Frage an Stephan Kühn von Thomas S. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Kühn,
Der ESM-Vertrag gleicht einer Art "Ermächtigungsgesetz":
Art. 8, Abs. 1 Das genehmigte Stammkapital beträgt 700 Milliarden EUR.
Art. 10, Abs. 1 [...] Der Gouverneursrat kann beschließen, das genehmigte Stammkapital zu verändern und Artikel 8 [...] entsprechend zu ändern.
Das Stammkapital (und damit Deutschlands Anteil) kann nach belieben (!) erhöht werden.
Art. 32 Abs. 3 Der ESM, sein Eigentum, seine Mittelausstattung und seine Vermögenswerte genießen unabhängig davon, wo und in wessen Besitz sie sich befinden, Immunität von gerichtlichen Verfahren jeder Art [...]
Art. 32 Abs. 4 Das Eigentum, die Mittelausstattung und die Vermögenswerte des ESM genießen [...] Immunität von Durchsuchung, Beschlagnahme, Einziehung, Enteignung und jeder sonstigen Form des Zugriffs durch vollziehende, gerichtliche, administrative oder gesetzgeberische Maßnahmen.
Art. 35 Abs. 1 Im Interesse des ESM genießen der Vorsitzende des Gouverneursrats, die Mitglieder des Gouverneursrats, die stellvertretenden Mitglieder des Gouverneursrats, die Mitglieder des Direktoriums, die stellvertretenden Mitglieder des Direktoriums sowie der Geschäftsführende Direktor und die anderen Bediensteten des ESM Immunität von der Gerichtsbarkeit hinsichtlich ihrer in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen und Unverletzlichkeit hinsichtlich ihrer amtlichen Schriftstücke und Unterlagen.
Der ESM und seine Mitarbeiter befinden sich in einem rechtsfreien Raum!!!
Der ESM erhält beliebig viel Geld. Was mit dem Geld geschieht, unterliegt keiner Kontrolle. Gerichtsbarkeit und demokratische Legitimation sind nicht vorhanden. Mit dem ESM-Vertrag wird ein "Ermächtigungsgesetz" installiert. Werden Sie dem ESM-Vertrag am 29. Juni zustimmen? Können Sie den Wählern und Wählerinnen verdeutlichen, warum sie in den Artikeln und dem ESM insgesamt keine Probleme sehen?
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Steiding
Sehr geehrter Herr Steiding,
vielen Dank für Ihre Nachricht. Ich beabsichtige dem dauerhaften Europäischen Stabilitätsmechanismus zuzustimmen, weil er eine notwendige Brandmauer zur Eindämmung der europäischen Schuldenkrise ist. Dieses Instrument ist wichtig, damit die Länder Zeit gewinnen können, um die notwendigen Maßnahmen zur nachhaltigen Überwindung der Krise zu ergreifen. Dabei gilt das Prinzip: Hilfe in Form von Krediten gibt es nur, wenn das Land seinen Haushalt in Ordnung bringt und die Wettbewerbsfähigkeit durch Reformen stärkt. Zudem setzt sich meine Fraktion dafür ein, dass die Parlamentsbeteiligung so ausgestaltet wird, dass das Plenum über grundlegende Fragen, beispielsweise, ob ein Land unter den Rettungsschirm kommt oder über die Höhe der Gewährleistung, entscheiden muss. Die Kosten des Nichthandelns wären enorm. Viel zu eng ist inzwischen die wirtschaftliche Verflechtung zwischen den Mitgliedstaaten, als dass ein Herausbrechen einzelner Staaten ohne massiven Schaden für alle Beteiligten möglich wäre. Die europäische Integration hat Europa Frieden und Wohlstand, der Euro Wechselkurs- und Geldwertstabilität gebracht. Politisch brauchen wir eine starke und handlungsfähige EU, um den globalen Herausforderungen begegnen zu können. Deutschland allein hat in einer globalisierten Welt auf Dauer kein Gewicht – wir brauchen Europa. Deshalb kann der ESM nur ein Element der finanzpolitischen Zusammenarbeit in Europa sein. Wir brauchen einen starken Stabilitäts- und Wachstumspakt mit klaren Regeln zur Vermeidung von übermäßiger Verschuldung, eine Wirtschaftsregierung, die Fehlentwicklungen in einzelnen Staaten frühzeitig erkennt und eine Kultur finanzpolitischer Verantwortung. Dafür muss sich die Bundesregierung in Brüssel einsetzen – ohne Wenn und Aber.
Mit freundlichen Grüßen
Stephan Kühn