Frage an Silke Stokar von Neuforn von Gisela B. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Stokar,
mit großer Aufmerksamkeit habe ich die Diskussion um das neue Dienstrecht verfolgt und gestern mit Entsetzen feststellen müssen, dass die Gleichstellung eingetragener Lebernspartnerschaften trotz der positiven Experten-Gutachten nicht durchgekommen ist. Ich habe im Protokoll der Bundestagssitzung gerade Ihre Rede gelesen und möchte Ihnen hier ausdrücklich und ganz herzlich für Ihre klaren und engagierten Worte in dieser Frage danken!
Meine Frage an Sie ist, wie Sie die Chance einschätzen, dass über die EU diese empörende Ungerechtigkeit beseitigt wird. Haben Sie eine Einschätzung, über welche rechtlichen Mechanismen das geschehen könnte? Rechnen Sie mit individuellen Klagen von Betroffenen? Besteht aus Ihrer Sicht kurz- bis Mittelfristig Hoffnung auf Gleichstellung (nicht nur im Bund, sondern auch in den Ländern?
Mit den besten Grüßen
Gisela Brünner
Sehr geehrte Frau Bräunner,
vielen Dank für Ihre Frage an mich. Sie haben ganz offensichtlich ein offenes Auge dafür, was aktuell im Bundestag geschieht. Viele Parteien versprechen in Sonntagsreden, mit der rechtlichen Diskriminierung von Lesben und Schwulen endlich Schluss zu machen – im Bundestag stimmen Sie dann das Gegenteil ab. Leider klaffen auch bei der SPD hinsichtlich der Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften Welten zwischen den öffentlichen Worten und den Taten.
Mit unserem Änderungsantrag zum Dienstrechtsneuordnungsgesetz (mehr dazu unter: http://www.gruene-bundestag.de/cms/lebenspartnerschaft/dok/257/257571.html ) hatten wir eigentlich nur das zur Abstimmung gestellt, was Justizministerin Brigitte Zypries vor Kurzem noch in der Presse gefordert hatte. Die SPD sagt nun kleinlaut, sie hoffe, dass der Europäische Gerichtshof es irgendwann richtet (vgl. die Rede des SPD-Abgeordneten Siegmund Ehrmann, Plenarprotokoll 16/186, S. 19933 ff. http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/16/16186.pdf . Das ist schon ein seltsames Politikverständnis. Mir scheint, hier wird sehenden Auges gegen geltendes Europarecht verstoßen, nach dem die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität unzulässig ist.
Leider bedeutet Recht zu haben noch nicht automatisch, Recht zu bekommen. Die Rechtsprechung deutscher Gerichte ist in diesem Punkt nicht eindeutig. Bei einer Anhörung im Rechtsausschuss am 18.06.2008 zum Lebenspartnerschaftsrecht haben mehrere Sachverständige auf den Unterschied zur europäischen Rechtsprechung hingewiesen (vgl. http://www.bundestag.de/ausschuesse/a06/anhoerungen/38_LPartGErgG/index.html , insbesondere die Stellungnahmen der Sachverständigen Helmut Graupner und Manfred Bruns). Häufig werden Klagen, für die es europarechtlich gute Gründe gibt, von deutschen Gerichten abgewiesen. Gerade deswegen hatten die Sachverständigen an die Bundestagsabgeordneten appelliert, durch die Gesetzgebung endlich Klarheit zu schaffen und nicht immer nur auf die Gerichte zu warten. Dieser Ruf wurde von Schwarz-Rot ignoriert.
