Frage an Stefan Boxler von patrick g. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Boxler, wie wollen Sie bzw. Ihre Partei der Bevölkerung erklären, daß in einer Zeit, in der die Staatsverschuldung sekundlich steigt,wir mit einen Horroranteil von über 50% an EU-Geldern noch dafür aufkommen sollen damit die Türkei in die EU aufgenommen wird. Laut Umfragen sind über die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland dagegen. In Ihrer Antwort an Herrn Wissel sprechen Sie davon das Sie die Rechte der Frauen in der Türkei respektieren wollen,ja welche Rechte meinen Sie denn da ? Etwa das die Frauen die vollen Einkaufstaschen schleppen und die Männer lustig pfeifend hinterher schlendern oder das die Frau den ganzen Haushalt und die Ehrziehung der Kinder alleine erledigt, werend die Männer in Teestuben sitzen und Wasserpfeife rauchen! Ihre Partei setzt sich,wenn ich richtig informiert bin,für Emanzipation ein,meines erachtens entsteht aber genau hier ein grosser Wiederspruch.
mit freunschaftlichem Gruss Patrick Gentsch
Sehr geehrter Herr Gentsch,
gestatten Sie mir, dass ich Ihnen mit einer Gegenfrage antworte:
Wie begreifen Sie Europa: als einen Zustand oder ein Projekt? Handelt es sich zugespitzt formuliert Ihrer Meinung nach um eine Diskussion über die Vergangenheit der Türkei oder über die Zukunft Europas?
Meiner Meinung nach ist die Mitgliedschaft der Türkei ein für die Zukunft Europas konstituierender Faktor: Die Türkei verstärkt erstens das politische Gewicht Europas, wodurch die EU nach tief greifenden Wandlungen und Reformen ein wirkungsvoller Akteur sein wird. Zweitens wird die EU im internationalen System mit seiner Nachbarschaft im Mittelmeerraum und im islamisch geprägten Nahen und Mittleren Osten eine starke Partnerschaft geschlossen haben. Drittens entwickelt sich die Türkei im Zuge tief greifender politischer und wirtschaftlicher Reformen zu einem stabilen Land, innerhalb dessen islamisch geprägter Gesellschaft die Kopenhagener Kriterien umfassend implementiert werden.
Wie stellt sich die EU der Zukunft? Wird sie sich in banger Verzagtheit der Perspektive einer Mitgliedschaft der Türkei verschließen oder sich von einer Vision der EU im 21. Jahrhundert leiten lassen, auf die hin die politischen Repräsentanten die notwendigen Wandlungsprozesse nach innen und außen in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren ausrichten werden?
Tatsächlich ist den Argumenten des Für und Wider, die vorgebracht worden sind, seit sich allseits die Einsicht durchgesetzt hat, dass eine Entscheidung mit Blick auf die Aufnahme von Verhandlungen nicht länger aufzuschieben ist, nicht viel hinzuzufügen. Sie haben freilich keine eindeutige Entscheidungsgrundlage erbracht. Diejenigen Argumente finden verstärkt Gehör, welche die Türkei von ihrer Geschichte und Kultur her als mit einer "europäischen Identität" unvereinbar und "anders" ansehen und für den Fall der Aufnahme des Landes in die EU das Ende derselben prognostizieren. Damit treten für die Entscheidung letztlich zwei Perspektiven hervor: die Lesung der Geschichte sowie der Stellenwert der Türkei für ein Europa, das im Kontext einer langfristigen Neuordnung des internationalen Systems seinen Platz sucht. Dass dabei eine enge Partnerschaft mit der benachbarten islamisch geprägten Welt südlich und östlich des Mittelmeers ein besonderer Stellenwert zukommt, hat sich spätestens seit dem 11. September 2001 abzuzeichnen begonnen.
Der Beitritt eines muslimischen Landes wird beispielhaft zeigen, dass Demokratie und Islam kein Widerspruch sind. Der Türkei kommt somit Vorbildcharakter für eine problematische Region zu. Auch die Ideologen innerhalb der US-Administration könnten nochmals über ihre weiter reichenden Pläne einer Demokratisierung der arabischen Länder nachdenken. Ein möglicher EU-Beitritt könnte die Reformkräfte in der Türkei stärken. Auch hat das Land historisch und geographisch seit fast 700 Jahren besondere Verbindungen zum europäischen Kontinent. Bezüglich der Beitrittswilligkeit der Türkei zur EU sollte positiv vermerkt werden, dass dieses Streben von einer als moderat islamisch eingeschätzten Regierung betrieben wird.
Für weitere Fragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Stefan Boxler