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Stephan Rauhut
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Frage von Manfred H. •

Frage an Stephan Rauhut von Manfred H. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Rauhut,

DIE LINKE hat auf ihrem Parteitag in Hannover ein Papier mit dem Titel "Solidarität für Venezuela" beschlossen. Dort wird die Eskalation der Lage in V. allein der Opposition, der USA, der EU und der Organisation Amerikanischer Staaten in die Schuhe geschoben. Fakt ist jedoch, dass Präsident Maduro nicht erst seit zwei Wochen eine Diktatur in V. anstrebt und die Probleme (höchste Mordrate weltweit, fehlende Infrastruktur, Enteignung des Mittelstands etc.) alle hausgemacht und bereits durch Hugo Chavez initiiert wurden. Mit der höchstwahrscheinlich durch Wahlmanipulation eingeführten Verfassungsgebenden Versammlung und der Amtsenthebung der Generalstaatsanwältin Ortega durch eben diese, halte ich das o. a. Papier allerspätestens jetzt für einen Schlag ins Gesicht jedes nicht der Regierung treu ergebenen Venezolaners (Meine Frau ist aus V. und ihre Familie lebt in Caracas, ich kenne also die Realität dort).

Hält DIE LINKE auch nach den jüngsten Ereignissen immer noch an der Solidarität mit der bolivarischen Revolution und an dem zukünftigen Diktator Maduro fest?

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr H.,

meine kurze Antwort auf Ihre Frage lautet: Ich erkläre mich mit keinem Regierungschef solidarisch. Da der Begriff der Bolivarischen Revolution derzeit nicht benutzt werden kann, um mit wenigen Worten klar zu verdeutlichen wofür das steht, gibt es von mir auch kein Statement im Sinne einer Solidaritätserklärung mit der „Bolivarischen Revolution“. Mit den Menschen in Venezuela dagegen schon und ich wünsche, dass in einem friedlichen Prozess die wirtschaftliche Stabilität und die beschnittenen demokratischen und Bürgerrechte zurückerlangt werden können. Aber ich wünsche mir auch, dass der fortschrittliche Teil des einst von Chavez eingeschlagenen Weges der Umverteilungs- und Demokratisierungspolitik fortgesetzt werden kann.

Was den Parteitagsbeschluss betrifft, so teile ich die Formulierungen in dieser Form persönlich nicht. Ich denke es bedarf eines differenzierteren Blickes auf die aktuellen Geschehnisse in Venezuela. Die Frage der Ursache für die aktuellen Probleme in Venezuela ist auch innerhalb unserer Partei – wie sollte es bei einer so komplizierten Lage anders ein – sehr umstritten. Anders als sie sagen, steht im Antrag zwar nicht 'ausschließlich', aber: „Die Ursachen dafür liegen aber nicht vorrangig in Fehlern der Regierung Maduro, wie es viele Medien schreiben.“. Ich persönlich finde diese Formulierung trotzdem nicht richtig.

Mit dem sinkenden Ölpreis und der daraufhin ausbrechenden wirtschaftlichen Krise wurde eine verfehlte Wirtschaftspolitik offensichtlich, die auch im Laufe der sich verschlimmernden Zustände nicht korrigiert wurde. Dennoch ist auch hier anzumerken, dass die einseitige Ausrichtung auf Einnahmen aus dem Erdölsektor nicht erst mit Hugo Chavez begann, sondern seinen Ursprung in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts liegt. Diese ökonomischen Umstände waren Auslöser und Katalysator der politischen Krise, die von der von Anfang an überwiegend schwach agierenden Maduro-Regierung ebenfalls nicht angemessen bekämpft worden ist. Anstelle von Fehlereingeständnissen, Korrekturmaßnahmen und einer Mobilisierung zum Wirtschaftsaufschwung hat sich der lahm korrumpierte Verwaltungsmoloch damit begnügt ausländische Mächte und Saboteure zu beschuldigen und sich über die Ablehnung der Dialogangebote zu echauffieren. Das alles hat mit Sozialismus reichlich wenig zu tun. Dennoch darf man die unrühmliche Rolle der Oppositionsparteien in der Vergangenheit nicht ausblenden. Ein Teil der Opposition ist auf Grund ihrer Regierungsverantwortung vor der Chavez-Zeit direkt verantwortlich für die strukturellen Probleme des Landes. Aber auch in jüngerer Vergangenheit konnte die Opposition meiner Meinung nach keine Lösungsvorschläge für die ärgsten Problem des Landes liefern. Sie stellt für mich daher keine Alternative dar. Gleichzeitig gibt es aber ausländischen Druck auf Venezuela, der das Land in seiner Souveränität untergräbt und die politische Landschaft verzerrt. Insoweit müssen sich insbesondere die USA, aber auch andere Mächte mit ihren Einflussnahmen zurücknehmen und Kommentare wie Trumps Erwägung militärischer Optionen gehören strengstens zurückgewiesen.

