Frage an Serkan Tören von Frank B. bezüglich Jugend
zum derzeit diskutierten "Beschneidungsurteil" durfte ich lesen, dass Sie laut einem Bericht der Neuen Osnabrücker Zeitung an Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) geschrieben haben und bitten, auch medizinisch nicht zwingend notwendige Eingriffe zu erlauben, sofern die Risiken überschaubar sind und keine negativen gesundheitlichen Folgen aus ihnen resultieren.
Ich möchte Sie nun fragen, wie das gehen soll. Denn die Beschneidung von Jungen ist sehr wohl mit späteren körperlichen Einschränkungen (und damit negativen gesundheitlichen Folgen) verbunden. Die als Säugline und Jungen Beschnittenen mögen vielleicht keinen Vergleich haben - als Spät-Beschnittener (20 Jahre) weiß ich jedoch um den Unterschied zwischen "vorher" und "nachher".
Sollten daher nicht die Regeln des Rechtsstaats für alle gleichermaßen gelten - männliche Säuglinge und Kinder eingeschlossen? Wie wollen Sie erklären, dass Beschneidungen von männlichen Säuglingen aus nicht-medizinischen Gründen straffrei sein sollen, sämtliche anderen Körperverletzungen aber strafbewehrt? Und wie wollen Sie glaubhaft darlegen, dass keine negativen gesundheitlichen Folgen aus der Beschneidung entstehen?
Beste Grüße
Frank Brennecke
Sehr geehrter Herr Brennecke,
vielen Dank für Ihre Nachricht. Gestern hat der Bundestag mit den Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU, FDP und SPD sowie von Abgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen die Bundesregierung aufgefordert, im Herbst diesen Jahres einen Gesetzesentwurf vorzulegen, der sicherstellt, dass eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich zulässig ist.
Die FDP-Fraktion hat sich ihre Entscheidung nicht leicht gemacht hat, das versichere ich Ihnen. In der Frage der Zulässigkeit von Knabenbeschneidungen müssen sorgfältig das Kindeswohl, das Erziehungsrecht der Eltern und auch die Religionsfreiheit abgewogen werden. Die FDP-Fraktion ist zu der Auffassung gekommen, dass die Beschneidung männlicher Kinder keinen nachhaltig schädlichen und auch keinen sittenwidrigen Eingriff darstellt.
Als Muslim und auch als Rechtsanwalt habe ich die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen immer als zulässig angesehen. Daran hat auch das Urteil des Kölner Landgerichts vom 7. Mai (Az. 151 Ns 169/11) nichts geändert. Das Urteil hat für vergleichbare Fälle keine bindende Wirkung, schafft aber dennoch eine Situation der rechtlichen Unsicherheit für Muslime und Juden in Deutschland. Dass die Beschneidung eine Körperverletzung ist, ist unstreitig, da bereits das Stechen von Ohrlöchern eine Körperverletzung darstellt. Die Frage ist vielmehr, ob dieser körperliche Eingriff zulässig ist oder nicht.
Viele Kritiker der Beschneidung bezeichnen diese als einen archaischen Ritus von Juden und Muslimen. Sie übersehen dabei, dass die Beschneidung von Jungen nicht nur in islamischen Ländern und Israel praktiziert wird und anerkannt ist. Auch in den USA, Australien, Südkorea und im südlichen Afrika ist die Beschneidung weit verbreitet. In diesen Ländern werden sie in der Regel nicht aus religiösen, sondern aus hygienischen, gesundheitlichen und ästhetischen Gründen vorgenommen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt sogar die Beschneidung. Darüber hinaus verbietet kein Land der Welt die Knabenbeschneidung. Diese Form der Beschneidung ist daher in der modernen Welt weit verbreiteter und anerkannter als zu archaischen Zeiten.
Trotz der Aufgeregtheit in der Debatte auf allen Seiten sollten wir uns immer darauf besinnen, dass das Kindeswohl im Mittelpunkt der Diskussion stehen muss. Das Urteil darüber, ob die Knabenbeschneidung gesundheitsfördernd oder schädlich ist, sollte nicht voreilig getroffen werden. Die Vorteile und Nachteile müssen sorgfältig abgewogen werden. Dabei müssen die kurze, die mittlere und die lange Frist berücksichtigt werden. Diese Abwägung ist im Grundsätzlichen nicht leicht zu treffen. Deutlich einfacher wird dies im Einzelfall jedes Jungen, über den seine Eltern deutlich besser Bescheid wissen als der Staat. Wie in anderen Erziehungsfragen auch, mahnen wir Liberale die Zurückhaltung des Staates an. Das Primat der Erziehung liegt in unserem freiheitlichen Staat bei den Eltern. Erst wenn diese gegen das Kindeswohl verstoßen, kann und muss der Staat eingreifen. Da Knabenbeschneidung jedoch in allen freiheitlichen Staaten anerkannt ist und gesundheitliche Vorteile bringen kann, widerspricht sie dem Kindeswohl nicht.
Die Diskussion um die Knabenbeschneidung wird sehr aufgeregt geführt. Das ist verständlich und auch berechtigt. Schließlich geht es um diejenigen in der Gesellschaft, die unseren Schutz und Fürsorge am stärksten benötigen. Wichtig ist mir, dass die Positionen, die sich derzeit unversöhnlich gegenüber stehen, zu einer gemeinsamen Sprache und zu einem fruchtbaren Austausch kommen. Nur so können wir eine Lösung finden, die alle Beteiligten tragen können. Wir sollten die gesellschaftliche Diskussion daher aufgeschlossen und dabei nichtsdestoweniger engagiert führen.
Mit freundlichen Grüßen,
Serkan Tören, MdB