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Stephan Schilling
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Frage von Stefan G. •

Frage an Stephan Schilling von Stefan G. bezüglich Gesundheit

Hallo Stephan,

wie du dich vielleicht erinnerst, hatte ich auf einer KMV bereits Zweifel am Konzept der Bürgerversicherung angemeldet. Du hattest angeboten, mir umfangreicheres Material zu schicken. Leider hast du weder dies getan noch auf meine e-Mail geantwortet, in der ich dir meine Kritikpunkte genannt habe.
Deshalb das Ganze noch einmal auf diesem Wege:

Meine derzeitigen Kritikpunkte an der Bürgerversicherung sind vor allem folgende:

- Die Kopplung der Sozialabgaben an den Faktor Arbeit bleibt erhalten und
wird lediglich minimal verringert.

-> Die erfolgreichen skandinavischen Modelle finanzieren Sozialausgaben
stark über Steuern. Ein sinnvolleres Steuersystem vorausgesetzt, bietet das
den gleichen Grad an Finanzierungsgerechtigkeit wie ein parallel
betriebenes, einkommensabhängiges System wie wir es jetzt in (wegen der
Schere zwischen privaten und gesetzlichen Kassen) inkonsequenter Weise
haben. Und wie wir es mit der Bürgerversicherung in gleicher, nur
konsequenterer Form hätten.
Die Vorteile einer Steuerfinanzierung sollte aber auf der Hand liegen:
+ Einbezogen in die Finanzierung werden sowieso alle (besteuerten)
Einkommensarten.
+ Der Faktor Arbeit wird deutlich entlastet, die vor allem im niedrigen
Lohnbereich fatalen Auswirkungen hoher Nebenkosten fallen weg.
+ Das System wird einfacher, das bürokratische Monster einer zweimal
vorgenommenen Verteilung (über Steuern und über Sozialversicherungen) kann
entfallen.

- Mit der Bürgerversicherung wird nicht nur die Zahl der Beitragszahler
sondern natürlich auch die der Leistungsempfänger erhöht.

- Die Bürokratie (oben schon angesprochen), die für das Eintreiben der
Beiträge notwendig ist, ist schlicht unsinnig. (Warum sollen Krankenkassen
und Steuerbehörden jeweils für sich die Einkommen der Versicherten prüfen?)

- Das Herstellen der sozialen Gerechtigkeit für die Finanzierung des
Gemeinwesens ist die zentrale Aufgabe des Steuersystems. Dazu gibt es
verschiedenste Regeln im Steuerrecht, angefangen von den dynamisch mit den
Einkommen steigenden Steuersätzen.
Eine Bürgerversicherung versucht nun, diesen sozialen Ausgleich noch einmal
vorzunehmen. Wenn sie dabei nicht die Regelungen des Steuerrechts 1:1
übernimmt (was natürlich den bürokratischen Unfug auf die Spitze triebe),
kann sie diese Aufgabe nur schlechter lösen als das bereits bestehende
System.

- Und eine letzte, polemische Frage: Wenn man eine Bürgerversicherung für
das Risiko "Krankheit" will - warum dieses Prinzip der einkommensabhängigen
Beiträge nicht auch auf Lebens-, Unfall-, Hausratversicherungen ausweiten?
Ist es sozial gerecht, dass ein Manager für die Haftpflichtversicherung
seines Autos ebenso viel bezahlt wie ein Pförtner?

Das ist, in aller gebotenen Kürze zusammengefasst, meine Kritik an der
Bürgerversicherung.
Wenn du mich vom Gegenteil überzeugen könntest, wäre das prima. Immerhin ist
dieses Konzept, wie du auch sagtest, ein Kern des grünen Wahlprogrammes.

Viele Grüße,
Stefan

Portrait von Stephan Schilling
Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Lieber Stefan,

bitte entschuldige die späte Antwort:

Zu deinen Kritikpunkten:

- Die Kopplung der Sozialabgaben an den Faktor Arbeit bleibt erhalten und wird lediglich minimal verringert.

