Frage an Stephan Thomae von Frank S. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Thomae,
bald hoffentlich ist die Anhörung im Bundestag zum bedingungslosen Grundeinkommen.
Angesichts der gegenwärtigen Diskussion über Steuersünder, Kampf um Arbeitsplätze in der Autoindustrie, die Höhe von Hartz-IV-Leistungen und dem Wegbrechen der staatlichen Kultur- und Sozialaufgaben bei gleichzeitig stattfindender
gigantischer Unterstützung der Finanzbranche:
Mich würde in diesem Zusammenhang Ihre _persönliche_ Meinung zu folgenden Punkten interessieren:
- Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen dem aktuellen BGH-Urteil zu Hartz-IV und dem Wesenskern des bedingungslosen Grundeinkommen ?
- Glauben Sie, dass es prinzipiell in Zukunft (wieder) genug Erwerbsarbeit für alle geben wird ?
- Denken Sie bei Grundeinkommen an spätrömische Dekadenz ?
- Halten Sie seine Realisierung für finanzierbar, wenn gleichzeitig unser Steuersystem radikal umgebaut wird ? (vgl. hierzu das Buch von DM-Gründer Götz Werner u.a.)
- Wie stehen Sie zur Mehrwertsteuer unter dem Aspekt, dass diese Steuer die einzige ist, die nicht hinterziehbar ist ?
- Es herrscht Unklarheit bezgl. der Systemrelevanz von Banken - gleichwohl wurden alle in den Rettungsfont einbezogen. Wie systemrelevant sind für Sie die Bürger dieses Staates (Und auch die 3% "faulen") ?
Vielen Dank und
mit freundlichen Grüßen,
Frank Schmauder
Sehr geehrter Herr Schmauder,
vielen Dank für Ihre Frage. Bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie auf meine Antwort so lange habe warten lassen. Umso mehr hoffe ich, Ihnen jetzt eine zufriedenstellende Antworten geben zu können. Gerne stelle ich Ihnen im Folgenden meine Meinung zu Ihren sechs Punkten vor.
Zu 1: Ich sehe keinen Zusammenhang zwischen dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 und dem Wesenskern des bedingungslosen Grundeinkommens. Hartz IV ist ein Gegenentwurf zum bedingungslosen Grundeinkommen, denn Hartz IV ist alles andere als bedingungslos. Die sogenannten Hartz IV-Gesetze stehen unter der Maxime „Fördern und Fordern“. Im Hartz IV-Urteil geht es um Berechnungsmethoden bei bestehenden Transferleistungen. Das Bundesverfassungsgericht verlangt in seinem Urteil keine Abwendung von Hartz IV an sich.
Wie Ihnen sicherlich bekannt ist, verfolgt die FDP das Konzept eines liberalen Bürgergeldes. Dieses sieht vor, dass zukünftig steuerfinanzierte Sozialleistungen von den Finanzämtern als Bürgergeld ausgezahlt werden. Statt vieler Behörden und vieler verschiedener staatlicher Leistungen sollen allein die Finanzämter den Anspruch auf steuerfinanzierte Leistungen prüfen und erfüllen. Das Modell beruht auf den Grundsätzen der negativen Einkommenssteuer.
Zu 2: Wie die Zukunft für uns aussieht, kann ich natürlich nicht vorhersagen. Was ich mir vorstellen kann ist, dass sich neue Erwerbsbiographien bilden, wie horizontale und vertikale Teilzeitmodelle. Der Leitsatz „Lebenslanges Lernen“ wird in Zukunft noch mehr Bedeutung bekommen. Neue Erwerbschancen werden sich sicherlich auch durch die fortschreitende Globalisierung ergeben. Die Auflösung staatlicher Grenzen, wie in der EU, wird auch weiterhin die Mobilität und Mobilitätsbereitschaft der Menschen fördern, sodass das Thema Erwerbsarbeit in Zukunft aus einer globalen Perspektive betrachtet werden muss.
Zu 3: Spätromische Dekadenz und Grundeinkommen stehen für mich in keinerlei Zusammenhang. Daher kann ich diese Frage leicht mit einem klaren „Nein“ beantworten.
Zu 4: Wie ich Ihnen bereits erläutert habe, setzt sich die FDP für ein liberales Bürgergeld ein. Daher ist zu mindestens unter der christlich-liberalen Koalition die Realisierung eines bedingungslosen Grundeinkommens nicht geplant. Unabhängig davon glaube ich nicht, dass das Konzept von Götz Werner in der Praxis funktionieren würde. Oft ist es leider so, dass die Praxis nicht das erhoffte Ergebnis hervorbringt und Nebenfolgen eintreten, die vorher nicht bedacht worden sind.
Zu 5: Ihrer Aussage, die Mehrwertsteuer sei nicht hinterziehbar, muss ich widersprechen. Gerade durch die Hinterziehung der Mehrwertsteuer durch Schwarzarbeit entgehen dem Staat jährlich 30 Milliarden Euro.
Zu 6: Alle Beteiligten eines Systems sind für das System relevant. Die Trennung von Wirtschaft und Gesellschaft in einem Staat ist eine künstliche. Wann immer wir von dem Markt, der Wirtschaft, den Unternehmen und den Banken sprechen: Am Ende stehen immer handelnde Menschen.
Ich hoffe, ich konnte Ihre Fragen nach Ihren Vorstellungen beantworten. Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihre Zukunft und verbleibe
mit freundlichen, liberalen Grüßen
Stephan Thomae, MdB