Frage an Sibyll Klotz von Nicolas F. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrte Frau Dr. Klotz,
nach übereinstimmenden Experteeinschätzungen und Meinungsumfragen ist die Arbeitsmarktpolitik der jetzigen Bundesregierung als gescheitert anzusehen (wie auch diejenige der letzten CDU/CSU/FDP-Regierung). Im Wahlprogramm Ihrer Partei finde ich keinerlei fundamental neuen Ideen oder Ansätze.
Bitte schildern Sie kurz:
1) Was wollen Sie konkret ändern?
2) Wieviel neue Arbeitsplätze erwarten Sie durch die jeweilige Maßnahme?
Sollten Sie in den Bundestag gewählt werden, so werden auch Sie persönlich am Ende der Legislaturperiode daran gemessen werden, welche Veränderungen am Abeitsmarkt unter Ihrer Verantwortung als MdB (unabhängig von einer möglichen Regierungsbeiligung) erfolgt sind.
3) Bei welcher Zahl von Arbeitslosen am Ende der Legislaturperiode würden Sie Ihre Arbeit als erfolgreich bezeichnen? (aktuell [Juli 2005] Berlin: 326.151 Bunderepublik:4.772.082)
mfg
Nicolas Friese
Hallo Herr Friese,
Ich gebe Ihnen Recht: Gemessen an dem Ziel des Abbaus der Arbeitslosigkeit, hat Rot/Grün seine selbst gesteckten Ziele nicht erreicht. Die Ursachen dafür sind allerdings komplex und liegen nicht nur an verfehlten bundespolitischen arbeitsmarktpolitischen Weichenstellungen, wiewohl es aus meiner Sicht auch hier einiger Korrekturen bedarf. Dass Sie in unserem Wahlprogramm nichts fundamental Neues finden, das kann ich nun nicht nachvollziehen: Bürgerversicherung, soziale Grundsicherung, eigenständige Existenzsicherung für Frauen, Mindestlöhne - das sind nur einige der Stichworte, welche die Arbeitswelt regelrecht revolutionieren und für Beschäftigung sorgen würden. Wenn ich auch das Versprechen einer Vollbeschäftigung wie es sie in der alten Bundesrepublik in den 70er Jahren gab (also Vollzeit für den Familienernährer plus dazuverdienende Ehefrau) weder für realistisch noch für erstrebenswert halte. Unser Ziel muss es sein, mehr Menschen an dem begrenzten Volumen von bezahlter Erwerbsarbeit teilhaben zu lassen (und zwar zu existenzsichernden Löhnen) und die Phasen zwischen Arbeit, Kinder bekommen, Weiterbildung etc. besser sozial abzusichern.
Im Einzelnen zu Ihren Fragen:
1)
Korrekturen bei Hartz IV erreichen:
Regelsätze des ALG II so anheben, dass das sozio-kulturelle Existenzminimum abgesichert wird
Partnereinkommen geringer anrechnen (perspektivisch individuell regeln)
Altersvorsorge schützen
sozialversicherungspflichtige Arbeit statt Ein-Euro-Jobs auf dem zweiten Arbeitsmarkt
Integrationsbetriebe und soziale Wirtschaftsbetriebe auf dem zweiten Arbeitsmarkt ermöglichen bzw. stärken
Arbeitszeitpolitik muss wieder ein Thema werden. Wir wollen flexiblere Arbeitszeitgestaltung durch Arbeitszeitkonten, Familien-Teilzeit, Job-Rotation, Job-Sharing etc. erreichen.
Wir wollen Geld für Investitionen in Bildung und Kinderbetreuung mobilisieren, das schafft auch Arbeitsplätze. Bislang hat genau dies die Union im Bundesrat verhindert (Eigenheimzulage, Entfernungspauschale, Ehegattensplitting) abgeschafft werden, damit dieses Geld für Bildung (Kita, Schule, Hochschule, Forschung, lebenslanges Lernen). Dennoch hat Rot/Grün hier Einiges erreicht (z.B. Ganztagsprogramm, die Studierendenquote stieg von 28% im Jahr 1999 auf fast 40% im laufenden Jahr), aber noch lange nicht genug. Wir arbeiten weiter daran.
Außerdem setzen wir als Grüne natürlich auf die Verbindung von Ökonomie und Ökologie, denn Umwelt schafft Arbeit. Allein mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz sind 140.000 neue Arbeitsplätze entstanden. Tendenz steigend, wenn die Politik die Rahmenbedingungen dafür setzt. Wir wollen dies weiter tun. "Weg vom Öl" ist als Strategie ökologisch aber auch wirtschaftlich vernünftig.
