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Stefan Gelbhaar
Bündnis 90/Die Grünen
89 %
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Frage von Paulina S. •

Warum stimmten Sie nicht (wie 99% der Ampelkoalition) für eine Wiederholung der Bundestagswahl 2021 u.a. in Ihrem Wahlkreis, obwohl schwere und mandatsrelevante Unregelmäßigkeiten festgestellt wurden?

Laut BerlVerfGH gab es am 26.9.21 „schwere Wahlfehler“ bei der zeitgleichen Bundestags- und Berliner Landtagswahl. Letztere wurde wiederholt. Auf Bundesebene ist in Drucksache 20/4000 Ihr Wahlkreis konkret genannt, eine Mandatsverschiebung sei „nicht fernliegend“: In sechs Berliner Wahlkreisen „wäre es deshalb nicht nur rechtlich vertretbar, sondern vielmehr zwingend geboten (...) die Wahlen komplett zu wiederholen – und zwar hinsichtlich der Zweitstimmen sowie in Reinickendorf und Pankow zusätzlich auch der Erststimmen“, also Ihrem per Erststimme gewonnenen Wahlkreis. „Denn nur so können die festgestellten Wahlfehler geheilt und Wahlwiederholungen durchgeführt werden, die den durch Art.38Abs.1S.1GG geschützten Wahlgrundsätzen der allgemeinen, unmittelbaren, freien und gleichen Wahlen entsprechen.“ 108 von 110 anwesenden Mitgliedern Ihrer Fraktion stimmten für die Wiederholung. Sie als Rechtsanwalt haben sich dem nicht angeschlossen und demnach eine andere Auffassung vom Grundgesetz?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau S.,

vielen Dank für die relevante Frage, ich will mein Abstimmungsverhalten sehr gern erläutern! Erstmal in Ultra-Kurzfassung der Verfahrensgang.

Der Deutsche Bundestag hat am 10. November 2022 mehrheitlich entschieden, dass die Bundestagswahl 2021 in Berlin teilweise ungültig ist. Eine (teilweise) Wiederholung der Bundestagswahl wurde in 431 Berliner Wahlbezirken angeordnet. Gegen diese Entscheidung sind verschiedene Wahlprüfungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht erhoben worden. Die Entscheidung steht aus.

Für mich steht außer Frage, dass die Wahl ausnehmend schlecht organisiert wurde und in der Folge nach der Wahl auch diverse Fehler festgestellt wurden. Es ist nicht nachvollziehbar, dass dafür bis heute noch keine politische Verantwortung übernommen wurde. Allerdings ist durch die Wiederholungswahl für das Berliner Abgeordnetenhaus der betreffende SPD-Senator nicht mehr im Amt. Die politische Verantwortung ist dann durch die Nicht-mehr-Berufung ins Senatoren-Amt erkennbar geworden.

Ich habe mich bei der Abstimmung zur Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses enthalten. Dafür gibt es nicht einen, sondern mehrere Gründe.

Eine Wiederholungswahl nur in einem kleineren Teil des Bundesgebiets als auch in einem kleinen Teil Berlins dürfte zu Lasten des Landes Berlin ausgehen. Eine geringe Wahlbeteiligung dürfte hier den Anteil der Berliner Bundestagsabgeordneten aller Parteien reduzieren. Berlin wäre weniger repräsentiert als die anderen Bundesländer, da die Wahlbeteiligung hier eben ein relevanter Faktor ist.

Berlins Gewicht im Bundestag dürfte sinken - ganz unabhängig von der konkreten parteipolitischen Verteilung. Dies würde überdies kaum den Willen der Berliner Wählerinnen und Wähler widerspiegeln. Ich fände diese Wirkung für Berlin kaum vermittelbar. Eine Heilung der Wahlfehler folgt aus diesem Ergebnis nun auch gerade nicht.

Hinzu kommt: Bei der Abgeordnetenhauswahl betrug der Abstand zwischen Erst- und Zweitplatzierung in einigen Wahlkreis nur wenige Stimmen (in einem Wahlkreis nur 20 Stimmen Unterschied). Im Bundestagswahlkreis 76 hingegen 7.270 Stimmen. Aber: Als Kandidat in einem der betroffenen Wahlkreise erachte ich mich diesbezüglich für befangen. Eine solche Befangenheit ist in der parlamentarischen Beratung der Wahlprüfung jedoch nicht vorgesehen.

In der Summe kam ich aus diesen Überlegungen dazu, die Beschlussempfehlung aus rechtlichen und politischen Gründen weder zu bejahen noch zu verneinen. Daraus ergab sich dann die Enthaltung. Ich hoffe damit nachvollziehbar gemacht zu haben, wie sich mein Abstimmungsverhalten an dieser Stelle begründet hat.

Mit freundlichen Grüßen
Stefan Gelbhaar

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