Frage an Stephan Beyer von Stefan G. bezüglich Verbraucherschutz
Sehr geehrter Herr Beyer,
wie stehen Sie zur Vorratsdatenspeicherung und den Internetsperren?
Sie treten für Volksentscheide ein. Warum? Kennen sie den Verein "Mehr Demokratie e.V."? Engagieren Sie sich dort? Haben Sie noch andere politische Betätigungsfelder?
Mit freundlichen Grüßen
Stefan Günther
Sehr geehrter Herr Günther,
vielen Dank für Ihre kurzen Fragen, auf die ich leider nur lang und ausführlich antworten kann. Ich versuche dennoch nicht völlig ab- und auszuschweifen. :-)
Die Vorratsdatenspeicherung (VDS) und die Internetsperren haben aus meiner Sicht eines gemeinsam: sie birgen mehr Gefahren als sie vor Gefahren schützen.
Zuerst zur VDS. Vorratsdaten machen es einfach, zu sehen, wer wann und wo mit wem (per E-Mail, Telefon, SMS) kommuniziert hat, welche Webseiten im Internet besucht wurden, usw. Dies lässt sich bis zu 6 Monate im Nachhinein nachvollziehen. Wissen Sie noch, welche Webseiten sie vor sechs Monaten besucht haben?
Gemacht wurde das Gesetz um bei terroristischen Gefahren präventiv eingreifen zu können. Von der Überwachung betroffen sind aber nicht nur potenzielle Terroristen, sondern alle Bürger. Die realen "Gefährder", vor denen das Gesetz schützen soll, werden auf unüberwachte Kommunikationsmedien ausweichen.
In Verbindung mit der VDS wird der Terminus "Überwachung" oft heruntergespielt mit dem Hinweis darauf, dass nicht die Inhalte von Telefonaten und E-Mails gespeichert werden, sondern nur die Verkehrsdaten. Allerdings reichen diese Verkehrsdaten völlig aus, um gewisse Schlüsse zu ziehen (Verdachtsmomente, die einen Lauschangriff, eine Online-Durchsuchung oder Ähnliches rechtfertigen können) und es ist auch viel leichter algorithmisch auswertbar als eine riesigere Datenflut von Inhalten.
Die Ängste vor einem drohenden Überwachungsstaat sind ebenso gerechtfertigt. Ich halte es für naiv, von einer den Bürgern stets und für immer wohlgesonnenen Regierung auszugehen. Macht wirkte schon zu oft in der Geschichte wie eine Droge und verleitet zum Machtmissbrauch. Auf diesen Lehren basiert schließlich unsere freiheitliche Demokratie mit Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und auch Föderalismus. Gewaltenteilung - der ganze Aufwand wäre nicht notwendig, wenn Bürger ihrer Regierung immer trauen könnten.
Aber nicht nur vom Staat geht durch die VDS Gefahr aus. Auch die speichernden Unternehmen bzw. deren Mitarbeiter könnten mit den erhobenen Daten ihr Gehalt nicht unerheblich aufbessern. Sechsmonatige Bewegungs- oder Interessensprofile eines Kunden; was die wohl wert sind?
Statt Daten auf Vorrat zu speichern sollte man also mehr Datensparsamkeit und einen schärferen Datenschutz wagen.
Nun komme ich zu den Internetsperren. Kaum ein anderes Thema hat die Netzwelt in den letzten Wochen und Monaten mehr bewegt. Auch hier stehe ich auf der Seite der Kritiker.
Abgesehen von den Vorwürfen, dass eine unüberprüfbare Zensurinfrastruktur aufgebaut wird, halte ich die Netzsperren - die ja den Zugang zu "Kinderpornographie" erschweren sollen - für kontraproduktiv, denn sie schützen die Täter bzw. die Konsumenten. Wer gezielt auf der Suche nach "Kinderpornographie" auf ein STOPP-Schild stößt, der ist gewarnt und wird auch hier auf andere Wege ausweichen. Falls man überhaupt vom "Ausweichen" reden kann, denn der Austausch des widerwärtigen Materials findet ja sowieso zumeist offline statt. (Aus Zeitgründen erspare ich mir jetzt die Suche nach Quellen. Die Webseite des Vereins "MissbrauchsOpfer Gegen InternetSperren" (MOGIS, http://mogis.wordpress.com/ ) dient sicher als Starthilfe.)
Ironischerweise machen die "Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein"-Politiker das Internet zum rechtsfreien Raum. Löschen statt sperren und, wenn man an sie herankommt, die Verantwortlichen konsequent anklagen wäre viel effektiver als die Sperren. Dass die Devise "Löschen statt Sperren" funktioniert, wurde eindrucksvoll gezeigt: mittels Abuse-Mails oder Abuse-Anrufen an die Hosting-Firmen konnte (teils binnen 12 Stunden und teils binnen 2 Tagen) das in allen Ländern rechtswidrige Material von mehr als 60 Servern entfernt werden.
