Warum wurden bei dem Beschluss am 17.03.23 die Erst- und nicht die Zweitstimmen gestrichen? Finden Sie es sinnvoll, das der direkte Kontakt der Parlamentarier zu den Wählern quasi eliminiert wurde?
Sehr geehrter Herr Thomae, eine Reduzierung der BT-Abgeordneten wurde wie oft gewünscht umgesetzt. Aber nicht im Sinne der Wähler. (zumindest derjenigen, die mit dem Wahlrecht vertraut sind). Bei vielen Wählern gibt es einen Bezug zu Ihrem BT-Abgeordneten, diese sind meistens persönlich bekannt und man macht sich ein Bild von deren Fähigkeiten. Diesen persönlichen Bezug haben Sie durch diese Wahlrechtsreform abgewürgt. Meines Erachtens hat das zur Folge, das nun die Partei bestimmt, wer das Volk vertritt. Die Folge ist, das zum Teil nicht fähige, sondern durch die Parteien privilegierte und gepushte Politiker (Ricarda Lang, Faeser) künftig die Politik bestimmen. Aus welchen Gründen wurde das so beschlossen und warum wurde die derzeitige Formation der Regierung derart zementiert? Ich bin mit der derzeitigen Politik Habeck und Konsorten nicht einverstanden, wie können wir Wähler das jetzt noch ändern? Warum macht die FDP hier noch mit? Der Wähler wird Ihnen das entsprechend quittieren.
Sehr geehrter Herr W.,
Vielen Dank für Ihre Frage zur Wahlrechtsreform der Koalition.
Mit der beschlossenen Wahlrechtsreform wird der Bundestag deutlich und dauerhaft verkleinert. Dabei behält das neue Wahlrecht das alte Wahlrecht so weit wie möglich bei – so wird etwa auch die bewährte Bezeichnung von Erst- und Zweitstimme beibehalten. Die Sitze im Bundestag werden nach der Wahl nach dem Verhältnis der Zweitstimmen auf die Parteien und ihre Landeslisten verteilt. Gleichzeitig wird die Kandidatenauswahl in weiterhin 299 Wahlkreisen beibehalten. Um den Bundestag jedoch durch Überhangmandate und dadurch erforderliche Ausgleichsmandate nicht immer weiter anwachsen zu lassen und das Verhältniswahlrecht nicht zu durchbrechen, werden Wahlkreise allerdings nur dann durch die Kandidatin oder den Kandidaten mit den relativ meisten Stimmen in einem Wahlkreis vertreten, wenn Sitze der Landesliste der Partei zur Verfügung stehen. Auch werden die den Parteien zustehenden Sitze weiterhin immer vorrangig an Wahlkreiskandidaten und -kandidatinnen zugeteilt. Lediglich das Entstehen von Überhangmandaten und damit auch von Ausgleichsmandaten wird vermieden. In den allermeisten der 299 Wahlkreise ändert sich durch diese Reform nichts. Bei der Bundestagswahl 2021 gab es nur 34 Überhangmandate, die den Bundestag jedoch auf 736 Abgeordnete wachsen ließen — bei einer Sollgröße von 598 Abgeordneten.
Nach der Reform werden immer 630 Abgeordnete im Bundestag vertreten sein. Mit dieser leichten Erhöhung der Sollgröße gewährleisten wir, dass auch weiterhin möglichst viele Kandidatinnen und Kandidaten, die in ihrem Wahlkreis die meisten Stimmen bekommen haben, ins Parlament einziehen — und reagieren damit auf Bedenken, die von der Opposition geäußert wurden. Der persönliche Bezug, den die Wählerinnen und Wähler in einem Wahlkreis zu Ihren Abgeordneten haben, geht mit der Wahlrechtsreform also nicht verloren. Trotzdem können wir das Parlament mit der Reform maßgeblich verschlanken, ohne das Größenverhältnis der Fraktionen im Bundestag zu verändern.
Mit freundlichen Grüßen
Stephan Thomae