Warum hat mein behindertes Pflegekind in der Werkstatt nur 20 Tage Urlaub?
Sehr geehrte Frau Drese,
mein Pflegekind ist aufgrund seiner Behinderung nicht produktiv tätig und besucht eine Werkstatt, die keinen wirtschaftlichen Ertrag erzielt. Trotzdem hat es nur 20 Tage Urlaubsanspruch. Das erscheint mir sehr ungerecht, insbesondere vor dem Hintergrund der besonderen Belastungen und Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung. Außerdem fällt mir immer wieder auf, dass es viele Widersprüche zwischen der gesetzlichen Gleichstellung von Menschen mit Behinderung und der Realität gibt. Was können wir tun, um diese Diskrepanzen zu verringern?
Mit freundlichen Grüßen
Brit S.
Sehr geehrte Frau S.,
vielen Dank für Ihre Frage.
In der Tat stimmen die rechtliche Gleichstellung von Menschen mit und ohne Behinderungen nicht immer in allen Lebensbereichen mit der Realität überein. Ich setze mich deshalb stetig dafür ein, Barrieren jeglicher Art abzubauen und die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen weiter zu stärken. Als Landesregierung haben wir einen eigenen Maßnahmenplan 2.0 zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention für eine gleichberechtigte Teilhabe in Mecklenburg-Vorpommern. Der Maßnahmenplan enthält 126 konkrete Maßnahmen, von denen etwa ein Drittel bereits umgesetzt sei.Dennoch bleibt noch einiges zu tun, um für Menschen mit Behinderungen vom Prinzip der Fürsorge hin zu einer selbstbestimmten und gleichberechtigten Teilhabe zu gelangen.
Aus meiner Sicht sollte ihr Pflegekind eine individuelle Absprache mit der Tagesgruppe bei der Werkstatt entsprechend dem Bedarf zur Abwesenheit treffen. Dies würde auch dem gesetzlichen Grundsatz der Personenzentrierung Rechnung tragen. Menschen mit Behinderungen können je nach ihrem Bedarf unter anderem in einer Tagesgruppe betreut werden oder in einer Werkstatt arbeiten. Bis zum Jahr 2019 galten oft die gleichen Regeln für Urlaub und Freistellung in Werkstätten und in Tagesgruppen.
Seit 2020 ein weiterer Teil des Bundesteilhabegesetzes in Kraft trat, gelten unterschiedliche Regeln für Beschäftigte in Werkstätten und Besuchende von Tagesgruppen. Die Beschäftigung in einer Werkstatt ist eine Hilfe zur Teilhabe am Arbeitsleben und einem Arbeitsverhältnis sehr ähnlich. Dort gilt das Urlaubsgesetz. In der Werkstatt gibt es deshalb meist 28 Tage Urlaub im Jahr. Menschen mit einer Schwerbehinderung haben sogar Anspruch auf fünf zusätzliche Urlaubstage.
In der Tagesgruppe werden die Menschen besonders gefördert. Tagesgruppen sind Leistungen zur sozialen Teilhabe. Das gilt bundesrechtlich nicht als Arbeit oder arbeitsähnlich, auch wenn es manchmal anstrengend ist. Gesetzliche Urlaubsansprüche gibt es für diesen Bereich nicht. Wie die Teilhabeleistung konkret aussieht, wird für jeden einzelnen Menschen im Vorfeld geprüft und vom Leistungsträger beschieden.
Die Anbieter von Tagesgruppen als Leistungserbringer und die Leistungsträger haben sich unter anderem auf Regeln zur Weiterfinanzierung des Angebotes bei Abwesenheit der Besuchenden in Tagesgruppen verständigt. Sie gehen von durchschnittlich 20 Abwesenheitstagen aller Besuchenden in Tagesgruppen aus. Dies stellt eine Abrechnungsgrundlage dar, weil das für den Durchschnitt aller Besuchenden von Tagesgruppen als ausreichend angesehen wird.
Aber: Nicht alle Menschen haben den gleichen Bedarf. Deshalb soll die Freistellung für jede Person in einer Tagesgruppe konkret verabredet werden. Wer zum Beispiel jedes Jahr 28 Tage mit seiner Familie in den Urlaub fahren möchte, kann dies mit dem Betreiber der Tagesgruppe und mit dem Leistungsträger besprechen.
Freundliche Grüße
Stefanie Drese