Grundsätzlich werden in der Bürgerversicherung alle Einkommensarten verbeitragt (also auch Mieten, Zinsen, Einkünfte aus Pacht etc.) Dennoch, da hast du Recht, würden zur Zeit die Hauptlasten weiterhin auf dem Faktor Arbeit liegen - im Zuge des demographischen Wandels, in dem z.B. durch private Altersvorsorge Kapitaleinkünfte immer wichtiger werden, würde der Anteil von Kapitalbeiträgen jedoch stetig zunehmen.
Was mir aber noch wichtiger erscheint. Die Bürgerversicherung beendet überhaupt die Trennung der Einkommensarten, es ist nicht mehr von Belang woher jemand seine Einkünfte bezieht, sondern nur noch wie viel. Das verwirklicht weitestgehend den Grundsatz der Belastung nach der ökonomischen Leistungsfähigkeit.

Die erfolgreichen skandinavischen Modelle finanzieren Sozialausgaben stark über Steuern. Ein sinnvolleres Steuersystem vorausgesetzt, bietet das den gleichen Grad an Finanzierungsgerechtigkeit wie ein parallel betriebenes, einkommensabhängiges System wie wir es jetzt in (wegen der Schere zwischen privaten und gesetzlichen Kassen) inkonsequenter Weise haben. Und wie wir es mit der Bürgerversicherung in gleicher, nur konsequenterer Form hätten. Die Vorteile einer Steuerfinanzierung sollte aber auf der Hand liegen:
+ Einbezogen in die Finanzierung werden sowieso alle (besteuerten) Einkommensarten.
+ Der Faktor Arbeit wird deutlich entlastet, die vor allem im niedrigen Lohnbereich fatalen Auswirkungen hoher Nebenkosten fallen weg.
+ Das System wird einfacher, das bürokratische Monster einer zweimal vorgenommenen Verteilung (über Steuern und über Sozialversicherungen) kann entfallen.

Grundsätzlich ähnelt die Bürgerversicherung durch die Einbeziehung aller Einkommensarten einer Steuer. Es gibt jedoch einen wichtigen Unterschied: die Abgaben der Bürgerversicherung sind zweckgebunden, Steuereinnahmen sind dies nicht. Dies ist auch mein zentraler Vorbehalt gegen eine Steuerfinanzierung des Sozialversicherungen. In diesen Fällen hätte der Finanzminister direkten Zugriff auf die Gelder der Sozialversicherungen und könnte beispielsweise Haushaltslöcher durch Einsparungen bei den Sozialversicherungen stopfen. Ein Schelm, wer denkt, dass ein Finanzminister auf solche Ideen kommen würde.

- Mit der Bürgerversicherung wird nicht nur die Zahl der Beitragszahler sondern natürlich auch die der Leistungsempfänger erhöht.

Das stimmt. Allerdings werden in der Bürgerversicherung die Beiträge dennoch sinken, da die Leistungsempfänger, die bisher privat versichert waren, sogenannte gute Risiken sind. Das heiß sie sind überdurchschnittlich leistungsfähig und untersdurchschnittlich krankheitsanfällig. Dies erklärt sich durch die negative Risikoselktion, die seitens der PKVen bisher möglich war.

- Die Bürokratie (oben schon angesprochen), die für das Eintreiben der Beiträge notwendig ist, ist schlicht unsinnig. (Warum sollen Krankenkassen und Steuerbehörden jeweils für sich die Einkommen der Versicherten prüfen?)

Durch die Bürgerversicherung entsteht keine weitere Bürokratie, da die Beiträge auf weitere Einkommensarten einfach vom Finanzamt eingezogen und dann an die KVen weitergeleitet werden. So wird bisher auch schon bei den freiweillig gesetzlich versicherten RentnerInnen verfahren.

- Und eine letzte, polemische Frage: Wenn man eine Bürgerversicherung für das Risiko "Krankheit" will - warum dieses Prinzip der einkommensabhängigen Beiträge nicht auch auf Lebens-, Unfall-, Hausratversicherungen ausweiten? Ist es sozial gerecht, dass ein Manager für die Haftpflichtversicherung seines Autos ebenso viel bezahlt wie ein Pförtner?

Nein, bei der Krankheitsversicherung handelt es sich ebenso wie bei der Alters- oder Arbeitslosenversicherung um ein elementares Lebensrisiko, das jeden und jede treffen kann. Aus diesem Grund ist eine solidarische Absicherung dieser Risiken sinnvoll und gerecht. Niemand wird wohl auf die Idee kommen, einen Autoschaden als elementares Lebensrisiko zu bezeichnen.

Viele weitere Infos zur Bürgerversicherung sind unter www.gruene-buergerversicherung zu finden.

Herzlichen Gruß

Stephan Schilling