Stefan Christoph
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Peter M. •

Frage an Stefan Christoph von Peter M. bezüglich Bildung und Erziehung

Hallo,

als Grüner ist Ihnen sicherlich Gleichberechtigung der Geschlechter wichtig.
Gender-Mainstreaming wird ja bereits seit ein paar Jahren umgesetzt. Dass es dabei in Einzelfällen zu Auswüchsen kam wird Ihnen sicherlich auch nicht verborgen geblieben sein.
Anstatt Kinder und Jugendliche individuell zu fördern sind mir Fälle aus einem Jugendcamp bekannt in dem ein Naturfilm nicht gezeigt wurde, weil dort das Brunfverhalten eines Hirsches als typisch männliches Verhalten vorkam. In Berlin wurde ein Junge für ein Rollenspiel dazu gedränt sein eigenes Geschlecht zu leugnen und es wurde ihm in etwa gesagt "Du hast doch gar keinen Penis!"
Es fällt mir auf, dass Gender-Mainstreaming oft falsch verstanden mit Geschlechtsleugnung und damit Identitätsverlust gleichgesetzt wird und auch so umgesetzt staatlich gefördert wird.
Dabei bleiben die alten Missstände weiter bestehen. Das deutsche Schulsystem geht auf die Bedürfnisse von Jungen weniger ein als auf die von Mädchen, was sich auch in den Abschlüssen abzeichnet, in denen Mädchen oft besser abschließen als Jungen. Nach der Schule wiederum dreht sich das ganze wieder und junge Männer werden oft trotz schlechteren Schulabschlusses bevorzugt.

Wie sieht Ihr Konzept aus um jungen Menschen zu ermöglichen ohne ihr Geschlecht zu verleugnen, ihre individuellen Stärken zu entwickeln und wie gehen Sie an die geschilderten Probleme in der Schule und im Berufsleben ran?

MfG, Peter Mayer

Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Mayer,

Es freut mich, dass Sie sich für meine Politik, und insbesondere für Genderthemen interessieren. Ich möchte auf Ihre Anfrage jetzt in drei Teilen eingehen. Im ersten werde ich das kommentieren, was Sie als Auswüchse des Gender Mainstreaming bezeichnen, im zweiten Teil auf die unterschiedlichen Chancen von Frauen und Männern in Bildung und im dritten Teil auf eben diese in der Berufswelt.

1): Die Beispiele, die Sie mir hier nennen sind mir jetzt nicht bekannt; jedoch sehe ich sie genau wie Sie als falschen Weg an. Diese Beispiele haben mit Gender Mainstreaming ja nicht mehr viel am Hut, nachdem sie - ganz im Gegensatz zum Konzept des Gender Mainstreaming - versuchen, Kinder eben wieder in Rollen zu drängen. War dies anno dazumal die Rolle der Frau als Hausfrau und Gebärmaschine und des Mannes als Brötchenverdiener, so ist das in Ihren genannten Beispielen eine Rolle der Verleugnung des eigenen biologischen Geschlechtes. Ziel des Gender Mainstreaming ist es ja aber jedoch vielmehr, das biologische Geschlecht von der Rolle des sozialen Geschlechtes zu trennen. Wer jedoch verlangt, das eigene biologische Geschlecht zwingen in ein gegensätzliches Gender zu projezieren, tut genau dem aber nicht genüge. Das von Ihnen genannte sind also Negativbeispiele, die meiner Meinung nach schon den Rahmen des Gender Mainstreaming sprengen, und stattdessen in einer Form des Sexismus ausarten.

2) Führen Sie sehr richtig an, dass Jungen in unserem Bildungssystem benachteiligt, im späteren Berufsleben dann jedoch bevorteilt werden. Das Thema ist nicht erst seit heute aktuell, und schon vor Jahren titelte die Business-Week von der "neuen Gender-Gap" und fragte: "Warum Jungen hinter Mädchen im Bildungssektor zurückfallen und was das für Wirtschaft, die Geschäftswelt und die Gesellschaft bedeutet". Man kann jetzt hier nach Ursachen forschen, die wohl zum großen Teil wieder durch Rollenbilder erklärt werden können. "Mädchen sind" ruhig und kooperativ; ordnen sich unter - genau das, war unser Schulsystem verlangt. "Jungs hingegen sind" aufmüpfig und hören nicht auf das was der/die LehrerIn sagt. In diese Rollenbilder werden sie hineinerzogen. An dieser Stelle muss ein Umdenken stattfinden. Dies ist natürlich staatlich nicht lenkbar. Der Staat jedoch kann an einer anderen Stelle etwas bewirken: Nämlich, wie Sie auch erwähnen, in der individuellen Förderung. Noch immer haben wir die vormoderne Situation, dass wir Kinder in Schubladen oder Rollen stecken. Das sind nicht nur "Junge" oder "Mädchen", sondern sind auf der anderen Seite auch "HauptschülerIn", "RealschülerIn" und "GymnasiastIn". Von Befürworten dieses Schulsystems wird oft behauptet, genau dadurch würde eben die individuelle Förderung stattfinden; eben dadurch, dass man die Kinder nach ihren Leistungen einteile. Das ist jedoch Schwindelei und nur oberflächlich argumentiert. Es wird lamentiert, Kinder seien ja bereits nach Stärken und Schwächen aufgetrennt, eine weitergehende individuelle Förderung sei nicht mehr notwendig. Hier liegt jedoch der Knackpunkt: Auf die individuellen Stärken und Schwächen und damit auch auf die individuelle Geschlechterrollenbildung Jugendlicher könnte man nur in einem solchen Schulsystem eingehen, indem auf individuelle Förderung (im Sinne der Förderung eines Jeden) und nicht auf Schubladendenken aufgebaut wird.

3) In der Berufswelt verhält es sich anders herum. Hier ist nicht mehr die Kooperativität gefragt, sondern der Ellenbogenkampf; und diesen gewinnt nach Rollenbild natürlich derjenige (und es ist fast immer DERjenige), der die meisten wortwörtlichen "Cojones" hat. Vor allem hier im Wahlkreis ist das Thema evident: Laut Gender Index ( http://www.genderindex.de/ ) ist unser Ostteil, der Landkreis Cham, eine der dunkelrotesten Stellen ihrer Deutschlandkarte; das heißt einer der vier Kreise in ganz Deutschland, in denen die Ungleichbehandlung von Frauen und Männern am größten ist. Ich denke hier würde eine gesetzliche Regelung zur Angleichung der Löhne von Männern und Frauen zumindest einen Fortschritt bringen. Der Grundstock zur Gleichberechtigung muss jedoch immer noch in der Erziehung liegen. Zudem befürworte ich eine Frauenquote in Aufsichtsräten. Wir Grünen Arbeiten bereits seit unserer Gründung mit dem Instrument der Frauenquote; und das wie sich gezeigt hat erfolgreich. Keine andere Partei hat einen so hohen Anteil an weiblichen Mitgliedern und auch an engagierten und hoch motivierten Frauen. Auch die Norweger, wo sich die Unternehmen erst mit Händen und Füßen gewehrt haben, haben inzwischen durchweg positive Erfahrung mit der Einführung einer Frauenquote für Aufsichtsräte gemacht. Warum soll das also nicht auch in Deutschland funktionieren?

Ich hoffe ich konnte Ihre Fragen damit beantworten.

Mit freundlichen Grüßen,

Stefan Christoph