Frage an Stephan Kühn von Birger H. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Kühn,
ich bin ein Mensch mit Behinderung, arbeite in einer WfbM, bekomme aufstockend Sozialleistungen. Zur Zeit mache ich ein Außenpraktikum, aus dem sich ein Außenarbeitsplatz entwickeln könnte, bekomme monatlich Verpflungsgeld gemäß dem zwischen Kostenträger und WfbM vereinbarten Regelsatz, und von der WfbM eine Sonderzulage von 50 €/Monat. Jetzt meine Fragen:
1. Ist es rechtens, daß vom Sozialamt - ich bekomme derzeit Erwerbsminderungsrente und aufstockende Grundsicherung (Wohngeld beantragt, aber noch nicht entschieden) - diese 50 € Sonderzulage als regelmäßige Einnahme angerechnet werden? Nach Auskunft des Begleitenden Dienstes der Werkstatt wurde dies noch bisher bei keinem anderen der Beschäftigten, die ein Praktika bzw. Außenarbeitsplatz haben, von den Sozialleistungsträgern so gehandhabt.
2. Erklären Sie mir bitte, wie man sich vernünftig und vollwertig von einem Regelsatz von 2,00 € / Tag ernähren soll, wenn die Preise außerhalb einer WfbM nunmal zum Teil für ein Mittagessen (und um dies geht es hier) deutlich höher liegen.
3. Welche Anstrengungen will die Deutsche Bundesregierung in Sachen Inklusion verfolgen, damit nicht - wie bisher - Beschäftigte, die in einer Werkstatt gearbeitet haben, ihre rentenrechtlichen Ansprüche, die sie bei Verbleib in der Werkstatt von maxmimal 20 Jahren - diese beziehen dann nämlich 80 Prozent des Durchschnittslohns eines normalen Arbeitsnehmers (fiktiver Basispunkt) - verlieren, bzw. im Alter nur eine Art Mindestrente erhalten, die deutlich niedriger liegt, wenn sie vor Ablauf dieser 20 Jahre einen Arbeitsplatz außerhalb der WfbM erhalten - was im Sinne der Inklusion wäre. Ich finde, hier muß die Deutsche Bundesregierung deutlichst nachbessern! Ich sehe hier auch nicht den Gleichheitsgrundsatz gegenüber nichtbehinderten Arbeitnehmern verletzt, weil nichtbehinderte Arbeitnehmer mit deutlich weniger Einschränkungen zurecht kommen müssen als Behinderte Arbeitnehmer!
MfG
Ihr
Birger Höhn
Sehr geehrter Herr Höhn,
vielen Dank für Ihre Fragen. Ich möchte Ihnen wie folgt antworten:
Was Ihre Frage bzgl. der Sonderzulage als regelmäßiges Einkommen angeht, so kann ich diese leider nicht genau beantworten. Ich persönlich bin kein Jurist, kenne die Einzelheiten Ihres Falles nicht und kann somit aus der Ferne die Un- bzw. Rechtmäßigkeit des Vorgehens des Amtes nicht einschätzen. Daher würde ich Ihnen empfehlen, sich fachkundige anwaltliche Beratung einzuholen. Beim örtlichen Bürgeramt können Sie weitere Informationen hinsichtlich konkreter Beratungsstellen einholen.
Von 2 € am Tag kann man natürlich seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten, da haben Sie völlig Recht. Genau aus diesem Grund, weil Werkstattbeschäftige sehr wenig verdienen, sind sie in der Regel auf Leistungen der Grundsicherung (Viertes Kapitel SGB XII) angewiesen. Wer im Arbeitsbereich einer WfbM beschäftigt ist, gilt als voll erwerbsgemindert und hat daher auf Antrag Anspruch auf Grundsicherung bei Erwerbsminderung. Die Grundsicherung ist eine Leistung der Sozialhilfe, daher gelten auch ihre Grundsätze zum Einsatz eigenen Einkommens und Vermögens.
Wir Grünen teilen Ihre Ansicht, dass die Bundesregierung die Möglichkeiten verbessern muss, um Menschen mit Behinderung, die in einer Werkstatt arbeiten oder gearbeitet haben, den Wechsel auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu erleichtern. Gerade auch im Hinblick auf die steigende Zahl von Menschen, die einer Arbeit in einer Werkstatt nachgehen, muss endlich etwas passieren. Allerdings hat die Bundesregierung bisher nicht zu erkennen gegeben, dass sie mit großen Schritten vorangehen möchte. Sie hat weder ein grundsätzliches Konzept vorgelegt, wie sie die Chancen auf einen Arbeitsplatz jenseits der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) verbessern möchte, noch sich klar zu einem bundesweiten Budget für Arbeit bekannt, das bereits in zwei Bundesländern (Rheinland-Pfalz und Niedersachsen) existiert. Mit dem Budget für Arbeit arbeiten Menschen mit einer Beeinträchtigung außerhalb von Werkstätten in ganz normalen Betrieben und werden nach Tarif bezahlt. Die Arbeitgeber machen dank Lohnzuschüssen keine Verluste und die Menschen mit Behinderung erhalten einen besseren Lohn als in der Werkstatt. Allerdings, verlieren sie so ihren Anspruch auf die Erwerbsminderungsrente nach 20 Jahren. Ihre Rentenansprüche sind dann aber die gleichen, wie sie auch nichtbehinderte Menschen haben.
Wir setzten uns dafür ein, dass mehr Möglichkeiten für behinderte Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt geschaffen werden und fordern die Bundesregierung auf, nicht weiter tatenlos zuzusehen, sondern sich aktiv für mehr Inklusion einzusetzen.
Mit freundlichen Grüßen
Stephan Kühn