Frage an Sebastian Striegel von Rainer R. bezüglich Bildung und Erziehung
Die GJ fordert :
1.Abschaffung der Noten
2.Abschaffung des Sitzenbleibens
3.Abschaffung der Typentrennung (Sonderschulen, Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien) und zusammenlegen aller Schüler unterschiedlichen Leistungsniveaus in eine Klasse.
4.Individuelle Förderung,sowie Selbstgestaltung einzelner Schüler.
5.Einführung von Ganztagsschulen.
Zu 1. Die GJ begründet diese Forderung damit, dass die Noten nicht die Leistung, sondern die individuelle Bewertung wiedergeben würden.
Ich bin der Meinung, dass die Durchsetzung dieser Maßnahme fatal wäre. Diese verführt zur Faulheit.
Wie sollen die Schüler zum Lernen motiviert werden? Welchen Maßnahmen zu Erziehung der Schüler sollen eingeführt werden? Wie soll ein Schüler sich selbst einschätzen wo so hierzu eigentlich noch nicht befähigt sein dürfte?
Was ist Ihr Standpunkt zur Einführung von Kopfnoten.
zu 2. Wie sollen die Defiziete der Schüler in ihren Problemfächern sonst beseitigt werden? Meiner Meinung nach ist dies nur durch "Spezialunterricht" in kleinen Gruppen möglich. Die Mittel hierfür hat aber der Staat nicht.
Wie ist ihre Meinung hierzu?
zu 3. Auch diese Maßnahme halte ich für Fatal.
Die Leistungdifferenzen sind so massiv, dass ein effektiver Untericht nicht mehr möglich wäre, da die einen massiv über- und die anderen massiv unterfordert wären. Wie soll hier eine effektiver Unterricht möglich sein?
Meiner Meinung nach ist es besser Gesamtschulen einzuführen, in denen Klassen aller hier genannt Schultypen untergebracht sind mit der Möglichkeit, dieser Schüler wechseln können, einzuführen.
Wie sehen sie das?
zu 4. Meiner Meinung nach muss ein Pflichtunterricht erhalten bleiben. Über diesen hinaus können Komponenten zur individuellen Gestaltung und Förderung eingeführt werden.
Wie ist Ihr Standpunkt hierzu?
zu 5. Welchen Vorteil bringen Ganztagsschulen gegenüber den bisherigen?
Sehr geehrter Herr Ruprecht,
Sie beziehen sich mit Ihrer Frage auf das Grundsatzprogramm Bildung der Grünen Jugend aus dem Jahr 2003. Im genannten Programm (erreichbar über http://www.gruene-jugend.de/themen/bildung/19593.html) finden sich viele gute Ansätze, aber auch mancher Vorschlag, der sich kritisch zu diskutieren lohnt. Ich werde versuchen, Ihre Fragen einzeln abzuarbeiten. Meine Antworten bitte ich nicht als in Stein gemeißelt zu verstehen. Ich glaube, dass gerade im Bildungssektor eine Vielfalt von Lern-, Organisations- und Schulformen erhalten werden sollte, um die unterschiedlichen (Lern-)Bedürfnisse zu befriedigen.
Zu 1) Die Grünen selbst haben zur beschrieben Thematik die so genannte "die Kieler Erklärung" veröffentlicht. Hier wird gefordert, Noten zur gezielten Förderung und weniger zur Auslese zu nutzen ( http://www.gruene-partei.de/cms/files/dokbin/55/55570.kieler_erklaerung_zur_schulpolitik.pdf )
Ich halte Noten nur für bedingt geeignet, den Leistungsstand von Schülerinnen und Schülern zu erfassen bzw. ihre Kenntnisse zu bewerten. Aus meiner Sicht befindet sich das gegenwärtige Notensystem in der Krise, denn es honoriert vor allem Fähigkeiten des Auswendiglernens und weniger des Verstehens. Das gilt im Übrigen nicht nur für die Schule, sondern auch für die Universität. Gleich wohl verfechte ich nicht eine völlige Abschaffung der Noten und den Übergang zur völligen Freiwilligkeit des Lernens. Ich möchte die Leistung der Schülerinnen und Schüler durch eine neue Leistungs- und Bewertungskultur fördern. Deshalb plädiere ich für Orientierungs- und Vergleichsarbeiten sowie Tests, die das Erreichen von bundesweit festgelegten Bildungsstandards überprüfen. Diese Instrumente dienen - anders als das bisher praktizierte Notensystem - zur Beurteilung der Qualität von Schulen bzw. im Hinblick auf die Schülerinnen und Schüler zur Diagnostik von Stärken und Schwächen, damit die individuelle Förderung aller Kinder und Jugendlicher passgenau erfolgen kann. Kopfnoten lehne ich - auch aus eigener Erfahrung - ab, weil es sich bei ihnen um ein bloßes Disziplinarinstrument handelt, das überdies ausgesprochen anfällig für Missbrauch ist.