Ich halte nicht viel davon, die Höhe der Lohnnebenkosten zum alleinigen Verursacher der hohen Arbeitslosigkeit zu erkären. Aber eines ist dennoch zutreffend: Gerade im Dienstleistungsbereich bewirken insbesondere die hohen Kosten für die Sozialversicherungen, dass Dienstleistungen entweder "schwarz erbracht" werden (Wer kennt nicht die Frage des Handwerkers: Wollen sie eine Rechnung????) oder gar nicht eingekauft werden. Deswegen sind wir Grüne für eine Bezuschussung der Sozialabgaben im unteren Einkommensbereich, damit die Leute Netto mehr vom Brutto in der Tasche haben, damit Arbeit im unteren Einkommensbereich preiswerter wird, mehr nachgefargt wird und dadurch neue Arbeitsplätze entstehen.
Um die Finanzierungsseite der Krankenversicherung aber perspektivisch aller Sozialversicherungen auf eine stabile Einnahmebasis zu stellen, wollen wir eine Bürgerversicherung einführen, in die alle einzahlen müssen (auch Beamte und PolitikerInnen), und in der auch alle Einkommensarten beitragspflichtig werden und zwar bei einer anghobenen Beitragsbemessungsgrenze. Das ist nicht nur sozial gerechter als das derzeitige System (wo sich die "breiteren Schultern" aus der Finanzierung entziehen können), sondern es schafft auch Arbeit, weil es die Lohnnebenkoasten reduziert.
Wir wollen die Erwerbsbeteiligung von Frauen erhöhen (Alle Länder, die eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen haben, haben auch eine geringere Arbeitslosigkeit, wie die skandinavischen Länder und auch Frankreich).
Wir wollen regionale und branchenspezifisch differenzierte Mindestlöhne. Gegebenenfalls soll es eine rechtlich verbindliche Mindestlohngrenze geben; ihre Festlegung soll unter Beteiligung von Gewerkschaften und Arbeitgebern erfolgen. Und wir setzen uns für europaweite Mindestlohnregelungen ein, denn schon jetzt ist nicht nur dieses Problem am Arbeitsmarkt nicht mehr im nationalen Rahmen zu lösen.
2)& 3)
Ich bin ja damit einverstanden, dass Sie die Grünen und auch mich an meinen Taten messen. Ganz unabhängig von Regierung und Opposition sollte dies allerdings nicht geschehen. Und wie uns Hartz IV lehrt, müssen dann immer noch die Mehrheiten im Bundesrat berücksichtigt werden. Deswegen sind diese Gesetze faktisch Ergebnis einer großen Koalition, ein Kompromiß auf der Basis des kleinsten gemeinsamen politische Nenners.
Ich sehe mich nicht in der Lage, Ihnen Beschäftigtenzahlen zu nennen, die den einzelnen Maßnahmen zuzuordnen sind. Dazu sind die (auch von der Politik nicht zu beeinflussenden) Wechselwirkungen zu enorm. Ob der 11. September oder die Ölpreise - es gibt Bedingungen, die kann auch ein Bundestag nicht oder nicht kurzfristig beeinflussen. Wir Grünen wollen z.B. unsere Strategie "Weg vm Öl" (gegen erheblich Widerstände der großen Energiekonzerne) fortsetzen, aber selbst wenn es uns gelingt, den Anteil der erneuerbaren Energien auf ein Viertel zu erhöhen, wird es dazu noch mehr als ein Jahrzehnt brauchen. Die Wachstumsmärkte der Zukunft (Wissen, Gesundheit und Umwelt) brauchen Unterstützung, damit dort auch neue Jobs entstehen können. Im Umweltbereich ist schon eine Menge passiert, leider aber wird davon vieles "aufgefressen" vom Arbeitsplatzabbau in anderen Branchen. Allein im Klimaschutz wurden in den letzten fünf Jahren 155.000 Arbeitsplätze geschaffen. Und allein beim grünen Punkt sind mittlerweile 17.000 Menschen beschäftigt. In den erneuerbaren Energien sind schon heute deutlich mehr Menschen als in Kohle und Atomkraft zusammen beschäftigt. Bis zum Jahr 2020 könnten es zwischen 400.000 und 500.000 sein, so schätzen ExpertInnen. Bei der Windenergie sind wir international führend. Auch die Agrarwende ist arbeitskräfteintensiv: Biobauernhöfe haben einen 35% höheren Bedarf an Arbeitskräften als konventionelle Landwirtschaft. Last but not least die ökologische Steuerreform, deren Einnahmen zu 90% in die Renten fließen (die übrigens heute schon zu ca. 40% steuerfinanziert sind). Ohne diese Steuerreform wären die Beiträge zur Rentenversicherung bei 21,2% (und nicht bei 19,5%). Das DIW berechnet, dass es ohne die Ökologische Steuerrreform 250.000 Arbeitsplätze in Deutschland weniger gäbe.
Ich hoffe, Sie davon überzeugt zu haben, dass das, was wir Grünen in den letzten sieben Jahren getan haben, auch eine Menge Arbeitsplätze geschaffen hat - auch wenn sich natürlich allein mit Energiewende und Ökosteuer die Beschäftigungskrise nicht lösen läßt.
Viele Grüße
Sibyll Klotz