Sehr geehrter Herr MdL Hösl, was sagen Sie zu dem neuen umstrittenen Wahlrechtsgesetz, dem gegenwärtigen Rechtsstreit vor dem BVG in Karlsruhe und zu meinem Vorschlag für ein neues Wahlrechtsgesetz?
Sehr geehrter Herr Hösl,
mein Vorschlag für ein neues Wahlrechtsgesetz:
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"Die BRD wird genau auf 300 Wahlkreise aufgeteilt und die jeweils zwei
besten *Direktkandidaten* ziehen dann in den neuen Bundestag ein.
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Keine 5 % Hürde und keine Überhangsmandate.
600 Bundestagsabgeordnete für
Deutschland ist ausreichend.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr potenzieller Wähler
Erhard J.
Sehr geehrter Herr J.,
ich bedanke mich für Ihre Anfrage und möchte auf diese wie folgt antworten:
Das 2023 geänderte Wahlrecht ist aus meiner Sicht fragwürdig. In seiner jetzigen Form steht es für mich in direktem Widerspruch zum demokratischen Wahlprozess, bei dem die Wählerstimmen für den/die Abgeordneten zumindest hälftig über die Besetzung von Landes- und Bundesparlamenten entscheiden sollten.
Ein Direktkandidat kann den Wahlkreis gewinnen und dann – aufgrund der nun geltenden Gesetzgebung – doch nicht in den Bundestag einziehen. Das widerspricht ganz klar dem zum Ausdruck gebrachten Wählerwillen im jeweiligen Wahlkreis. Hintergrund ist die drastische Reduzierung der sog. Überhang- und Ausgleichsmandate. Dem Grundgedanken dabei kann ich insoweit zustimmen, als die teils starke Vergrößerung des Bundestags auf aktuell mehr als 700 Abgeordnete nicht nur räumlich, sondern auch finanziell eine Herausforderung ist.
Geht man von der Mindestanzahl der aktuell noch 598 Sitze im Deutschen Bundestag aus, zeigt sich schnell, dass die Umsetzung der Überhang- und Ausgleichsmandate zu fast 200 mehr Abgeordneten führten als ursprünglich vorgesehen. Aus diesem Grund war eine Gesetzesänderung dringend erforderlich. Die Hälfte (299) der Sitze im Bundestag wurden bis 2023 per Direktwahl besetzt. Die Vergabe der anderen 50 % erfolgte über die Landeslisten der Parteien. Mit dieser Regelung wurde das Stimmenverhältnis der Parteien entsprechend der Wählerstimmen umgesetzt. Das ist nun so nicht mehr möglich. Die daraus entstehende Diskrepanz zwischen direktem Wählerwillen und der prozentualen Sitzverteilung über die Landeslisten beschäftigt daher auch das Bundesverfassungsgericht.
Zu Ihrem Vorschlag für eine Reform des Wahlrechts beziehe ich wie folgt Stellung:
Aus eigener Erfahrung vor Ort kann ich sagen, dass eine Abschaffung der 5%-Regelung mehr Nach- als Vorteile hat. Länder, in denen eine solche Vorgabe für den Einzug in ein Landes-/Bundesparlament fehlt, sind in besonderer Weise herausgefordert, Entscheidungen zu treffen und die dafür notwendigen Mehrheiten zu gewinnen.
Insofern halte ich die Vorgabe einer prozentualen Hürde per se für nachvollziehbar und sinnvoll. Generell könnte überlegt werden, ob mit einer Senkung auf 3% dem zugrundeliegenden Ursprungsgedanken genauso Rechnung getragen werden kann.
Die von Ihnen vorgeschlagene Änderung, dass aus insgesamt 300 Wahlkreisen in Deutschland jeweils die beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen als gewählt gelten, entspricht dem hohen Wert der Direktwahl. Außer Acht gelassen wird dabei, dass es auch hier zu Unausgewogenheit kommen kann, wenn dadurch z.B. die meisten Stimmen tatsächlich nur an zwei Parteien gingen. Partei A mit den bundesweit meisten Stimmen würde dann die Regierung stellen, Partei B wäre in der Opposition. Wäre dieses Ergebnis durch eine vergleichsweise geringe Wahlbeteiligung zustande gekommen, müsste man festhalten, dass es durch den Wegfall der Stimmen derer, die gänzlich anders gewählt haben, nicht den Wählerwillen repräsentiert. Das zeigt, auch bei einem vereinfachten Vorgehen gibt es Hürden, die bedacht werden müssen.
Eine Reform des Wahlrechts finde ich mehr als angebracht. Die Würdigung der per Direktwahl gewonnenen Wahlkreise als direkten Bürgerwillen wäre mir dabei ein besonderes Anliegen. Dennoch müssen auch die erreichten Stimmen der Parteien in der Sitzverteilung berücksichtigt werden. In welcher Form das erfolgen kann, um zum einen dem Gleichheitsansatz noch Rechnung tragen zu können, aber auch ein unnötiges Anwachsen der Abgeordnetenzahlen zu vermeiden, bedarf gründlicher Überlegungen. Eine kurzfristige Änderung halte ich daher für nicht umsetzbar oder zielführend.