Sebastian Harmel
PIRATEN
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Frage von Udo H. •

Frage an Sebastian Harmel von Udo H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Harmel,

ein von den Piraten leider nur unzureichend angesprochenes Thema ist der Rundfunkbeitrag. Bernd Schlömer hat zwar Anfang August seine Einschätzung des Rundfunkbeitrags als nicht zukunftsfähig angegeben. Auf der Seite der Piraten findet sich darüber aber kein eigenständiger Punkt - und das, obwohl ihr Hauptthema der Datenschutz ist und die wichtige Klientel der Studenten zu den Leidtragenden der neuen Regelung zählt.

Nach der alten Regelung war eine WG, in der ein Student BAFÖG erhielt, von den Gebühren befreit, da die GEZ von sich aus von einer Gesamtwirkung auf den Haushalt ausging. Nach der neuen Regelung wird der Beitrag angemahnt, wenn auch nur ein einziger Bewohner der WG nicht befreit ist. Dies führt dazu, dass WG-Bewohner diesen Betrag unter sich aufteilen müssen, auch wenn einige von ihnen im Haushalt keinen Rundfunk nutzen.

Möglich ist dies, weil der in Beitragsservice umbenannten GEZ im Rahmen des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags größere Rechte bei der Erhebung sozialer Daten eingeräumt wurden: eine erweiterte Auskunfts- und Anzeigepflicht (§8 RBStV), Datenweiterleitung der Ämter (§ 11 RBStV) und zudem liegt die Beweislast bei Wahrnehmung des Auskunftsverweigerungsrechts bei den betroffenen Beitragspflichtigen (§12 RBStV). Dadurch hat der Beitragsservice mehr Auskunftsrechte als jede Behörde, denen dies durch Urteil des BVerfG zu Art. 10 GG untersagt ist. Der Beitragsservice ist de facto die größte personenbezogene Datenbank Deutschlands und als Verwaltungsgemeinschaft öffentlichen Rechts nur mittelbar für die Verwendung dieser Daten haftbar.

Ich verstehe nicht, warum sich die Piraten dieses immens wichtigen datenschutzrechtlichen Themas nicht früher und in größerem Umfang angenommen haben. Sind die Kommentare Herrn Schlömers ein Hinweis darauf, dass sich dies nun ändert, und entwickeln die Piraten ein eigenes Konzept zur Rundfunkfinanzierung ?

Mit freundlichem Gruß,

Udo Helms

Antwort von
PIRATEN

Hallo Udo,

zunächst vielen Dank für deine Frage und die Darstellung des Problems. Es steht dazu nichts im Wahlprogramm, da es Ländersache ist. Grundsätzlich sprechen sich alle Landesverbände für den Öffentlich-rechtlichen Rundfunk aus.

Eine Finanzierung über Steuermittel wäre rechtlich nicht zulässig, da der ÖRR unabhängig von direkter politische Kontrolle sein muss, was auch das Budget betrifft. Steuermittel würden bedeuten, dass das Parlament frei bestimmt wieviel Geld der ÖRR bekommt und damit z.B. "strafen" oder "belohnen" könnte. "Musikantenstadl" & Co können die Parlamente aber weder direkt noch über den Geldhahn abschaffen. Es wäre paradox politische Unabhängigkeit zu fordern und gleichzeitig konkrete Sendungen abschaffen zu wollen. Steuergelder zweckbinden geht nicht. Darum gibt es einen Beitrag (früher offiziell eine Gebühr, hatte aber auch damals schon keinen wirklichen Gebührencharakter).

Bei der Finanzierung weichen die Landesprogramme stark voneinander ab. Einige Landesverbände begrüßen die Haushaltsabgabe, einige lehnen sie ab und wollen stattdessen eine Individualabgabe. Zurück zur Geräteabgabe will niemand. Diejenigen, die die Haushaltsabgabe begrüßen, kritisieren aber meistens trotzdem die Datenzugriffe der neuen Beitragsbehörde und wollen diese Einschränken. Die KFZ- & Unternehmensabgabe wollen manche abschaffen, manche nicht.

Der Staat legt nicht die Höhe des Beitrags fest, sondern den Umfang des ÖRR-Angebots. Eine unabhängige oder vielleicht besser "unabhängige" Kommission errechnet daraus den Finanzierungsbedarf, woraus sich dann die Höhe des Beitrags ergibt. Wenn irgendwer von seinem Beitrag befreit wird (z.B. Firmen) erhöht das also automatisch den Beitrag für alle anderen. Eine Vorstellung für eine Beitragshöhe gibt es in unseren Programmen darum auch nicht. Die Politik bestimmt diese nicht.

Aus unserer Sicht sollen sich alle an der Finanzierung beteiligen. Ob jemand einen Fernseher hat oder nicht ist in Zeiten des Internets völlig egal. Die Unterscheidung zwischen verschiedenen Empfangsgeräten macht einfach keinen Sinn mehr.

Ich könnte mir die Individualabgabe vorstellen. Die Abwicklung könnte statt über den Beitragsservice über das Finanzamt erfolgen was datensparsamer wäre. Das wäre dann für das Finanzamt aber trotzdem keine Steuer, sondern ein reiner durchlaufender Posten, wie z.B. die Kirchensteuer. Die angesprochene bundesweite Datenerfassung würde dann aber entfallen.
Das Material, was die ÖRRs produzieren soll allgemein verfügbar sein, also nicht mehr depubliziert werden und unter freie Lizenzen gestellt werden. Im Endeffekt sollen wir Menschen mehr vom ÖRR haben. Eine größere Politikferne bei den Aufsichtsgremien sollte angestrebt werden. Es gibt verschiedene Vorstellungen die Zusammensetzung der Gremien an die heutige Zeit anzupassen. Uneinigkeit gibt es darüber, ob der Anteil an Politikern nur reduziert werden soll, oder ob die Parteien gar niemand mehr in die Gremien entsenden soll. Die Transparenz der Gremien und ihrer Arbeit soll verbessert werden.
Wir wollen das Programm verbessern, echte politische Unabhängigkeit schaffen, die Nutzung der erstellten Sendungen liberalisieren (freie Lizenzen) und dafür aber auch eine allgemeine Finanzierung erhalten. Die Finanzierung soll datenschutzfreundlicher sein.

Piraten sind eine Partei zum Mitmachen. Welche Themen bei den Piraten als "wichtig" erachtet werden, wird bei uns nicht von oben (z.B. vom Bundesvorsitzenden) vorgegeben, sondern hängt von den Interessen und vom Engagement der Mitglieder ab. Daher wäre es schön, wenn du dein Anliegen im Rahmen unserer Mitwirkungsmöglichkeiten selbst vorantreiben würdest. Eine Möglichkeit wäre es, auf unserer neuen Plattform http://www.openantrag.de einen Antrag zu stellen.

Eine weitere Möglichkeit besteht in der Mitwirkung in einer unserer AGs, welche sich mit dem Thema befassen. Dies steht prinzipiell auch Nichtmitgliedern offen. Ich würde mich freuen, wenn du deine Vorschläge einbringst.

Mit freundlichen Grüßen

Sebastian Harmel