckend in Deutschland ablösen könnte. Diesen eklatanten Missstand hat das Bundeslandwirtschaftsministerium zu verantworten.
Die deutschen Ferkelzüchter brauchen – und das haben die Sachverständigen der öffentlichen Anhörung im Deutschen Bundestag unterstrichen - eine Auswahl von tierschutzgerechten Verfahren, damit sie ihren betrieblichen Strukturen Rechnung tragen können.
Es gibt drei Verfahren, die die betäubungslose Kastration von Ferkeln in Deutschland ablösen können: Die Jungebermast, die Inhalationsnarkose mit Isofluran und die Immunokastration. Alle drei sind geeignet, die gegenwärtige Praxis abzulösen. Allerdings gibt es bei allen drei Methoden ungelöste Probleme, die eine letztmalige Verlängerung leider notwendig machen.
Mit der Gesetzesänderung stellen wir als Gesetzgeber sicher, was das Bundeslandwirtschaftsministerium die letzten fünf Jahre verpasst hat: Wir werden eine Alternative flächendeckend in Deutschland ermöglichen. Wir sorgen dafür, dass die Landwirtinnen und Landwirte die tierschutzgerechte Methode der Inhalationsnarkose mit Isofluran, nach Erwerb eines Sachkundenachweises, selber durchführen können. Verbunden mit einer finanziellen Förderung stellen wir sicher, dass auch kleine und mittelständische Betriebe dieses Verfahren nutzen können. Dem drohenden Strukturbruch wirken wir mit der Gesetzesänderung entgegen.
Wir brauchen lieber früher als später einen Ausstieg aus chirurgischen Eingriffen an Nutztieren, wie das Kürzen von Ringelschwänzen oder das Enthornen von männlichen Kälbern. Diese Eingriffe dienen dazu, die Tiere an Haltungssysteme anzupassen. Wir dürfen nicht länger die Tiere an die Haltungssysteme anpassen, sondern Haltungseinrichtungen müssen an die arteigenen Bedürfnisse der Tiere angepasst werden.
Als Tierschutzbeauftragte bevorzuge ich deshalb sowohl die Jungebermast als auch die Immunokastration, da bei beiden Methoden kein chirurgischer Eingriff am Tier notwendig ist. Nach dieser Gesetzesänderung liegt es in der Verantwortung des Bundeslandwirtschaftsministeriums, insbesondere mit den deutschen Schlachtunternehmen nach Lösungen zu suchen, um diese beiden Verfahren ohne Abstriche in Deutschland flächendeckend zu ermöglichen. Die Bundeslandwirtschaftsministerin muss die letztmalige Übergangsfrist vor allem auch dazu nutzen, dies sicherzustellen. Die marktbeherrschenden großen Schlachtunternehmen in Deutschland dürfen den Ferkelzüchtern nicht vorschreiben, welchen Weg sie zu gehen haben. Damit versperren sie tierwohlgerechte Verfahren und gefährden die Existenz von kleinen und mittelständischen Betrieben in Deutschland. Erstmaligen Zusagen, auch flächendeckend geimpfte Tiere abnehmen zu wollen, müssen jetzt Taten folgen.
Nach reiflicher Abwägung aller Argumente habe ich mich dazu entschlossen, einer Änderung des Tierschutzgesetzes zuzustimmen, um die deutschen Ferkelzüchter bei der Umstellung auf tierwohlgerechte Verfahren zu unterstützen. Damit sichern wir – auch im europaweiten Vergleich – langfristig einen hohen Tierschutzstandard in Deutschland.
Susanne Mittag, MdB