Frage an Stephan Thomae von Guido F. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Thomae,
ich danke Ihnen für Ihre Reaktion auf meine Anfrage vom 20.07.11, jedoch lassen mich Ihre merkwürdigen Ausführungen ratlos zurück.
Tatsächlich sind sogenannte "Legal Highs", versetzt mit synthetischen Cannabinoiden, die nicht den Beschränkungen des BtMG unterliegen, frei im Handel erhältlich, und der Konsum dieser Substanzen ist mit einem erheblichen Gesundheitsrisiko verbunden ( http://tinyurl.com/3hndjkm , http://tinyurl.com/43763bj , http://tinyurl.com/44ybbuo , http://tinyurl.com/3penesa ).
Aber was haben neu geschaffene synthetische Drogen I.E. mit natürlichem Cannabis zu tun?
Welcher Effekt lässt das Gefahrenpotenzial des natürlichen Cannabis ansteigen, wenn neue Cannabinoide synthetisiert werden? Haben Forschungsarbeiten diese Korrelation nachgewiesen?
Könnte es auch sein, dass Sie einfach etwas nicht verstanden haben und hier völlig verschiedene Dinge vermischen?
Wie stehen Sie zur These, dass die intensiv auf Strafverfolgung ausgerichtete Drogenpolitik für die rasante Verbreitung neuer synthetischer "Legal Highs" verantwortlich ist, und eine legale Abgabe des weitgehend erforschten Cannabis an Erwachsene die Entwicklung stetig neuer Cannabinoide mit unkalkulierbarem Risikopotential stark senken würde, weil kein Bedarf mehr an legalen Alternativen zu Cannabis bestünde?
Angesichts Ihrer gesamten Ausführungen frage ich mich, ob Sie sich jemals mit wissenschaftlichen Arbeiten zu Drogen und Drogenpolitik beschäftigt haben, oder ob Sie Ihr "Wissen" ausschließlich unreflektiert dem Drogen- und Suchtberichten der Bundesregierung entlehnen.
Ist Ihnen z.B. der "Schildower Kreis", ein Netzwerk zahlreicher Experten verschiedener Fachbereiche mit dem Forschungsschwerpunkt Drogenkonsum, bekannt? ( http://www.schildower-kreis.de )
Wie kann es sein, dass eine Vielzahl von Fachleuten die Drogenpolitik der Bundesregierung so ganz anders bewertet, als Sie und auch als die Bundesregierung selbst?
Freundliche Grüße
Guido Friedewald
Sehr geehrter Herr Friedewald,
vielen Dank für Ihre Anfrage über Abgeordnetenwatch.
Drogenpolitik fällt in die Zuständigkeit des Gesundheitsministeriums, so dass ich mich als Mitglied des Haushalts- und Rechtsausschusses erst einmal gründlich informieren musste. Gleichzeitig habe ich Ihre Unterlagen an die zuständige Kollegin und Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans, weitergeleitet. In mehreren Gesprächen haben wir das Thema, zusammen mit dem Bundesministerium der Gesundheit, erörtert und abgestimmt. Leider muss ich Ihnen jedoch mitteilen, dass wir Ihr Anliegen nicht unterstützen können. Gerne erläutere ich Ihnen ausführlich dazu unsere Beweggründe.
Rechtlich gesehen ist Cannabis (Marihuana, Pflanzen und Pflanzenteile der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen) in Anlage I des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) (nicht verkehrsfähige Betäubungsmittel) aufgenommen, die bisher unterstellten synthetischen Cannabinoide (CP-47,497-Homologe, JWH-018, JWH-019 und JWH-073) in Anlage II des BtMG (verkehrsfähige, aber nicht verschreibungsfähige Betäubungsmittel).
Funktional unterscheiden sich das in Pflanzen vorkommende "natürliche" Cannabis (THC, Δ9- tetrahydrocannabinol ) und "synthetische" Cannabinoide kaum. Beide docken im Gehirn an dieselben Cannabinoid-Rezeptoren an. Der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) zufolge gibt es Hinweise darauf, dass einige synthetische Cannabinoide eine stärkere und nachhaltigere Wirkung als THC zu entfalten scheinen (EMCDDA 2012).