Damit haben die Gegner der Internetsperren in kürzerer Zeit mehr gegen "Kinderpornographie" im Internet getan als das BKA oder die Bundesregierung mit ihrer ganzen Symbolpolitik. Warum das BKA nicht genauso vorgeht, sondern sich über ein sensibles Thema mehr Macht in die Hände geben lässt, bleibt mehr oder weniger offen.
Was oft vergessen wird: Das eigentlich Problem ist nicht die "Kinderpornographie" an sich, sondern der Kindesmissbrauch, der davor - zumeist von Familienangehörigen - stattfindet. (Das, was "Kinderpornographie" genannt wird, ist die Dokumentation des Missbrauchs mit Fotos und Videos.) Hier müsste man also vorallem ansetzen, um unsere Kinder zu schützen. Dies erreicht man aber nicht durch Wegschauen (Sperren), sondern indem man beispielsweise Initiativen zur präventiven Therapie von Pädophilen fördert (wie z.B. "Kein Täter werden" des Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin der Charité in Berlin), und indem man die Täter konsequenter verfolgt und indem man den Kindern kindgerecht beibringt, Missbrauchsversuche zu erkennen und Eltern oder Erziehern zu melden.
Ich habe nur jeweils einen Aspekt der beiden Themen behandelt, aber ich denke, dass verdeutlicht Ihnen, dass ich sowohl gegen die Vorratsdatenspeicherung als auch gegen die Internetsperren bin.
Übrigens: Am 12.9.2009 findet die Demonstration "Freiheit statt Angst" ( http://www.freiheitstattangst.de/ ) statt. In Berlin, aber auch bundesweit und weltweit. Ich hoffe, dass diese Demonstration für Sie ebenso ein Pflichttermin ist, wie für mich.
Nun zu Ihrer zweiten Frage, warum ich für Volksentscheide eintrete.
Als ich als Kind das allererste mal mit Politik über das Fernsehen in Berührung kam, habe ich mich gefragt, wieso das Volk eigentlich nicht selbst über seine Angelegenheiten entscheidet und stattdessen irgendwelche Personen wählt, die das für sie tun.
Kindliche Naivität? Ein bisschen. Eine reine direkte Demokratie wäre wohl nicht machbar, zumindest nicht mit der jetzigen Anzahl der parlamentarischen Entscheidungen. Aber: Elemente der direkten Demokratie sind ergänzend zu einer parlamentarischen Demokratie nötig!
Hierzu zähle ich beispielsweise die dreistufige Volksgesetzgebung, bei der die Gesetzesinitiative vom Volk und nicht ausschließlich im Bundestag stattfindet. Dieses Verfahren mit Volksinitiative, Volksbegehren und, falls das Parlament bzw. die Regierung vorher nicht einlenkt, Volksentscheid, ist auch auf Bundesebene und EU-Ebene umsetzbar und dient dazu, notwendige Vorhaben durchzusetzen, an die sich eine Regierung nicht herantraut oder die eben einfach von Regierungsseite her nicht gewollt sind, aber dennoch von einer Mehrheit der Bevölkerung.
Ebenso wichtig, wenn nicht noch wichtiger, sind aber Referenden, bei denen über Parlamentsentscheide (oder tiefgreifenden Gesetzesinitiativen aus dem Parlament) vom Volk nochmal direkt abgestimmt werden kann.
Weiterhin ist ein weiterentwickeltes Petitionssystem, mehr Transparenz im Staats- und Verwaltungswesen und breite, voneinander unabhängige Informationsmöglichkeiten (Medien) für die Bürger wichtig.
Aus meiner anfänglichen kindlichen Naivität hat sich also der Wille entwickelt, unsere Demokratie konsequent weiterzuentwickeln.
Nun zu Ihren letzten drei Fragen, auf die ich glücklicherweise kurz antworten kann.
Ja, ich kenne (und sympathisiere seit mehreren Jahren) mit dem Verein "Mehr Demokratie e.V.", aber ich bin kein Mitglied, engagiere mich also nicht dort. (Mit der Kandidatur "FÜR VOLKSENTSCHEIDE" versuche ich das Thema Volksentscheide explizit wählbar zu machen, da Mehr Demokratie außerparlamentarisch auf Bundesebene eben noch nichts bewirken konnte.)
Ja, ich habe auch noch andere politische Interessen und bin auch in anderen bürgerrechtlichen und politischen Verbänden. Ich denke aber, dass das Mehr an politischer Mitbestimmung von grundlegenderer Bedeutung ist, da sonst alle guten politischen Initiativen weiterhin ignoriert werden wie eine von 140.000 Menschen unterstützte Online-Petition...
Ich hoffe, ich konnte Ihre Fragen zufriedenstellend beantworten.
Falls noch etwas offen geblieben ist oder sich neue Fragen gebildet haben, dann trauen Sie sich ruhig, nachzufragen.
Mit freundlichen Grüßen,
Stephan Beyer