In einem Punkt muss ich Ihnen deutlich widersprechen. Sie sagen: „Fakt ist jedoch, dass Präsident Maduro nicht erst seit zwei Wochen eine Diktatur in V. anstrebt und die Probleme (höchste Mordrate weltweit, fehlende Infrastruktur, Enteignung des Mittelstands etc.) alle hausgemacht und bereits durch Hugo Chavez initiiert wurden.“ Ich wage zwei Dinge zu behaupten, nämlich erstens, dass Maduro dieses Ziel nicht angestrebt und zweitens Chavez diese Probleme nicht initiiert hat. Erstens: Maduro ist schlichtweg unfähig einen anderen Kurs (wie oben beschrieben) einzuschlagen und verfährt sich nun gewaltig und das muss auch und insbesondere von links kritisiert werden. Die letzten drei bis vier Jahre in der venezolanischen Politik sind geprägt von einer endlosen Kette von immer heftiger werdenden Reaktionen. Es ist jedoch rein spekulativ über die Intention Maduros bzw. der Regierung etwas sagen zu wollen. Viel wichtiger ist jedoch die entstandenen Verhältnisse klar zu benennen: Es geht nicht an, dass das Parlament ohne Weiteres entmachtet, Zensur und Personalwillkür herrschen und die neuen Parteibonzen und erneut wenige Profiteure des „Prozesses“ sich auf Kosten der Mehrheit die Taschen voll stopfen und die Entscheidungsträger untätig bleiben, was die Problemlösungen betrifft. Der verfassungsmäßige Rahmen ist auch meiner Meinung nach bei einigen Maßnahmen verlassen worden.

Zweitens: Wie auch schon weiter oben angerissen, kann Chavez diese Probleme gar nicht initiiert haben, da sie schon lange vor seinem Amtsantritt bestanden haben. Vielmehr hat er an vielen Stellen erstmals eine wirksame Politik ins Rollen bringen können, die Menschen registriert, an die Wahlurnen, in angemessene Versorgungs- und Arbeitsverhältnisse, Wohnungen und Bildungsprogramme gebracht hat und sie mit einem kostenlosen Gesundheitssystem und Kulturangeboten versorgt hat. Allerdings ist natürlich vielen der heute krisenhaften Entwicklungen auch zu seinen Lebzeiten noch nicht nachhaltig entgegengesteuert worden – insbesondere wären da wirtschaftliche Diversifizierung und Produktivitätssteigerung, Infrastrukturausbau, Kriminalitäts- und Korruptionsbekämpfung zu nennen.

Diese Sicht auf die Dinge schmälert nicht die Dramatik der Probleme, aber sie ist differenzierter als die Schwarz-Weiß-Sicht, die man derzeit im Land selbst vermittelt bekommt. Ein Transformationsprozess in Venezuela ist wie in jedem anderen Land ein Prozess, der von starken Widersprüchen geprägt ist. Ich kann Ihren Frust daher nachvollziehen, bitte aber darum eine differenzierte und linke Kritik an den Geschehnissen zu wagen und das Feld nicht wieder der alten venezolanischen Rechten zu überlassen, deren Interessen und Politikstil wir seit Jahrzehnten kennen und der das Land kein Stück voranbringen wird – im Gegenteil.

Ich hoffe ich konnte Ihnen hinreichend antworten. Bitte zögern Sie nicht, nochmal nachzuhaken.

Herzliche Grüße

Steve Rauhut