Frage an Sören Benn von Katrin B. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Benn,
mit Bestürzung habe ich das Papier der Koordinierungssitzung der A-Staatssekretäre der Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg vom 13.05.2011 mit dem Titel „Änderung des Kinder- und Jugendhilferechts (SGB XII)“ gelesen. Die geplante Abschaffung des individuellen Rechtsanspruchs der Hilfesuchenden ist ein Angriff auf das Kernstück der Jugendhilfe, das gerade den Schwachen und wenig Durchsetzungsfähigen eine starke Stellung verleiht. Ohne dieses Recht sind die Hilfe suchenden Menschen den Wechselbädern der Politik und Finanzstrategen unterworfen. Welche Konsequenzen das hat, zeigt gerade die aktuelle Entwicklung in Neukölln (48 Projekte wurden zum 30.9. gekündigt).
Bitte teilen Sie mir mit, wie Sie persönlich zu dieser Initiative stehen und wie sich Ihre Partei zu diesem Vorstoß positioniert!
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrte Frau Bub,
haben Sie vielen Dank für ihre Frage.
Ich halte von diesem Papier gar nichts. Es formuliert seine Zielstellung ja auch sehr deutlich, in dem es heißt." Der Rechtsanspruch würde damit durch ein verpflichtendes infrastrukturelles Angebot erfüllt werden. Diese Regelung hätte den Vorteil, dass die Kommunen in der Lage wären, bedarfsgerechte sozialräumliche Angebote zu entwickeln, die individuelle Einzelhilfe als Angebotsform von der Regel zur Ausnahme zu machen....".
Wer so schreibt, ist entweder frei von Kenntnis der Realität oder zynisch.
Es ist auch nicht primär die gegenwärtige rechtliche Ausgestaltung, die zu einem Anstieg der Ausgaben und Fallzahlen geführt hat, wie das Papier, ohne dies irgendwie zu belegen, behauptet.
Genauso gut könnte man behaupten, dass die Einführung von Hartz IV im Zusammenspiel mit einer Privatisierung der Aufgabenwahrnehmung zur diesen Steigerungen geführt hat.
Das SGB VIII ist auch nicht dazu gedacht soziale Benachteiligungen auszugleichen, auch dies wird ja angeblich mit der angestrebten Änderung bezweckt, sondern setzt auf die Unterstützung von jungen Menschen und Familien unabhängig von der sozialen Situation und ermöglicht es auch den jungen Menschen selbst um Hilfe zu ersuchen.
Natürlich ist die Kostenentwicklung im Bereich HzE ein reales Problem. Und richtig ist auch, dass die verschiedenen sozialräumlichen Sozialisationsagenturen besser mit einander vernetzt werden müssen. Dies geschieht im Übrigen auch längst z. B. in Pankow über eine Vielzahl von Kooperationsvereinbarungen zwischen Jugendhilfe und Schule, beim Übergang von Kita und Schule etc..
Letztlich sind nach meiner Wahrnehmung die Fallzahl- und Ausgabensteigerungen aber durch gesellschaftliche Desintegrationsentwicklungen und Verstetigung von Armut generiert, sicher aber nicht durch den individuellen Rechtsanspruch. Wer diesen aufgibt, leitet einen Paradigmenwechsel in der Jugendhilfe ein, der meinen entschiedenen Widerstand finden wird.
Ich habe zu lange selbst in der Jugendhilfe und angrenzenden Bereichen gearbeitet, als dass ich nicht wüsste, dass auch im gegenwärtigen System viel im Argen liegt, es deutliche Verbesserungen im System geben muss.
Wer aber ernsthaft an systematischen Verbesserungen arbeiten und Hilfen wirksamer machen will, sollte Fachkräfte und Betroffene in solche Debatten einbeziehen.
Dort liegt der Sachverstand und die Kolleg*innen stehen sicher gern bereit, mit Ideen und Konzepten auszuhelfen.
Das vorliegende Papier ist nicht fachlich abgeleitet, sondern haushalterisch.
Aber das kennen wir schon seit Jahren. Und dann wundern sich regelmäßig alle, dass sie die Kosten trotzdem nicht in den Griff bekommen. Die im System arbeiten, wundert das nicht.
Mit freundlichen Grüßen
Sören Benn