Sind Sie auch dafür den Paragraf Volksverhetzung abzuschaffen?
Sehr geehrter Herr S.,
vielen Dank für Ihre Frage. Sie sprechen damit ein Thema an, welches mir wichtig ist.
Das Ideal einer freien Demokratie lautet, dass die Gedanken frei sind. Dieser Grundsatz macht keinen Sinn, solange die Gedanken im Kopf bleiben oder verdeckt geäußert werden. Sie müssen auch offen ausgesprochen werden, die Gesellschaft konfrontieren und selbst Widerspruch und Konfrontation erfahren können. Das ist der Kerngehalt der Meinungsfreiheit.
Zwar dürfen Privatpersonen nach meiner Überzeugung die Auffassung vertreten, dass bestimmte Meinungen unsagbar sein sollten oder angeblich keine Meinungen sind (sondern was auch immer ...). Ein freiheitlich-demokratischer Staat darf das meines Erachtens aber nicht. Und nein, er darf es auch nicht bei völlig abwegigen oder bösartigen Meinungsäußerungen. Denn wer entscheidet, was „völlig abwegig“ und „bösartig“ oder „aufhetzend“ ist? Es sind Menschen. Oft solche, die ihre politische Engstirnigkeit aufgrund der mit ihr einhergehenden Arroganz gar nicht mehr wahrnehmen können. Das ist übrigens der Grund, warum man nach meiner Einschätzung und Wahrnehmung zwar einerseits ungestraft Menschengruppen als "braunen Bodensatz" abwerten oder mit historischen Massenmördern gleichstellen kann (auch um politische Gewalt zu rechtfertigen), andererseits aber schon bei Diskussionen über die Kriegsführung in der Ukraine Gefahr läuft, wegen Volksverhetzung strafverfolgt zu werden.
Ein funktionierender demokratischer Rechtsstaat kennt solche Doppelstandards nicht, auf Narrative fokussierte Menschen hingegen schon. Deshalb steht es einem nach eigener Definition freien und demokratischen Staat nach meiner Überzeugung niemals zu, zwischen aussprechbaren und nicht aussprechbaren Meinungen zu unterscheiden oder deren Aussprechen sogar unter Strafe zu stellen.
Der Straftatbestand der Volksverhetzung ist als Teil des politischen Strafrechts leider über seinen ursprünglichen Gehalt hinaus massiv ausgeweitet worden (vgl. hierzu insgesamt: https://de.wikipedia.org/wiki/Volksverhetzung#2015 bzw. zur letzten Ausweitung https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/volksverhetzung-voelkermord-kriegsverbechen-groeblich-verharmlosen-billigen-leugnen-130-stgb-holocaust).
Diese Ausweitung des Tatbestands bedroht und unterbindet mittlerweile nach meiner persönlichen Auffassung nicht nur den für eine Demokratie essenziellen freien Diskurs, sondern auch die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit. Ähnliche Kritik wird mittlerweile auch von anderen geäußert (vgl. https://ht-strafrecht.de/blog/defensio/neues-gesetz-zur-volksverhetzung-gut-gemacht-oder-nur-gut-gemeint/; https://www.welt.de/kultur/plus241798753/Volksverhetzung-Der-neue-130-ist-eine-Gefahr-fuer-die-kritische-Diskussion.html).
Deshalb setze ich mich tatsächlich dafür ein, dass der Straftatbestand der Volksverhetzung abgeschafft oder dessen Anwendung auf wenige, allgemein bekannte Fallgruppen beschränkt wird.
Mit freundlichen Grüßen
Stefan Möller