Frage an Stefan Zierke von Bernhard B. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Zierke,
Der Parteikonvent der SPD im September 2014 beschloss “Erwartungen an die transatlantischen Freihandelsgespräche”. Nun hat die öffentliche Debatte des letzten Jahres zu den Handelsabkommen TTIP und CETA deutlich gemacht, dass in gleichem Maße Erwartungen der Öffentlichkeit an die Politik der SPD bestehen. Der Bundesparteitag der SPD vom 10.-12. Dezember 2015 wird - so vermute ich - auf diese Erwartungen reagieren und eine Position zum derzeitigen Stand der Handelsvereinbarungen beziehen. In diesem Zusammenhang möchte ich an Sie als Mitglied der SPD und Abgeordneter aus dem Land Brandenburg folgende Fragen richten:
1. Das Handelsabkommen der EU mit Kanada (CETA) liegt seit letztem Jahr in seiner konsolidierten Textversion vor. Die Handelskommissarin Malmström hat im September d.J. Reformvorschläge zum Investitionsschutz und zu den Schiedsgerichten unterbreitet, die in nicht geringem Maße auf die Bemühungen sozialdemokratischer Politiker in Deutschland und Europa zurückgehen.
Erachten Sie es im Lichte dieser Vorschläge für notwendig, einzelne Kapitel in CETA neu zu verhandeln? Was sind die Beweggründe für Ihre bejahende oder ablehnende Haltung?
2. Die Europäischen Kommission legte Ende Oktober d.J. den Textvorschlag zu einem Nachhaltigkeitskapitel für die Verhandlungen zu TTIP vor.
Erachten Sie die dort vorgeschlagenen Schutzstandards für Arbeitnehmer- und Umweltrechte als ausreichend, wenn man sie an den Erwartungen des Parteikonvents misst? Was sind die Gründe für Ihre Auffassung?
Ich würde mich über eine baldige Antwort freuen.
Mit freundlichem Gruß
Bernhard Bielick
Sehr geehrter Herr Bielick,
gerade für ein exportorientiertes Land wie Deutschland bieten Freihandelsabkommen die Chance, durch den Abbau von Handelsbarrieren und den erleichterten Marktzugang für Unternehmen Wachstums- und Beschäftigungsimpulse zu setzen. Gleichwohl werden die Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit den USA (TTIP) und mit Kanada (CETA) in der Öffentlichkeit äußerst kontrovers diskutiert.
Um Kritik aufzugreifen und fortbestehende Sorgen von Bürgerinnen und Bürgern zu entkräften, sind Dialog, Offenheit und Transparenz unerlässlich. In diesem Sinne möchte ich mich sehr herzlich für Ihre Fragen bedanken, die ich im Folgenden gerne beantworte.
An den Schiedsverfahren zum Investitionsschutz gibt es viel berechtigte Kritik, weil die Auswahl der Schiedsrichter nicht klar geregelt ist, eine Berufungsmöglichkeit fehlt und sie für die Öffentlichkeit nicht transparent sind. Vor geraumer Zeit hat Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel deshalb weitreichende Reformvorschläge vorgelegt, die von der EU-Kommission im Rahmen der TTIP-Verhandlungen mittlerweile weitestgehend übernommen wurden. Künftig sollen die Richter in unabhängigen Verfahren ausgewählt, eine Berufungsinstanz eingerichtet und das Recht der Staaten auf Regulierung festgeschrieben werden. Nicht zuletzt soll dezidiert definiert und eingegrenzt werden, in welchen Fällen ein Unternehmen überhaupt eine Klage vor dem Handelsgericht einreichen darf – zum Beispiel bei gezielter Diskriminierung oder bei einer Enteignung ohne Entschädigung.
Im Lichte der vorliegenden Reformvorschläge setzt sich die SPD-Bundestagsfraktion auch für Nachbesserungen des eigentlich bereits ausverhandelten CETA-Abkommens ein. Vor diesem Hintergrund begrüße ich sehr, dass die EU-Kommission an der Schaffung eines permanenten internationalen „Investitionsgerichtshofs“ arbeitet, der mittelfristig sämtliche Streitschlichtungsmechanismen in Freihandelsabkommen der EU, ihrer Mitgliedstaaten und zwischen Drittstaaten ablösen könnte und sich an den oben beschriebenen Leitsätzen orientiert. Diese Bestrebungen erhalten meine volle politische Unterstützung.
In Bezug auf Umwelt-, Arbeits- und Verbraucherschutzstandards ist für die SPD-Bundestagsfraktion zentral, dass das TTIP-Abkommen das hohe europäische Schutzniveau sichert. Auch in Zukunft muss der Gestaltungsspielraum sowohl der EU als auch der Mitgliedstaaten erhalten bleiben, selbst über das erforderliche Schutzniveau für die Verfolgung von Gemeinwohlzwecken zu entscheiden. Dies ist als Maßgabe für die Verhandlungen der Europäischen Kommission auch im Verhandlungsmandat vorgegeben. Veränderungen des Schutzniveaus im Rahmen eines Handelsabkommens dürfen nur nach oben gerichtet sein.
Mittlerweile hat die europäische Handelskommissarin Cecilia Malmström zudem einen Entwurf eines Nachhaltigkeitskapitels für das Freihandelsabkommen TTIP erarbeitet und veröffentlicht. Dabei handelt es sich um die ehrgeizigsten Bestimmungen, die jemals einem Handelspartner vorgeschlagen worden sind. Es sieht vor, hohe arbeitsrechtliche, soziale und ökologische Standards nicht nur in den bilateralen Handelsbeziehungen mit den USA zu verankern, sondern diese auch global zu propagieren.
Dazu gehört etwa, explizit dafür einzutreten, dass multilaterale Umweltübereinkünfte eingehalten, Ressourcen also geschont und illegaler Holzeinschlag oder Fischfang bekämpft werden. Auf globaler Ebene sollen sich die Handelspartner dafür einsetzen, dass die Kernarbeitsnormen und die Agenda für menschenwürdige Arbeit der Internationalen Arbeitsorganisation geachtet und umgesetzt werden, also dass Kinderarbeit abgeschafft und Arbeitnehmerrechte sowie Gleichstellung gefördert werden.
Dies bedeutet konkret, internationale Handelspolitik erstmals nicht mehr nur an der Verbesserung der ökonomischen Effizienz auszurichten. Stattdessen wird anerkannt, dass Regulierung und regulatorische Kooperation sinnvoll sind, um übergeordnete soziale, ökologische und entwicklungspolitische Ziele zu erreichen, wie sie auch in den globalen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen, der Agenda 2030, festgeschrieben sind. Dies dürfte auch in Ihrem Interesse liegen.
Mit freundlichen Grüßen
Stefan Zierke