Welche Aussicht individuelle Klagen haben, lässt sich leider schlecht voraussagen. Sie erfordern zudem einen langen Atem. Gegen das Gesetz selbst können Sie nicht klagen. Betroffene können aber dagegen klagen, dass ihnen aufgrund des Gesetzes beantragte Leistungen abgelehnt werden. Eine Beamtin könnte z.B. den Familienzuschlag beantragen. Gegen die zu erwartende Ablehnung durch das Besoldungsamt kann sie dann Widerspruch einlegen. Wenn dieser Widerspruch dann als unbegründet abgelehnt wird, kann geklagt werden. Die meisten Verwaltungsgerichte lehnen derzeit solche Klagen ab und die Oberverwaltungsgerichte bzw. Verwaltungsgerichtshöfe verwerfen die Anträge auf Zulassung der Berufung. Dagegen kann dann Verfassungsbeschwerde eingelegt werden. Nach meiner Information ist zumindest eine entsprechende Verfassungsbeschwerde derzeit anhängig. Mehr Informationen und Mustertexte finden Sie auf der Seite des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) unter http://www.lsvd.de/905.0.html .
Ein anderer Weg, wie die Diskriminierung im deutschen Beamtenrecht auf gerichtlichem Wege kippen könnte, wäre das bereits von der Europäischen Kommission eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren. In einem Mahnschreiben hat die EU-Kommission die Bundesregierung darüber informiert, dass sie die fehlende Gleichstellung von Lebenspartnerschaften hinsichtlich Beihilfe, Familienzuschlag und Hinterbliebenenversorgung als Verstoß gegen die geltende europäische Antidiskriminierungsrichtlinie betrachtet. Die Bundesregierung hat inzwischen geantwortet, dass sie keinen Handlungsbedarf sieht. Der nächste Schritt wäre, dass die Kommission vor den Europäischen Gerichtshof zieht. Vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtsprechung ist nicht unwahrscheinlich, dass der EuGH dann Deutschland unter Androhung einer Strafzahlung zwingen würde, seine Gesetze dem Europarecht anzupassen. Allerdings ist noch nicht klar, ob und wann sich die Kommission traut, vor den EuGH zu ziehen. Von der Bundesregierung, dem Land Bayern, CDU/CSU, FDP und einigen konservativen Wirtschaftsverbänden wird auf die Kommission großer Druck ausgeübt, sich in Sachen Antidiskriminierung zurückzuhalten. Das Europaparlament hat die Kommission dagegen aufgefordert, eine aktive Antidiskriminierungspolitik zu betreiben und konsequent gegen Verstöße gegen das geltende Europarecht vorzugehen. Damit das so bleibt, werden die kommenden Wahlen zum Europaparlament wichtig sein.
Es tut mir leid, dass ich Ihnen keine leichtere Antwort geben kann. Alles wäre viel einfacher, wenn Schwarz-Rot dem grünen Antrag zugestimmt hätte. Dann wäre im Bundesbeamtenrecht alles klar. In den Ländern gibt es derzeit ein unterschiedliches Bild, die Tendenz weist aber zum Glück in Richtung Gleichstellung. Als erstes Bundesland hat das rot-grüne Bremen die volle Gleichstellung im Landesbeamtenrecht vollzogen. Berlin und Mecklenburg-Vorpommern sind inzwischen gefolgt. In mehreren Ländern besteht die Absicht zur Gleichstellung, so in Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt. Im Saarland und in Brandenburg liegen Gesetzentwürfe der Landesregierungen vor, die in Richtung Gleichstellung weisen. Sie weisen zwar noch gewisse Lücken auf, aber immerhin bewegt sich was – während im Bund völliger Stillstand herrscht. Mit dem Dienstrechtneuordnungsgesetz (das Staatsbedienstete im Beamtenverhältnis des Bundes betrifft) findet in keinem einzigen der zentralen Leistungen eine Gleichstellung von Lebenspartnerschaften mit der Ehe statt – weder bei der Hinterbliebenenversorgung, noch bei der Beihilfe im Krankheits- oder Pflegefall, noch beim Familienzuschlag. Das ist unfassbar. Und das sollten Union und SPD auch deutlich zu spüren bekommen.
Grüne werden auf Europa-, Bundes- und Landesebene weiterhin dafür kämpfen, dass Lebenspartnerschaften mit der Ehe gleichgestellt werden. Es kann nicht sein, dass wir im 21. Jahrhundert im deutschen Recht noch Paragraphen haben, die Menschen wegen ihrer sexuellen Identität benachteiligen.
Mit freundlichen Grüßen,
Silke Stokar