Frage an Stephan Kühn von Felix S. bezüglich Verkehr
Sehr geehrter Herr Kühn!
Ich war sehr erfreut als die Bundesregierung den Nulltarif im ÖPNV in die Diskussion gebracht hat. Denn wenn die E-Autos kommen wird Autofahren so günstig, dass der ÖPNV mit Fahrpreisen kollabieren wird. Der VDV nennt 12 Mrd. Euro, die die Verkehrsbetriebe durch Fahrkarten verdienen. Heute höre ich in den Nachrichten dass der Solidaritätszuschlag 19 Mrd. Euro einbringt. Wäre es nicht besser, statt den Soli abzuschaffen, diesen zu nutzen den Nulltarif einzuführen? Damit lässt sich der ganze ÖPNV finanzieren und sogar deutliche Verbesserungen erreichen.
In den Fahrgeldeinnahmen sind auch die Steuergelder für den freigestellten Schülerverkehr enthalten. Wenn diese weiterhin an den ÖPNV gehen, können damit noch mehr Verbesserungen finanziert werden.
Ebenso kosten die Fahrpreise die Unternehmen und Gesellschaft einiges: Geldlogistik, Verwaltung der Tarife, Fahrkartenautomaten, Kartendrucker im Bus, Entwerter, Umlaufverlängerung der Busse durch Fahrkartenverkauf und Vorne-Einstieg, Aufwendungen der Fahrscheinkontrolle und der juristischen Ahndung des Schwarzfahrens. Alle Mittel, die hier frei werden können in einen besseren ÖPNV investiert werden.
Neue Arbeitsplätze im ÖPNV sparen 500 Euro für Hartz IV ein.
Der Soli bietet die einmalige Chance jetzt die Umsetzung des Nulltarifs einzuleiten und den ÖPNV dafür massiv auszubauen. Alle haben die Vorteile die der umweltfreundliche ÖPNV ökologisch und strukturell erzeugt. Auto und ÖPNV werden endlich optimal kombiniert. Verkehrsbetriebe werden verstärkt Busanhänger für Personen einsetzen, da die den Einstieg nicht mehr kontrollieren müssen, so dass die Platzkapazität recht preiswert deutlich ausgeweitet werden kann. Viele Züge könnten in Doppeltraktion fahren und es werden mehr Doppelstockzüge beschafft, wo die Bahnsteige nicht verlängert werden können.
Wäre es nicht besser, statt den Soli abzuschaffen jetzt mit einem fahrpreisfreien ÖPNV die Verkehrswende einzuleiten?
MfG. F. S.
Sehr geehrter Herr S.,
vielen Dank für Ihre Frage. Der öffentliche Nahverkehr ist ohne Zweifel ein wesentlicher Baustein der Verkehrswende, den wir deshalb besonders stärken müssen. Doch der Vorschlag, Bus und Bahn kostenlos anzubieten, ist derzeit kaum umsetzbar. Schon heute platzt er in vielen Städten aus allen Nähten. Mit einem kostenlosen Nahverkehr würde sich die Situation noch verschärfen.
Sie sprechen es selbst an: Der Nahverkehr muss deutlich ausgebaut werden. Deswegen muss der erste Schritt sein, dass in neue S-Bahnstrecken, mehr Fahrzeuge und mehr Personal in den Verkehrsbetrieben investiert wird. Dafür hat der Bund in den letzten 20 Jahren jährlich nur 300 Millionen Euro übrig gehabt. Bei der Sanierung der teilweise in die Jahre gekommenen ÖPNV-Infrastruktur hält sich der Bund bisher gänzlich raus. Wir Grüne im Bundestag setzen uns deshalb dafür ein, dass jährlich zwei Milliarden Euro in den Nahverkehr investiert werden. Die Gesetzesgrundlage, das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, wollen wir so anpassen, dass neben dem Neu- und Ausbau auch Sanierungen im Bestandsnetz finanziert werden können. Die Mittel aus dem „Soli“ sollten zur Finanzierung jedoch nicht genutzt werden: Der Solidarpakt II endet, obwohl gleichwertige Lebensverhältnisse bis heute nicht erreicht sind. Die Große Koalition hat sich entschieden, den Solidaritätszuschlag teilweise abzuschaffen. Für gleichwertige Lebensverhältnisse in den strukturschwachen Regionen im Osten wie im Westen ist aber weiter finanzielle Unterstützung erforderlich. Deswegen sollte der bestehende Solidaritätszuschlag durch einen neuen „Soli für gleichwertige Lebensverhältnisse“ abgelöst werden. Die Investitionen in den Nahverkehr wollen wir stattdessen über den Abbau umweltschädlicher Subventionen gegenfinanzieren. Alleine der Rabatt auf Dieselkraftstoff führt beispielsweise dazu, dass dem Staat jedes Jahr mehr als acht Milliarden Euro fehlen, die für die Verkehrswende dringen benötigt werden.
Für mich ist aber auch klar: Statt den Bürgerinnen und Bürgern sofort einen kostenlosen Nahverkehr zu versprechen, wäre für Fahrgäste schon etwas gewonnen, wenn die Preisspirale mit jährlich steigenden Fahrpreisen durchbrochen würde. So könnte der Bund preisdämpfend wirken, indem er zum Beispiel die Stromsteuer im Nahverkehr sofort abschafft. Dass ein Preissignal zusammen mit einem ÖPNV-Ausbau positive Auswirkungen haben können, zeigt sich in Wien. So zahlt man dort, sofern man sich für eine Jahreskarte entscheidet, nur einen Euro am Tag für die „Öffis“. In ländlichen Regionen wären viele Menschen froh, wenn überhaupt regelmäßig ein Bus fahren würde. Deswegen muss der Ausbau des Nahverkehrs Hand in Hand mit einer Mobilitätsgarantie für den ländlichen Raum gehen - also mindestens ein stündlicher Takt zwischen größeren Orten und flexiblen Angeboten bis zur Haustür.
Neben einem günstigeren Fahrpreis und mehr Kapazitäten müssen wir auch dafür sorgen, dass der Nahverkehr nicht mehr so unübersichtlich und kompliziert ist. Insgesamt 66 Verkehrsverbünde und über 130 Tarifgebiete gibt es in Deutschland. Das ist eine absurde Kleinstaaterei aus unterschiedlichen Tarifen und Beförderungsbestimmungen. Bus- und Bahnfahren muss für die Fahrgäste schlicht einfacher werden. Unser grüner Vorschlag ist ein MobilPass, der es ermöglicht, sämtliche Angebote des öffentlichen Verkehrs wie auch Car- und Bike-Sharing aus einer Hand zu buchen und zu bezahlen.
Mit freundlichen Grüßen
Stephan Kühn