Frage an Sebastian Harmel von Michael W. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Harmel,
Sie kandidieren für die Piratenpartei, die ein (bedingungsloses?) Grundeinkommen befürwortet. Ebenso wird (mitunter/gleichzeitig?) für einen Mindestlohn als "Brückentechnologie" geworben.
Zu meinem Punkt ... ein "Mindestlohn" führt m.E. nicht über eine "Brücke" zum Grundeinkommen, sondern in eine völlig andere Richtung. Ein Mindestlohn entkoppelt die Arbeit nicht vom Einkommen - so wie beim Grundeinkommen angedacht. Er wirkt auch nicht existenzsichernd, bspw. bei sog. MiniJobbern mit weniger als 20 Wochenstunden - es sei denn man hat mindestens zwei solcher MiniJobs, was allerdings i.d.R. mit einem erhöhten organisatorischen und bürokratischen Aufwand verbunden ist.
Mit anderen Worten: entweder Mindestlohn ODER (bedingungsloses) Grundeinkommen.
Fragen:
1. Inwieweit hat die Piratenpartei die Logiken von Mindestlohn und Grundeinkommen selbst durchdacht?
2. Wurde das Thema "Mindestlohn" ins Parteiprogramm aus sog. populistischen Gründen aufgenommen, da nach diversen Umfragen um die 80% der Deutschen einen solchen fordern?
3. Inwieweit kann der derzeitige Vorsitzende der Piratenpartei, Bernd Schlömer, als Kopf der Piratenpartei mit Grundeinkommens-Ausrichtung ernst genommen werden, wenn er im Oktober 2012 dem ehemaligen politischen Geschäftsführer und Kunstschaffenden, Johannes Ponader, mittels eines Spiegel-Artikel sozusagen ausrichten lässt, "mal zu arbeiten"?
Er spielte dabei auf den zeitweisen ALG-Bezug Ponaders a;, was jedoch schon seit über zehn Jahren Jahren auch bei bekannten Schauspielern (Suzanne von Borsody, Ulrike Folkerts u.v.a.) keineswegs unüblich ist, weil freeschaffend & künstlerisch tätige Personen kaum das ganze Jahr über Beschäftigung finden.
4. Welche Wege sehen Sie persönlich, vom momentanen "Hartz-IV"-System (ansatzweise) in ein Grundeinkommens-Modell zu gelangen?
Vielen Dank im Voraus für die Beantwortung meiner Fragen - gern auch teilweise, da es sehr viele Fragen sind ;)
Mit den besten Grüßen
Michael Winkler
Hallo Michael,
mit dem Thema Mindestlohn haben sich in der Piratenpartei eine Vielzahl an Personen und Arbeitsgruppen bereits seit 2009 beschäftigt. Das Thema wurde auf mehreren Diskussionsveranstaltungen besprochen. Es gab eine Projektgruppe "Mindestlohn". Wir haben uns dabei nicht nur die unterschiedlichen Forderungen der anderen Parteien und der Gewerkschaften angeschaut, sondern diese auch nachgerechnet. Ferner, was viel entscheidener ist, haben wir uns die Situation in mit Deutschland vergleichbaren Ländern wie z.B. den Niederlanden und der Schweiz angesehen und die dort gewonnenen Erfahrungen ausgewertet. Langfristig wollen wir Piraten ein existenz- und teilhabesicherndes Grundeinkommen. Das ist im Zeitalter der Automatisierung und Rationalisierung ein logischer Schritt. Die konkrete Umsetzung wollen wir im Zuge gesamtgesellschaftlicher Diskussion und mittels einer Enquete Kommission im Bundestag erreichen. Dies braucht jedoch Zeit. Durch die Agenda 2010 ist eine gewaltiger Niedriglohnsektor entstanden und auf die damit verbundenen Probleme muss möglichst schnell reagiert werden. Deshalb ist der Mindestlohn eine "Erste Hilfe Maßnahme". Entscheiden wir uns als Gesellschaft für ein bedingungsloses Grundeinkommenn wird ein Mindestlohn überflüssig. Daher die Aussage "Mindestlohn als Brückentechnologie".
Die zentrale Frage ist: Sind wir mutig und setzen uns für eine Alternative zur bisherigen Arbeitsmarktpolitik ein? Zypern will eine Grundsicherung einführen und in der Schweiz wird es eine Volksabstimmung darüber geben.
https://www.piratenpartei.de/2013/08/07/zypern-macht-soziale-grundsicherung-mit-weniger-burokratie-vor/
https://wiki.piratenpartei.de/Parteiprogramm#Mindestlohn_als_Br.C3.BCckentechnologie Teile des Programms in diesem Bereich wurden bereits 2011 auf dem Bundesparteitag in Offenbach beschlossen.
Die Forderung nach einem Mindestlohn wurde 2011 zusammen mit dem bedingungslosen Grundeinkommen von unserem Bundesparteitag in das Wahlprogramm aufgenommen. Dies geschah nicht aus populistischen Gründen, sondern ist vielen Piraten im Hinblick auf die bereits angesprochenen Probleme im Niedriglohnsektor ein echtes Anliegen. Aufgrund der Basisdemokratie auf Parteitagen kann eine gelenkte Intention Umfragen zu folgen ausgeschlossen werden. Vielmehr war es eine individuelle Entscheidung der Mitglieder und unter diesen befürwortet eine breite Mehrheit den Mindestlohn, ebenso wie in der Bevölkerung. Mit dem differenzierten Mindestlohn wollen wir Leiharbeit eindämmen.
Unsere Positionen beschließen wir Piraten auf Bundesparteitagen. Es gibt bei jeder Entscheidung Menschen, die diese befürworten oder ablehnen. Jeder Pirat, auch Vorstände, können ihre Meinung frei äußern. Das ändert jedoch nichts an der Beschlusslage. Ich persönlich werde mich mit Nachdruck für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens einsetzen, insbesondere um das Recht auf sichere Existenz und Teilhabe zu verwirklichen.
Bisher wurde eine Debatte im Bundestag über die erfolgreiche Petition zum Grundeinkommen durch den Petitionsausschuss verhindert. Als Oppositionspartei haben wir im Bundestag die Möglichkeit, das Thema endlich auf die Tagesordnung zu setzen. Um auf individuelle Lebenssituationen einzugehen müssen viele Sonderfälle behandelt werden. Dies erfordert hohen bürokratischen Aufwand und schränkt freies, eigenverantwortliches Entscheiden und die Privatsphäre der Bedürftigen massiv ein. Kurzfristig müssen deshalb die pauschalen Regelsätze erhöht werden.
Ein zweiter Schritt in Richtung bedingungsloses Grundeinkommen ist unsere Forderung nach der sofortigen Abschaffung der Sanktionen beim Arbeitslosengeld II. Für sehr wichtig halte ich, eine breite gesellschaftliche Diskussion zu befördern: Was bedeutet ein Grundeinkommen? Wie wollen wir zusammen leben?
In der Piratenpartei wurde die Idee "Sockeleinkommen" entwickelt, als ein möglicher Schritt in Richtung bedingungsloses Grundeinkommen. Die Einführung von bundesweiten Volksabstimmungen ist ein weiterer wichtiger Schritt. Dadurch können wir, wie gerade in der Schweiz, die Einführung parteiunabhängig und direktdemokratisch auf den Weg bringen. Wir Piraten sprechen uns für die Einsetzung einer Enquete-Kommission im Bundestag aus, die Vorschläge zur konkreten Umsetzung des Grundeinkommens erarbeitet.
Mit freundlichen Grüßen
Sebastian Harmel