Frage an Simon Weiß von Thorsten W. bezüglich Öffentliche Finanzen, Steuern und Abgaben
Sehr geehrter Herr Weiß,
ich komme aus Wilmersdorf, jedoch gibt es dort keinen Direktkanditat der Piratenpartei den ich befragen kann über Abgeordnetenwatch.
Auf der Homepage meiner Bezirkscrew hab ich gelesen, dass die Piratenpartei für einen Bürgerhaushalt eintritt. Ich bin mir nicht sicher ob ich das richtig verstanden habe. Geht es darum das die Bürger den Bürgerhaushalt (es stand von vorerst 10% des Gesamthaushalts) bestimmen was mit diesem Gelder geschieht?
Wenn ich das richtig verstanden habe, würde ich gerne wissen wie das vonstatten gehen soll. Sollen Bürger dafür jedes Wochenende wählen wofür sie sind und wie wird damit umgegangen wenn unpopuläre Maßnahmen weniger Geld zugesprochen wird als diese benötigen?
Was passiert bei geringer Beteiligung und wie kann man auch Menschen mit weniger Zeit die Themen deutlich machen um sie zu erreichen?
vielen Dank
Thorsten Wolter
Sehr geehrter Herr Wolter,
in der Tat ist mit dem Konzept des Bürgerhaushalts genau das gemeint: Ein Anteil des Budgets wird zur Verfügung gestellt, um die Bürger direkt über die Verwendung entscheiden zu lassen - die Frage nach der Finanzierung unpopulärer Maßnahmen stellt sich dabei insofern nicht, als die Mittel tatsächlich zur freien Gestaltung bestimmt und notwendige Ausgaben in anderen Budgets enthalten sein sollten. Der erste Versuch dieser Art fand 1989 in Brasilien statt, inzwischen gibt es entsprechende Projekte auch in vielen anderen Kommunen weltweit.
Das, was in Berlin in dieser Hinsicht bereits in einigen Bezirken existiert, ist kaum bekannt und krankt entsprechend massiv unter dem von Ihnen angesprochenen Problem der mangelnden Beteiligung. Neben geringer Bekanntheit spielen dabei auch Beteiligungshürden und der Umstand ein Rolle, dass Entscheidungen oft nur beratenden Charakter haben.
Unsere Vorstellungen von Beteiligung sehen da anders aus, entsprechend wollen wir Bürgerhaushalte in Berlin auch gestalten:
Die Hürden zur Beteiligung müssen so niedrig wie möglich sein. Bürgerversammlungen bevorteilen diejenigen, die viel Zeit zur Verfügung haben, während ein System von Delegierten die Idee der direkten Mitbestimmung ad absurdum führen würde. Eine Mitbestimmung über das Internet ist möglich und beinhaltet denkbar niedrigste Hürden. Nötig ist in diesem Fall natürlich auch die Schaffung von Schnittstellen zur "Offlinewelt", um niemanden auszuschließen.
Die Entscheidungen müssen echte Verbindlichkeit haben. Das Ziel muss es sein, Menschen an politischen Entscheidungen tatsächlich zu beteiligen, und nicht nur Meinungen einzusammeln, zu moderieren und nach eigenem Ermessen zu handeln.
Wichtig ist auch eine aktive Informationspolitik über die Entscheidungen in den Bezirken, da sie Grundvoraussetzung für jede Beteiligung daran ist, und eine aktive Teilnahme der Entscheidungsverantwortlichen - nicht als Moderatoren, sondern als gleichberechtigte Teilnehmer.
Unter diesen Bedingungen sehen wir Bürgerhaushalte als einen wirksamen Schritt auf dem Weg zu breiter Beteiligung, wenn auch sicherlich nicht den einzigen und letzten.
viele Grüße,
Simon Weiß