Der THC-Wirkstoffgehalt ist bei importiertem Cannabisharz (in Deutschland im Vergleich zu Cannabiskraut die bedeutendere Konsumform) nach dem Jahresbericht der Angaben der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (DBDD) 2011 (DBDD 2011, S. 214) weitgehend stabil bzw. leicht rückläufig (2010 ca. 7,5%), während er bei importiertem Cannabiskraut leicht gestiegen ist (auf 10,5%). Im Europäischen Vergleich werden z.T. erhebliche Unterschiede berichtet (s. EMCDDA 2004, S. 46).
Bei Indoorplantagen werden zwei- bis dreifache THC-Konzentrationen bei Cannabispflanzen in Indoorplantagen berichtet.(EMCDDA 2004, S. 13, Nr. 3).
Synthetische Cannabinoide werden seit 40 Jahren in der Arzneimittelforschung zur Schmerztherapie entwickelt. Die erwünschte schmerzlindernde und die unerwünschte rauscherzeugende Wirkung sind dabei allerdings schwer zu trennen. Im Jahr 2008 wurden in über Headshops oder das Internet vertriebenen Kräuter- bzw. Räuchermischungen synthetische Cannabinoide entdeckt (Spice Gold, Spice Silver, Yucatan Fire, denen weitere Produkte folgten). Über den Wirkstoffgehalt dieser Mischungen ist mangels quantitativer Studien bisher wenig bekannt. Es steht jedoch zu vermuten, dass sich dieser sich von Produktcharge zu Produktcharge stark unterscheidet.
Bisher wurden einige der synthetischen Cannabinoide aufgrund ihrer psychotropen Wirkung, des Ausmaßes ihrer missbräuchlichen Verwendung und der unmittelbaren und mittelbaren Gefährdung in die Anlage II des BtMG (verkehrs- aber nicht verschreibungsfähige Betäubungsmittel) aufgenommen.
Ihre zweite Frage zur Ungleichbehandlung von Alkohol und Tabak durch den Gesetzgeber stehen im Einklang mit dem Grundgesetz. Zur Begründung können angeführt werden:
1. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. März 1994:
Leitsatz "4. Der Gleichheitssatz gebietet nicht, alle potentiell gleich schädlichen Drogen gleichermaßen zu verbieten oder zuzulassen. Der Gesetzgeber konnte ohne Verfassungsverstoß den Umgang mit Cannabisprodukten einerseits, mit Alkohol oder Nikotin andererseits unterschiedlich regeln."
Orientierungssatz "5. Zu Ls 4:
Für die unterschiedliche Behandlung von Cannabisprodukten einerseits und Nikotin und Alkohol andererseits sind gewichtige Gründe vorhanden. Nikotin ist kein Betäubungsmittel und bei Alkohol dominiert eine Verwendung, die nicht zu Rauschzuständen führt. Demgegenüber steht beim Cannabiskonsum typischerweise die Erzielung einer berauschenden Wirkung im Vordergrund."
2. Die Entscheidung des Deutschen Bundestags zur Petition von Guido Friedewald (Unterstellung von Ethanol (Alkohol) unter das Betäubungsmittelgesetz vom 17.03.2011 (Pet ID 9651, Anlage 2):
"Zwischen Alkohol und dem Betäubungsmittelrecht unterstellten Substanzen bestehen wesentliche Unterscheide, die eine Ungleichbehandlung rechtfertigen. Alkoholische Getränke sind Lebens- und Genussmittel, die sich grundsätzlich von den Betäubungsmitteln unterscheiden, die in den Anlagen des Betäubungsmittelgesetzes aufgeführt sind. Der Gesetzgeber hat bewusst auf eine Unterstellung von Alkohol unter das Betäubungsmittelgesetz verzichtet. Ebenso betrachten auch die internationalen Suchtstoffkonventionen Alkohol nicht als Betäubungsmittel. Kein bekanntes Betäubungsmittelgesetz anderer Staaten hat Alkohol zur Droge erklärt."
Zu Ihrer letzten Frage: So verschieden sind "natürliches" und "synthetisches" Cannabis nun auch wieder nicht. Aufgrund der von beiden ausgehenden gesundheitlichen und sozialen Risiken ist es völlig gerechtfertigt, sowohl vor dem Konsum von synthetischen Cannabinoiden als auch vor dem Konsum von "natürlichem" Cannabis zu warnen.
