Frage an Silke Stokar von Neuforn von Stefan V. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Stokar.
Ich möchte Sie fragen, ob ihre Partei (und Sie als immerhin innenpolitische Sprecherin) noch hinter ihren Aussagen zur Überwachung und informationellen Selbstbestimmung des einzelnen steht. Es wird mit Aktionen wie dem "Schnüffel Schäuble" ein jugendlich-alternatives Image erzeugt, das scheinheilig wirkt im Vergleich zu den tagespolitischen Aussagen. Gerade ihre jetzigen Aussagen zur nötigen Kameraüberwachung von Bahnhöfen stehen im krassen Gegensatz zu ihrer Haltung vor der Bundestagswahl (Zitat: "Zur Freiheit gehört es, sich unbeobachtet im öffentlichen Raum bewegen zu können.").
Vielleicht können Sie hier die Aufgabe ihres Standpunkts erklären und auch die Auswirkungen auf den Standpunkt ihrer Partei bzw. Fraktion.
Es ist wirklich strapazierend für die Begeisterung und den Glauben an die Politik, wenn Aussagen nicht mal eine Wahlperiode lang halten und erklärt vielleicht einen Teil von dem, was in der Öffentlichkeit gerne Politikverdrossenheit genannt wird.
stefan vogl
Sehr geehrter Herr Vogl,
vielen Dank für die Frage an mich, gerne bin ich bereit, meine Position als innenpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion zu erläutern. Ich finde den "Schnüffel-Schäuble", den Sie auf der Internet-Seite der grünen Bundespartei finden, immer noch lustig und von meiner Äußerung aus dem Wahlkampf: "Zur Freiheit gehört es, sich unbeobachtet im öffentlichen Raum bewegen zu können", stehe ich nach wie vor. Wenn Sie ein wenig auf meiner Internet-Seite unter www.stokar.de surfen, werden Sie feststellen, dass ich seit mehr als fünf Jahren zu allen Themen der Innenpolitik eine sehr differenzierte Haltung vertrete. Ich kritisiere die geplante online-Durchsuchung, ich lehne den Einsatz der Bundeswehr im Inneren ab und unterstütze persönlich die Verfassungsklage gegen die geplante Vorratsdatenspeicherung. Ich bin eben nicht wie der Bundesinnenminister Schäuble der Auffassung, dass für die Sicherheit alles Menschenmögliche getan werden muss. Die Verfassung und das internationale Völkerrecht setzen dem Staat klare Grenzen, unsere Verfassung schützt die individuelle Freiheit. Ich vertrete genauso wenig die Auffassung der Linkspartei, die den Terrorismus ignoriert und die auf Bundesebene alle "Geheimdienste" abschaffen will und gleichzeitig in der Regierungsverantwortung in Berlin den Verfassungsschutz mitträgt und die Videoüberwachung im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs der BVG erheblich ausweitet. Ich glaube, dass eine Bürgerrechtspolitik nur glaubwürdig und erfolgreich ist, wenn sie sich einem Abwägungsprozess zwischen den Erfordernissen der Sicherheit und dem Schutz der Freiheit stellt.Es ist die Aufgabe des Staates seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Meine grundsätzlichen Positionen finden Sie auf meiner Internet-Seite unter Themen: Innere Sicherheit - "Innere Sicherheit geht anders - Menschen schützen, die Freiheit bewahren" und Datenschutz: "Datenschutz als Fundament in der Informationsgesellschaft". Beide Grundsatzpapiere sind Beschlüsse der grünen Bundestagsfraktion. Zum konkreten Thema Videoüberwachung : Kaum jemand stellt ernsthaft die Forderung auf, alle Videokameras auf Flughäfen und Bahnhöfen umgehend abzumontieren, weil sie unsere Freiheit bedrohen. Videoüberwachung auf Bahnhöfen ist seit vielen Jahren Realität. Ich habe zur Videoüberwachung auf Bahnhöfen beim Bundesinnenministerium einen Antrag auf Akteneinsicht nach dem Informationsfreiheitsgesetz gestellt. Ich will Einblick in die geheimen Vertragsunterlagen zwischen BMI und DB zur gemeinsamen Sicherheitszentrale. Die Videoüberwachung auf den Bahnhöfen ist weitgehend privatisiert, obwohl es hier auch um Prävention und Strafverfolgung von möglichen Terroranschlägen geht. Durch die Privatisierung wird die Datenschutzkontrolle unterlaufen und das Parlament ausgeschalten. Ich fordere Einblick in die Vertragsunterlagen, damit es überhaupt eine Debatte über sinnvollen Einsatz von Videoüberwachung auf Bahnhöfen geben kann (siehe Presseerklärung: "Transparente Qualitätskontrolle für Videoüberwachung auf Bahnhöfen"). Ich will weniger Kameras auf den Bahnhöfen, ich halte allerdings eine qualifizierte Videoüberwachung an ausgewählten Punkten auf Bahnhöfen und Flughäfen durchaus für sinnvoll. Videoüberwachung muss in ein Sicherheitskonzept eingebunden sein. Hinter der Kamera müssen Polizeibeamte sitzen, die das Geschehen auswerten und die im Notfall auch Eingreifen können. Der Einsatz der Videoüberwachung muss wissenschaftlich ausgewertet werden, der Sicherheitsgewinn muss in regelmäßigen Berichten belegt werden. Der Trend auf den Bahnhöfen geht in eine völlig andere Richtung, es werden immer mehr Kameras installiert an deren Ende lediglich ein Aufzeichnungsband hängt. Diese preiswerte Variante führt zu immer mehr Überwachung ohne dass ein Sicherheitsgewinn zu erwarten ist. Ein Blick auf den Antragstext zur Akteneinsicht zeigt, es geht nicht um eine Ausweitung der Videoüberwachung im öffentlichen Raum sondern um eine Qualitätskontrolle der seit Jahren real vorhandenen Videoüberwachung. Verantwortliche Innenpolitik ist eben mehr als ein paar Schlagworte. Im Innenausschuss des Bundestages zählt Kompetenz und kritische Auseinandersetzung im Detail. Wenn wir Freiheit nur als Abwehrrecht begreifen und die Gestaltung der Sicherheit den Innenministern überlassen, werden wir die Auseinandersetzung um Bürgerrechte und Datenschutz verlieren.
Mit freundlichen Grüßen
Silke Stokar