Frage an Stefan Zierke von Tim G. bezüglich Verkehr
Sehr geehrter Herr Zierke,
laut Medienberichten planen Sie mit Ihrer Fraktion eine Absenkung der Promillegrenze für Radfahrer.
http://www.spiegel.de/auto/aktuell/spd-will-promillegrenze-fuer-radfahrer-senken-a-1093449.html
Dazu hätte ich folgende Frage: Welche Notwendigkeit gibt es dafür? Dass ab einer gewissen Blutalkoholkonzentration die Ausfallerscheinungen zunehmen, ist ja nicht neu. Aber welche Gefahren gehen davon tatsächlich für den Radfahrer und vor allem für andere Verkehrsteilnehmer aus? Gibt es da irgendwelche signifikanten Steigerungen verzeichnen, die ein Einschreiten des Gesetzgebers notwendig machen und rechtfertigen würden? Wie hoch ist überhaupt die Zahl von Unfällen, die durch alkoholisierte Radfahrer verursacht werden? Also Unfälle, mit anderen Verkehrsteilnehmern, die dabei zu Schaden kommen? Wie hoch ist die Zahl der alkoholbedingten Stürze, bei denen keine weiteren Personen außer dem Radfahrer selbst zu Schaden kommen? Und gibt es bei all diesen Vorkommnissen irgendwelche Steigerungen zu verzeichnen, die den Aktivisumuss und die damit verbundenen Strafandrohungen rechtfertigen würden? Kann ja sein, aber dann wüsste man es gern. Aus welchen Gründen meint der Staat, die Betroffenen und die Allgemeinheit so restriktiv vor Alkohol am Fahrradlenker beschützen zu müssen?
Sehr geehrter Herr Gerber,
für Ihre Anfrage danke ich Ihnen sehr herzlich. Gerne erläutere ich Ihnen, weshalb eine angepasste Promillegrenze für Radfahrer angezeigt ist.
Technologische Innovationen und neue Angebote wie Pedelecs, E-Bikes und Lastenräder steigern den Aktionsradius und die Nutzungsvielfalt des Fahrrads und fördern auf diese Weise dessen Attraktivität. Längst hat der Radverkehr den Ruf überwunden, lediglich eine alternative Fortbewegungsart zu sein und sich zu einem gleichberechtigten Verkehrsmittel entwickelt.
Um der wachsenden Bedeutung und den Veränderungen des Radverkehrs Rechnung zu tragen, wollen wir die in vielerlei Hinsicht noch am Konzept einer autogerechten Stadt ausgerichteten, verkehrsrechtlichen Rahmenbedingungen fahrradfreundlicher gestalten.
Vor diesem Hintergrund ist eines unserer vorrangigen Ziele, die Sicherheit im Radverkehr nachhaltig zu stärken. Schließlich sind die objektive Sicherheit und möglichst geringe Unfallzahlen ebenso wie ein hohes subjektives Sicherheitsempfinden der Radfahrerinnen und Radfahrer unverzichtbare Voraussetzungen, um die Attraktivität des Fahrrads als Verkehrsmittel weiter zu steigern. Anders als im Autoverkehr konnte die Zahl der Unfallopfer im Radverkehr in den letzten Jahren nicht wesentlich reduziert werden.
So wurden im Jahr 2014 deutschlandweit insgesamt 85.199 Verkehrsunfälle mit Personenschaden unter Beteiligung eines Radfahrers registriert – rund 10 Prozent mehr als noch 2013. Gerade im Radverkehr stößt die polizeiliche Unfallstatistik jedoch an ihre Grenzen, weil sehr viele Fahrradunfälle – insbesondere sogenannte Fahrradalleinunfälle – polizeilich nicht gemeldet werden. Untersuchungen weisen darauf hin, dass zwischen 50 bis 70 Prozent der Fahrradunfälle nicht erfasst werden.
Bei den Fahrradalleinunfällen ist der Alkoholkonsum in 15 bis 20 Prozent der Fälle eine der Unfallursachen. Dabei steigt aufgrund der durch Alkohol verminderten Reaktionsfähigkeit auch das Risiko besonders schwerwiegender Unfälle: Die Wahrscheinlichkeit, sich bei einem Unfall am Kopf zu verletzen, ist unter Alkoholeinfluss dreimal größer.
Grundsätzlich ist das Risiko, alkoholisiert einen Unfall zu verursachen, für Radfahrerinnen und Radfahrer statistisch stark erhöht. Durchschnittlich ist etwa jeder Vierte in einen Unfall verwickelte, alkoholisierte Verkehrsteilnehmer ein Radfahrer. Und entgegen landläufiger Vorstellungen gefährden betrunkene Radfahrer nicht nur sich selbst, sondern häufig auch andere Straßenverkehrsteilnehmer, insbesondere im dichten innerstädtischen Verkehrsgeschehen.
Neuere Untersuchungen zeigen, dass alkoholbedingte Ausfallerscheinungen bei Radfahrern ab 1,1 Promille Blutalkoholkonzentration (BAK) stark zunehmen und sich infolgedessen deutliche Einschnitte in der Fahrfähigkeit feststellen lassen. Dazu passt, dass rund 85 Prozent der verunglückten alkoholisierten Radfahrer eine BAK von über 1,1 Promille und 50 Prozent gar eine BAK von über 1,6 Promille aufweisen. Derartige Blutalkoholwerte führen zu so deutlichen Einschränkungen der Fahrtüchtigkeit, dass eine ungefährliche Teilnahme am Straßenverkehr nicht mehr sichergestellt werden kann.
In diesem Lichte ist die von der Arbeitsgruppe Verkehr und digitale Infrastruktur der SPD-Bundestagsfraktion geforderte Einführung eines Ordnungswidrigkeitentatbestandes mit einem Grenzwert von 1,1 Promille BAK ein entscheidendes Signal und ein notwendiger Schritt. Die angepasste Promillegrenze schafft gleichermaßen Bewusstsein und Verständnis für die Gefahren, die das alkoholisierte Fahrradfahren birgt und stärkt auf diese Weise die Sicherheit aller Straßenverkehrsteilnehmer.
Mit freundlichen Grüßen
Stefan Zierke