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Sebastian Striegel
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Frage von Stefan H. •

Frage an Sebastian Striegel von Stefan H. bezüglich Energie

Hallo Sebastian,

Photovoltaik-Anlagen stellen auf den ersten Blick eine attraktive Alternative zu herkoemmlichen Energietraegern dar. Zur Herstellung der Siliziummodule kommt brasilianischer Sand zum Einsatz (nur dieser ist geeignet), der in einem aeusserst energieaufwendigen Verfahren zu Silizium reduziert, gereinigt und mehrfach umkristallisiert wird. Die Umwandlung erfolgt dabei ueber hochgiftige, teils explosive Silane.

Anlagen zur Rohsiliziumherstellung wuerden in Deutschland nur unter strengsten Sicherheitsauflagen genehmigt werden. Daher und aufgrund des hohen Energiebedarfes werden diese Anlagen vor Ort, in Brasilien, errichtet -- wie man sich denken kann unter etwas weniger strengen Sicherheitsauflagen.

Als weiterer Aspekt kommt hinzu, dass, abhaengig von der zitierten Studie, Solarzellen im Laufe ihres Lebens nur etwa die Energiemenge liefern, die zu ihrer Herstellung, Montage und Entsorgung benoetigt wird (Standort Mitteleuropa). Vgl. http://elib.uni-stuttgart.de/opus/volltexte/1999/460/pdf/460_1.pdf
Kernenergie schneidet dabei, und was den Rohstoffeinsatz angeht, wesentlich guenstiger ab.

Beruecksichtigen Die Gruenen, die Solarenergie als regenerative Energiequelle foerdern, dass unsere Energieprobleme damit nach Brasilien verlagert werden, dass Menschen dort mit hochgiftigen Stoffen hantieren muessen?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Lieber Stefan,

mit deiner Frage vom 24. August hast du mich ganz schön zum Schwitzen gebracht. Ich musste mir zur technischen Seite deiner Anfrage selbst erst einmal ExpertInnenrat holen, denn ganz so tief wie du, als studierter Elektrotechniker, bin ich in der Materie bisher natürlich nicht involviert.

Aber nun zur Antwort, die ich gerne zweiteilen würde.

Zunächst zur Siliziumproduktion in Brasilien:

Silizium wird zunehmend in den Industrieländern und dabei auch in Deutschland selbst produziert. Ein Beipiel ist hier Wacker-Chemie, der zweitgrößten Polysiliziumproduzent der Welt. Aber dir ging es ja um die Produktion in Brasilien. Natürlich ist es skandalös, wenn die Produktion von Silizium in anderen Ländern mit niedrigen Umwelt- und Sozialstandards einhergeht! Deswegen versuchen wir Grüne in Deutschland, Europa und auf UN-Ebene (z. B. im Rahmen der Handels- und Entwicklungspolitik) die Verbesserung von Umwelt- und Sozialstandards durchzusetzen.

Die problematischen Standards bestehen jedoch in allen Bereichen, d. h. auch im Primärenergiesektor. Ich muss dir sicher nichts über die Vertreibung von Ureinwohnern durch Bergbaukonzerne erzählen bzw. dir die Verbrechen, die z. B. Shell in Nigeria zusammen mit dem dortigen korrupten Regime verübt hat, erläutern.
Ich halten den Einwand daher zum einen für unverhältnismäßig und gegenüber der Solarindustrie nicht für fair. Was nichts an der Notwendigkeit ändert, die sozialen Bedingungen und die Umweltstandards in Schwellen- und Entwicklungsländern zu verbessern. Zum anderen würden wir uns - wenn wir denn Silizium aus Brasilien boykottieren würden - den Protektionismus-Vorwurf gefallen lassen müssen. Denn auch diese Länder wollen durch Ihre Exporte einnen besseren Zugang zu den Weltmärkten haben.

Was die Energiebilanz von PV-Modulen und deren life-cycle anbelangt, so ist mir versichert worden, das es sich bei der von dir zitierten Quelle um einen äußerst tendenziösen Wissenschaftler handelt, der erstens der Atomlobby mehr als nahe steht und zweitens mit völlig veraltetem Datenmaterial arbeitet.

Es gibt inzwischen aus den letzten Jahren eine Vielzahl von Studien, die zu ganz anderen Ergebnissen kommen. Nach neuesten Berechnungen (z. B. im noch unveröffentlichten Bericht der DGS zu diesem Thema, erscheint im Oktober) geht man davon aus, dass die energetische Amortisation bei PV-Modulen (je nach Herstellungsart und Rahmenkonstruktion) in Mitteleuropa zwischen 2,7 und 6,2 Jahren liegt. In Südeuropa und Nordafrika liegen die Amortisationszeiten bei etwa der Hälfte. Da Solarzellen für eine Lebensdauer von etwa 25 bis 30 Jahren ausgelegt sind, erwirtschaften sie mehr Energie, als für ihre Herstellung verbraucht wird, der Erntefaktor liegt bei ca. 5,3 bis 11.

Die detaillierten Ergebnisse der Studien kannst du hier nachlesen:

Alsema, Eric A., Energy Payback Times and CO2 Emissions of PV Systems, in: Progress in Photovoltaics. Research and Applications 8/2000, S. 17-25.

Bubenzer, Achim/Räuber, Armin, Life Cycle Assessment of Photovoltaic Systems, in: Ders./Luther, Joachim (Hrsg.), Energy Technological Economy, 2003, 179-213.

Jungbluth, Niels/Frischknecht Rolf, Literaturstudie Ökobilanz. Photovoltaikstrom und Update der Ökobilanz für das Jahr 2000, Bericht im Auftrag des Bundesamtes für Energie, 2000.

Knapp, Karl E./Jester, Theresa L., An Empircal Perspective on the Energy Payback Time for Photovoltaic Modules, Solar 2000 Conference, Madison, Wisconsin 2000.

Mehr Infos zum Thema auch im DGS-Leitfaden "Photovoltaische Anlagen" (siehe http://www.dgs-berlin.de/lfpv.0.html), insbesondere in der im Oktober erscheinenden 3. Auflage 2005 (noch kein Link vorhanden).

Mit herzlichen Grüßen und in der Hoffnung, etwas Erhellung gebracht zu haben.

Sebastian

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