Zur Beantwortung der fünften Frage verweise ich analog auf die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der SPD, BT-Drucksache 17/1451 (Drogen- und Suchtpolitik der Bundesregierung), S. 2:
Die Drogenpolitik in Deutschland ist nicht auf Strafverfolgung ausgerichtet.
"Die die Bundesregierung tragenden Parteien haben in ihrer Koalitionsvereinbarung bereits festgehalten, dass die Drogen- und Suchtpolitik der Bundesregierung Prävention, Therapie, Hilfe zum Ausstieg und die Bekämpfung der Drogenkriminalität in den Mittelpunkt stellt.
Ein Schwerpunkt (liegt) dabei auf dem Bereich der Prävention. Bewährte Maßnahmen in Therapie und Rehabilitation sowie Schadensminimierung werden fortgeführt, wobei die Verantwortung für diesen Bereich hauptsächlich bei den Ländern und Kommunen sowie den Trägern der sozialen Sicherung liegt."
Zusätzlich könnte BT-Drucksache 17/7539 (Pläne der Bundesregierung zur Schaffung eines neuen Straftatbestandes für sogenannte legal highs im Betäubungsmittelgesetz), S. 4 hinzugezogen werden:
"Der Gesetzgeber verfolgt mit dem Betäubungsmittelgesetz unter anderem den Zweck, die menschliche Gesundheit sowohl des Einzelnen wie der Bevölkerung im Ganzen vor den von Betäubungsmitteln ausgehenden Gefahren zu schützen. Zur Erreichung dieses Zwecks kommt dem Betäubungsmittelgesetz und seinen Strafvorschriften auch eine generalpräventive Wirkung zu."
Zum Erfolg der Strafverfolgung (optional): BT-Drucksache 17/7911 vom 25.11.11 (Erwünschte und unbeabsichtigte Folgen des geltenden Drogenstrafrechts):
"Im Unterschied zur globalen Entwicklung ist der Drogenkonsum in Deutschland im Vergleich zu 1998 rückläufig. Darüber hinaus machen die Prävalenzen zum Konsum illegaler Drogen in Deutschland sehr deutlich, dass die „Illegalisierung bestimmter Drogen nicht nur einige Menschen“, sondern die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung in ihrer gesundheitsbewussten Haltung unterstützt, keine Drogen zu konsumieren. Die Bundesregierung sieht sich deshalb in ihrer Sucht- und Drogenpolitik bestätigt. Sie warnt unverändert vor dem Konsum illegaler psychoaktiver Substanzen und hält daran fest, dass eine verantwortungsbewusste Sucht- und Drogenpolitik Prävention, Therapie, Hilfe zum Ausstieg als Mittel der Schadensminderung und die Bekämpfung der Drogenkriminalität umfasst. Das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) dient nicht nur der Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs, um die menschliche Gesundheit sowohl des Einzelnen wie der Bevölkerung im Ganzen vor den von Betäubungsmitteln ausgehenden Gefahren zu schützen. Gleichzeitig gewährleistet das BtMG die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung mit betäubungsmittelhaltigen Arzneimitteln. Aus Sicht der Bundesregierung kommt dem BtMG eine wichtige generalpräventive Wirkung zu. Dafür spricht nicht nur der hohe Anteil von Personen, die niemals illegale Drogen konsumieren, sondern auch die jüngst bestätigte Wirkung der Unterstellung neuer, in (fälschlicherweise) harmlos erscheinenden Kräutermischungen enthaltener, psychoaktiver Substanzen unter das Betäubungsmittelrecht. Die Unterstellung führte zu einer Einschränkung der Verbreitung bei den jeweiligen Substanzen. Nach einer Befragung von Schülerinnen und Schülern ist der Konsum cannabinoidhaltiger Substanzen nach dem Verbot in 2009 zurückgegangen. Aus Sicht der Bundesregierung wäre es deshalb verfehlt, die dem Betäubungsmittelrecht unterstellten psychoaktiven Substanzen von den derzeitigen Handlungsverboten und Strafbewehrungen freizustellen."
