Frage an Stefan Liebich von Katrin W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Hallo Herr Liebich,
ich habe gehört, die Linke in Berlin will bei der Abstimmung zum JMSTV mit JA stimmen. Wo doch die Linke bundesweit eigentlich dagegen ist.
Das Argument was ich dazu von den Linken gehört habe ist Koalitionstreue zur SPD.
Ich frage mich und auch Sie warum Die Linke sich dabei auf die Koalitionstreue beruft. Sollte ein Abgeordneter nicht seinem Gewissen und seinen Wählern verpflichtet sein und nicht einer Koalition?
Können Sie mir sagen, warum ich Sie überhaupt noch einmal wählen soll, wenn Sie sich einreihen in der großen Liste der Abnickerparteien?
Hallo Frau Wrobel,
vielen Dank für Ihre Frage.
Die Berliner Abgeordnetenhausfraktion der LINKEN hat die Novelle des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages intensiv diskutiert und ist zum Ergebnis gekommen, dass sie den Inhalt des Vertrages falsch findet. Die Regulierung des Internetangebots, wie sie mit der Änderung des JMStV vorgesehen ist, stellt keine zeitgemäße Antwort auf die Herausforderungen des Jugendschutzes in der digitalen Welt dar. Im Gegenteil - die Übertragung von Mechanismen des Jugendschutzes aus dem Rundfunk auf das Internet wird eher schaden als nützen. Es ist offensichtlich, dass die Urheber des Vertrags die Eigenheiten des Internets als grenzenloses und dynamisches Medium völlig außer Acht gelassen und sich auch nicht mit dem breiten Diskurs in der Netz-Community auseinandergesetzt haben. Deshalb lehnt die Berliner Linksfraktion den Staatsvertrag inhaltlich ab.
Die Linksfraktion im Abgeordnetenhaus hat deshalb die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus aufgefordert, gemeinsam die Änderung des JMStV abzulehnen. Leider ist die SPD darauf nicht eingegangen, obwohl es auch in der Berliner SPD-Fraktion eine ganze Reihe von Kritikern der Gesetzesvorlage gab.
Dass es überhaupt zu dieser Situation gekommen ist, hat nicht zuletzt mit der wenig demokratischen Art und Weise zu tun, wie solche Staatsverträge zustande kommen. Der entsprechende Rundfunkänderungsstaatsvertrag wurde von den 16 Ministerpräsidenten ohne Einbeziehung der Länderparlamente oder des Bundestages verhandelt und bereits unterzeichnet. Auf den Inhalt des Vertrags hatten die Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses keinen Einfluss. Diesen blieb am Ende nur, den Vertrag "abzunicken" oder ihn als Ganzes abzulehnen. Zu letzterem wäre die Linksfraktion im Abgeordnetenhaus bereit gewesen, der Preis hierfür wäre allerdings der Bruch des Koalitionsvertrags, was die rot-rote Regierungsarbeit in Berlin insgesamt in Frage gestellt hätte.
Die Abgeordneten sind aus meiner Sicht in erster Linie den Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet, auch denen, die "anders" oder gar nicht gewählt haben bzw. nicht wählen dürfen. Politik ist, insbesondere in einer Koalitionsregierung, das Aushandeln von verschiedenen Interessen. Manchmal muss man als Abgeordneter bei einem Thema anders als die eigene Meinung abstimmen, um dafür bei einem anderen Vorhaben die Zustimmung des Koalitionspartners zu bekommen, bei dem dieser dann gegen seine Überzeugung stimmen muss. Dies ist ein oft schwieriger Prozess, den ich aus meiner Zeit als Fraktionsvorsitzender im Berliner Abgeordnetenhaus sehr gut kenne. Da die Berliner LINKE im Auftrag der Berlinerinnen und Berliner noch weitere sinnvolle Gesetzesvorhaben beschließen möchte, um die Stadt weiter voranzubringen, hat sich die Linksfraktion im Abgeordnetenhaus entschlossen, trotz schwerer inhaltlicher Bedenken der Änderung des JMStV zuzustimmen.
An dieser Stelle möchte ich Sie noch auf einen Diskussionsbeitrag meiner Kollegin und netzpolitischen Sprecherin meiner Bundestagsfraktion Halina Wawzyniak hinweisen:
http://blog.wawzyniak.de/?p=3416
Viele freundliche Grüße
Stefan Liebich