Frage an Stefanie von Berg von Charlotte R. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Dr. v. Berg,
vom 1.11.2011 bis 30.4.2013 war ich Lehramtsreferendarin. Meine Prüfungen habe ich hochschwanger abgelegt. Der Mutterschutz begann am 04.05.
Vier Tage, die bewirkten, dass ich KEINERLEI finanzielle Unterstützung erhalte. Auf Mutterschaftsgeld hatte ich keinen Anspruch – Referendare sind schließlich Beamte auf Widerruf und können es sich ohne Arbeitgeberzuschuss nicht leisten, gesetzlich krankenversichert zu sein. Neben der fehlenden Versorgung während der Schutzfrist sollte ich zusätzlich die private KV selbst bezahlen – ca. 300€! Dies ist ein nicht zu bewältigender Kostenfaktor für eine ehemalige Referendarin. Anspruch auf Arbeitslosengeld habe ich auch nicht.
Während der letzten drei Monate des Referendariats habe ich daher parallel zu den Prüfungen Mehrarbeit geleistet. Und auch während der Schutzfrist musste ich weiter arbeiten – bis zwei Wochen vor der Geburt. Denn trotz guter Noten, Auslandserfahrung und 2-jähriger Tätigkeit im sozialen Brennpunkt, 1 ½ Jahre davon als Beamtin, wären mein Kind und ich finanziell nicht abgesichert gewesen - aufgrund von vier Tagen, und weil der Staat mein letzter Arbeitgeber war.
Einer Frau, die in ihrem Leben noch nie gearbeitet hat, stehen Leistungen über insgesamt 927,52€ zu, plus Miete, KV und verschiedene Zuschüsse. Damit ist diese Frau besser gestellt als ich, selbst bei Bezug von Wohngeld.
Ich verstehe den Sozialstaat nicht, der für die einen Gesetze schafft und für die anderen nicht. Man mag einwenden, ich sei ein seltener Fall – aber gewiss kein Einzelfall! Auch für andere Gruppen, z. B. Studentinnen, kann Muttersein zu einer Existenzfrage werden.
Ich frage mich:
Wie ist es angesichts der Klagen, Akademikerinnen bekämen zu wenig Kinder, möglich, dass ich mich in derartigen finanziellen Nöten wiederfinde?
Wie ist es möglich, dass der Staat, mein Arbeitgeber, keinerlei Sorge für mich trägt? Hingegen durchaus für jemanden, der nicht arbeitet?
Mit freundlichen Grüßen,
Charlotte Richter
Sehr geehrte Frau Richter,
zunächst herzlichen Dank für Ihre E-Mail. Ich kann und werde Ihnen aus zwei Perspektiven antworten: Zunächst als Politikerin, dann aber auch als Lehrerausbilderin und Leiterin des Studienseminars Stade.
Zu meiner politischen Sicht: Es ist in der Tat ein großes Problem, dass ReferendarInnen nach ihrem Vorbereitungsdienst in ein derartiges finanzielles Loch fallen, was ja auch dadurch bedingt ist, dass sie keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben. Ein anderes Problem, die Krankenversicherung, wollen wir in der nächsten Legislaturperiode - wenn wir denn gewählt werden - lösen: wenn eine Bürgerversicherung eingeführt wird, gibt es keinen Unterschied mehr zwischen der gesetzlichen und der privaten Versicherung. Gerade diese Diskrepanz ist in Fällen wie Ihren fatal: Gelockt durch niedrige Beiträge sind die Betroffenen quasi gezwungen, in der Privaten zu bleiben.
Ich möchte dennoch dringend davor warnen, Ihren Fall mit dem einer "Frau, die noch nie in ihrem Leben gearbeitet hat, aber xxx € erhält" zu vergleichen. Dies kann leicht zu einer politischen Schieflage führen. Oft haben diese Frauen ihren (traurigen) Grund, warum sie nicht gearbeitet haben. Darum setze ich mich als Frauenpolitikerin auch für die eigenständige Existenzsicherung von Frauen ein.
Was meine Sicht als Leiterin des Studienseminars anbelangt: Ihre Geschichte ist kein Einzelfall. Oft ist das Bestehen der Prüfung mit einem großen finanziellen Risiko verbunden - das trifft leider auch auf Niedersachsen zu. Und ich gebe Ihnen Recht: Das darf nicht sein.
Freundliche Grüße,
Stefanie v. Berg