Zu 2) Kleingruppen sind außerordentlich gut dafür geeignet, Defizite bei einzelnen SchülerInnen auszubügeln. Die dafür notwendigen Mittel muss der Staat bereit stellen. Das muss uns die Zukunft unserer Kinder wert sein. Wenn der Bildungsbereich in Länderhoheit bleibt, müssen die Bundesländer hier endlich Farbe bekennen und Geld in Bildung umlenken. Rot-Grün hat mehrmals versucht, die Eigenheimzulage abzuschaffen, um damit Geld für den Bildungsbereich freizumachen. Das ist von CDU- und FDP-regierten Ländern im Bundesrat immer wieder abgelehnt worden. Wir Grüne wollen mehr Bildung und weniger Beton.
Zu 3) Auch hier lade ich zu differenzierter Betrachtung ein. Pauschale Zusammenlegungen führen nicht weiter. Aber: Unser Schulsystem ist zu stark separiert und außerdem nahezu völlig undurchlässig. Wer von einem Schultyp zum anderen wechseln will, stößt auf unüberwindbare Hürden. Gerade im ländlichen Raum und insbesondere in Ostdeutschland führt die starke Ausdifferenzierung überdies dazu, dass in vielen kleineren Gemeinden Schulen geschlossen werden müssen, da die geforderten Schülerzahlen pro Schulzweig nicht mehr erreicht werden. Bei verstärkter Einführung von Gesamtschulen/Schulzentren wäre es möglich, mehr Schulen als Gemeindemittelpunkt zu erhalten und außerdem Schulwege nicht bis ins unermessliche zu verlängern. Auch die Schaffung von altersübergreifenden Klassen sollte geprüft werden. Einzelne skandinavische Länder haben mit diesem Instrument gute Erfahrungen gemacht.
Zu 4) Einen gemeinsam zu absolvierende Fächerkanon für alle Schüler halte ich für notwendig. Allerdings sollten darüber hinaus unterschiedlichste Interessenlagen bedient werden, um Freude am Lernen, die Neugier der SchülerInnen und die Herausbildung individueller Biografien zu gewährleisten.
Zu 5) Ganztagsschulen (insbesondere offene) leisten einen unermesslichen Beitrag zu Forderung und Förderung von SchülerInnen, zu deren Betreuung und zu deren Entwicklung hin zu eigenständigen Persönlichkeiten. Sie geben Raum zur Entfaltung, wo Elternhäuser durch mangelnde Förderung ihrer Kinder versagen und schaffen Möglichkeiten, eigenen Hobbies nachzugehen oder bei der Hausaufgabenbetreuung oder der Prüfungsvorbereitung Lerndefizite auszubügeln. Die rot-grüne Bundesregierung hat deshalb im Rahmen des Investitionsprogrammes Zukunft Bildung und Betreuung den Ländern mehr als vier Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, um mit diesem Geld Ganztagsschulen zu errichten.
In meinem Wahlkreis hatte ich vor wenigen Tagen die Gelegenheit, gemeinsam mit Krista Sager die Baustelle einer solchen umzubauenden Schule zu besuchen. Dort werden insgesamt rund 3 Mio. Euro investiert (davon 2,5 Mio bereitgestellt durch den Bund). Bereits jetzt nutzen mehr als 50 Prozent der SchülerInnen der beschriebenen Sekundarschule die freiwilligen(!) Angebote der Ganztagsbetreuung.
In der Hoffnung, mit meinen Antworten Ihre Wahlentscheidung leichter gemacht zu haben, verbleibe ich mit freundlichen Grüßen.
Sebastian Striegel