Wie priorisieren Sie ganz persönlich „Patientensicherheit“, wenn ab 2022 EU-weit mutmasslich gesundheitsschädliches Titandioxid in Lebensmitteln zwar verboten, in Medikamenten aber erlaubt bleibt?
Die EU-Kommission hat ab 2022 den Einsatz von Titandioxid in allen Lebensmitten verboten und folgt damit dem Vorsorge- und Präventiongedanken im Sinne des Verbraucherschutzes in allen Mitgliedsstaaten, also auch in Deutschland. Das ist gut! Bei der Herstellung und Inverkehrbringung von Arzneimitteln, die in besonderer Weise das Vertrauen des Konsumenten bedingen, gilt diese Regel nicht. Das ist schlecht! Die Pharmawirtschaft adressiert das Argument in Gefahr stehender Versorgungssicherheit oder gar unterbrochener Lieferketten an die Politik, um entweder dauerhaft von der Regel ausgeklammert zu bleiben oder mindestens Übergangsfristen von sehr vielen Jahren auszuhandeln.
Wie werden Sie als Mitglied des Gesundheitsausschusses auf das Thema reagieren? Ist Patientensicherheit weniger „wert“, als allgemeiner Verbraucherschutz? Können Sie bitte Stellung nehmen zu der Frage, warum die Politik hier erkennbar gegenüber marktmechanistischen Argumenten der Pharma-Lobby einbricht?
Titandioxid, auch bekannt als E171 wurde bei einer neuen Risikobewertung des Stoffs im Mai 2021 durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) das Ergebnis bekannt gegeben, dass der Inhaltsstoff nicht mehr als sicher eingestuft werden könne. Wie das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) angibt, könne nicht ausgeschlossen werden, dass eine erbgutschädigende Wirkung vorliegt.
Lebensmittel, die E171 enthalten, dürfen in der EU ab dem 8. August nicht mehr in Verkehr gebracht werden. Allerdings gibt es wohl keine Regel ohne Ausnahmen, denn Lebensmittel, die bis zum 7. August zu den bis dato geltenden Vorschriften hergestellt wurden, dürfen noch im Supermarkt und Discounter verkauft werden. Und das so lange, bis ihr Verbrauchs- beziehungsweise Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) abgelaufen ist.
In medizinischen Produkten bleibt es allerdings nach wie vor erlaubt. Die Pharmabranche hat jedoch signalisiert, Titandioxid weitesgehend zu ersetzen zu wollen. Wie und ob dieser die Substitution gelingt bleibt abzuwarten.