In wissenschaftlichen Studien heißt es wie folgt (Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Partei DIE LINKE (BT Drucksache: 17/7140)):
"Ein Systematisches Review der international publizierten Studien von 1996 bis 2006“ von Kay Uwe Petersen und Rainer Thomasius sowie auf die englischsprachige Übersicht „Reader zur Cannabis-Thematik: Globale Fragen und örtliche Erfahrungen. Perspektiven zu Cannabis-Kontroversen, -Behandlung und -Rechtsvorschriften in Europa“ (herausgegeben als Monografie Nummer 8 von der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht; besonders Band 2, Teil II „Health effects of cannabis use“, S. 115 bis 198). Auch die Studien, über die in der aktuellen Ausgabe der wissenschaftlichen Zeitschrift „Sucht“ (Heft 3, Juni 2011) berichtet wird, lassen darauf schließen, dass Cannabiskonsum und -missbrauch zu Störungen führen können. Die Herausgeber des genannten Hefts machen zusammenfassend darauf aufmerksam, dass die gesundheitliche Problematik, die sich aus dem Cannabismissbrauch in der Bevölkerung ergibt, weder verschwunden noch abnehmend ist. Im Gegenteil: Die Zahl der aufgrund cannabisbezogener Störungen Behandlungssuchenden steigt weiter an."
Der Schildower Kreis ist bekannt, und die Fachkompetenz der dort vernetzten Experten steht außer Frage. Die Argumentationen des Schildower Kreises werden in die Überlegungen zur Reduzierung drogen- und suchtbedingter Probleme einbezogen. Der Schildower Kreis setzt sich dafür ein, "die Drogenprohibition aufzugeben und legale Bezugswege" zu schaffen.
Diese Forderungen stehen im direkten Widerspruch zu denen von Deutschland ratifizierten Suchtstoffübereinkommen der Vereinten Nationen.
Die Bundesregierung lehnt eine Legalisierung von Drogen ab. Eine solche Legalisierung wäre mit den Zielsetzungen des Betäubungsmittelrechts nicht vereinbar. Der Gesetzgeber verfolgt mit dem Betäubungsmittelgesetz den Zweck, die menschliche Gesundheit sowohl des Einzelnen wie der Bevölkerung im Ganzen vor den von Betäubungsmitteln ausgehenden Gefahren zu schützen. Die Bevölkerung, vor allem Jugendliche, sollen vor Abhängigkeit von Betäubungsmitteln bewahrt werden. Zur Erreichung dieses Zwecks stellt der Gesetzgeber nicht nur Verhaltensweisen unter Strafe, die unmittelbar für die Gesundheit Einzelner gefährlich sind. Vielmehr geht es um die Gestaltung des sozialen Zusammenlebens in einer Weise, die es von sozialschädlichen Wirkungen des Umgangs mit Drogen freihält.
Das Betäubungsmittelgesetz stellt sich zugleich als Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur internationalen Kontrolle der Suchtstoffe und psychotropen Stoffe im Rahmen der internationalen Suchtstoffübereinkommen sowie zur Bekämpfung des illegalen Drogenmarktes und der an ihm beteiligten kriminellen Organisationen dar. Es dient damit auch der Abwehr von Beeinträchtigungen für die wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Grundlagen der Gesellschaft (so das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 9. März 1994, BVerfGE 90, 145ff.).
Eine Freigabe von Cannabis ist mit diesen Zielsetzungen nicht vereinbar. Der Konsum von Betäubungsmitteln ist als solcher als bloße Selbstgefährdung bzw. Selbstschädigung aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht strafbar. Unerlaubter Erwerb und Besitz gefährden fremde Rechtsgüter jedoch schon insofern, als sie die Möglichkeit einer unkontrollierten Weitergabe der Droge an Dritte eröffnen.
Neben dem strafrechtlichen Instrumentarium werden im Hinblick auf die Gefahren von Drogen, insbesondere für Jugendliche, umfangreiche Aufklärungs- und Präventionsmaßnahmen durchgeführt. Für drogenabhängige Menschen, deren Selbstbestimmung aufgrund ihrer Suchterkrankung eingeschränkt ist, bestehen vielfältige Beratungs- und Hilfsangebote.
Ich hoffe, dass ich Ihnen mit diesen Hinweisen unsere Haltung erläutern konnte.
Mit freundlichen Grüßen
Stephan Thomae, MdB