Frage an Seyran Papo von Reinhard P. bezüglich Familie
Sehr geehrte Frau Papo,
in Deutschland und auch in Schleswig-Holstein lebt eine wachsende Zahl von Menschen ohne sichere Aufenthaltserlaubnis, oft abgelehnte Flüchtlinge, die weder ausreisen noch abgeschoben werden können und mit einer Duldung nur eingeschränkte Rechte haben.
1987 wurde die erste „Altfallregelung“ beschlossen, die einigen Geduldeten auf dem Gnadenweg zu einem Aufenthaltsrecht verhalf. Seitdem gab es eine lange Reihe von immer neuen Altfallregelungen, Härtefallregelungen und Bleiberechtsregelungen, die alle ein Problem ungelöst ließen: Die Zahl der Geduldeten stieg weiter an, weil immer nur ein kleiner Teil der Betroffenen die Bedingungen erfüllen konnte.
• Was wollen Sie auf diesem Gebiet fordern oder umsetzen, wenn Sie in den Landtag kommen?
Zur Zeit hat Schleswig-Holstein einen neuen Vorschlag für ein Bleiberecht für Geduldete in den Bundesrat eingebracht. Voraussetzung für eine Aufenthaltserlaubnis soll eine „gelungene Integration“ als Vorleistung der Geduldeten sein, die mit einem Nachweis von bestandenen Deutsch-Prüfungen und einer Arbeitsstelle definiert wird. Der Leiter der Kieler Ausländerbehörde hat schon gesagt, dass von einer solchen Regelung in seinem Bereich keine einzige Person profitieren wird.
• Wie soll nach ihren Vorstellungen eine Bleiberechtsregelung aussehen, die diesen Namen verdient?
Mit freundlichen Grüßen
Reinhard Pohl
Sehr geehrter Herr Pohl,
vielen Dank für Ihre Frage. Sie sprechen hier ein wirklich heißes Eisen an. Ich weiß aus eigener Erfahrung, was es bedeutet, die Heimat Hals über Kopf verlassen zu müssen. Damals war ich gerade mal 8 Jahre alt, als meine Eltern die notwendigsten Dinge zusammenkramten und wir über Nacht aus der Heimat flüchten mussten, weil einigen Leuten die Richtung nicht passte, in der sich mein Großvater und auch mein Vater politisch engagierten. Für meine Eltern, meine Geschwister und für mich war es die einzige Chance, der angedrohten Gewalt und Schlimmerem zu entkommen. Mein Großvater hatte diese Chance leider nicht mehr. Wir landeten also in Deutschland und fanden Unterkunft in einem Asylheim bei Rostock; umgittert, rund um die Uhr bewacht und umzingelt von Neonazis. Für mich waren das alles traumatische Erlebnisse, die ich keinem anderen wünsche.
Was dann folgte, waren eben die „/ganz normalen Dinge/“, wie sie eben die deutschen Aufenthaltsgesetze beschreiben: Duldung, ….Duldung, ….Duldung, ……..Aufenthaltserlaubnis usw. Wir haben das alles mit sehr viel Energie und Selbstbewusstsein und auch viel Glück durchgestanden und mittlerweile bin ich seit 8 Jahren deutsche Staatsbürgerin.
Mir muss niemand sagen, was es bedeutet, die Heimat verlassen zu müssen, die weite Familie zurückzulassen, Haus und viele Freundinnen und Freunde nicht mehr wiederzusehen; was es bedeutet, in einem fremden Land, in fremder Kultur, einem völlig anderen Klima und mit einer fremden Sprache anzukommen.
Und ich weiß deshalb genau, dass es keinen Menschen gibt, der diese beschwerliche Tour (Tortur) freiwillig auf sich nimmt, nur in der vagen Hoffnung auf ein vermeintlich /netteres/ Leben.
Alle diese Menschen, die sich auf diesen ungewissen Weg machen, haben ihre ganz persönlichen Gründe dafür. Es spielt für mich überhaupt keine Rolle, ob sie nun in ihrer Heimat politisch verfolgt werden oder ob sie „nur“ aufgrund von purer Existenznot handeln. Immer sind es (über-)lebensbedrohliche Umstände, die einen solchen Schritt auslösen. Und immer sind es die vorhandenen politischen Systeme, die Menschen in diese Situation treiben, aber das ist eine etwas andere Baustelle. Die Politiker und Verwaltungsbeamten in Deutschland haben von all diesen Dingen jedenfalls überhaupt keinen Schimmer.
Nun zum von Ihnen angesprochenen Aufenthaltsgesetz mit den leidbringenden Kettenduldungen. Das Gesetz ist schlecht, überflüssig und auch die immer wieder durchgeführten Änderungen machen es nicht besser. Es geht gehört schlicht und einfach in den Mülleimer. Hat es doch einzig und allein den Zweck, Hürden aufzubauen, um Menschen, die man nicht haben will (warum eigentlich nicht?), deren Wert man nicht erkennen will und in denen man wohl keine wirtschaftliche Verwertbarkeit sieht, auf möglichst schnelle Art und Weise wieder los zu werden.
Dabei sieht man dann auch schon mal großzügig über das Grundgesetz hinweg, wonach doch die Würde des Menschen unantastbar sein soll.
Ich wünsche mir, dass jeder Mensch bei uns willkommen ist, ganz egal, aus welchen Gründen er nun mal da ist und, dass wir alles tun, um ihm einen erfolgreichen Start in eine neue Lebensphase zu ermöglichen. Das fängt mit einem umfassenden, kostenlosen Deutschunterricht an, sofort nach dem Zuzug, weil nur jemand, der auch die Sprache beherrscht, in der Lage sein wird, sich eine eigene wirtschaftliche Existenz zu schaffen. Absolvierte Ausbildungen, Hochschulabschlüsse und Zeugnisse müssen großzügig anerkannt werden und man muss eine, auf die vorhandenen Erfahrungen aufbauende, Weiterbildung anbieten. Ganz wesentlich ist auch der ungehinderte Zugang zum Arbeitsmarkt (wobei natürlich auch hier Mindestlöhne zu gelten haben), weil so zumindest die Chance auf eine eigene Existenzsicherung gegeben wäre; der Staat würde um entsprechende Sozialleistungen entlastet.
Kettenduldungen, Abschiebungen und ständiges Leben in Angst und Ungewissheit sind für die Betroffenen zurzeit leider die einzige Alternative.
Was wir dringend brauchen ist kein Aufenthaltsgesetz und keine Bleiberechtsregelung sondern ein *Integrationshilfegebot*. Einem Land, das viele Milliarden Euro bewegt, um Pleitebanken zu „retten“, das mit hunderten Milliarden für ruinöse Staatshaushalte garantiert und,…das, über die EU, mit immensen Kosten, die FRONTEX-Agentur finanziert, die unter Einsatz brutalster Mittel, die Zuwanderung in die EU verhindern soll, würde das gut zu Gesicht stehen.
Ich werde daran arbeiten.
Herzliche Grüße
Seyran Papo