Frage an Sebastian Edathy von Jonas Dr. M. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Edathy,
für Ihre rasche Antwort auf meine Frage vom 5.4. bedanke ich mich.
Hierzu einige Ergänzungen:
Durch die Politik der Verstaatlichung, die die SPD unter Führung von Frau Schmidt und Herrn Lauterbach vorantreibt wird genau das von Ihnen als so wertvoll geschilderte besondere Vertrauensverhältnis Arzt-Patient gefährdet. in einem medizinisch-industriellen Komplex mit MVZ´s nach dem Modell der Poliklinik in der DDR wird es dieses Vertrauensverhältnis nicht mehr geben. Darauf weist die Aktion 15% mit Mittel hin, wie sie in unserer Mediengesellschaft Gehör finden - und wie sie der Medienkampagne gegen Ärzte als "Geiselnehmer, Abzocker, Abrechnungsbetrüger" etc. nicht unähnlich ist.
Ihre Antwort zu meinen eigentlichen Fragen stellt mich nicht zufrieden.
Die Sicherung der Gesundheitsversorgung der Ärmsten unserer Gesellschaft ließe sich bestens mit Steuergeldern realisieren, ohne dafür 90% der Bevölkerung in ein Zwangssystem zu pressen. Wie in anderen europäischen Ländern auch. Deren Gesundheitssystem ist übrigens billiger. Allenfalls ärmer an Bürokraten und Umverteilern. Ohne Versicherungspflichtgrenze, aber mit Versicherungszwang und Kontrahierungszwang für eine Basisversicherung wäre das Gesundheitssystem schlanker und effizienter. Es gingen allerdings viele politische Einfluß- und Steuerungsmöglichkeiten dabei verloren - und meine Befürchtung ist: genau darum geht es.
Zum Begriff der Vorkasse. Genau genommen haben die Kassen schon Jahre oder Jahrzehnte vor Eintreten der Erkrankung zwangsweise Vorkasse erhoben. Und sind jetzt nicht bereit, eine ordnungsgemäß erbrachte Leistung adäquat zu bezahlen. Die Schuld dafür wird den Ärzten in die Schuhe geschoben und der Begriff Vorkasse dazu instrumentalisiert.
Noch einmal: Was genau spricht gegen das Prinzip der Direktabrechnung - mit Abfederung für die Mittellosen aus Steuermitteln?
Oder umgekehrt: Warum wird Sozialhilfe in Geld bezahlt und nicht (oder fast nicht) als Sachleistung?
Rehburg, 16. April 2009
Sehr geehrter Herr Müller-Hübenthal,
vielen Dank für Ihre weiteren Fragen vom 11. April 2009.
Dass Sie meine Antworten vom 8. April 2009 auf Ihre Fragen vom 5. April 2009 "nicht zufrieden" stellen, könnte daran liegen, dass wir unterschiedlicher Meinung sind.
Im einzelnen:
Auch wenn Sie das subjektive Gefühl haben, als Mediziner „Opfer“ der Gesundheitspolitik zu sein, was ich nicht so sehe, ist dies kein legitimer Grund für eine anstandslose Kampagne wie die sogenannte "Aktion 15“. Gehör verschaffen kann man sich auch auf seriöse Art und Weise! Das sollten Ärzte eigentlich wissen.
Einen "medizinisch-industriellen Komplex" sehe ich nicht dräuen, wohl aber ist die Versorgung mit gesundheitsfördernden oder -wiederherstellenden Leistungen in einem Sozialstaat (der hat übrigens in Deutschland Verfassungsrang) gewissermaßen ein öffentliches Gut. Für widersprüchlich halte ich es in diesem Zusammenhang, dass Sie einerseits die Pflicht, unterhalb einer gewissen Einkommensgrenze Mitglied einer gesetzlichen Krankenversicherung zu sein, als "Zwangssystem" charakterisieren, gleichzeitig aber eine verbindliche "Basisversicherung" fordern. Wenn das aus Ihrer Sicht kein Widerspruch sein sollte, muss ich davon ausgehen, dass Sie meinen, eine solche "Basisversicherung" sollte bei gut verdienenden Bürgern bei einer privaten Krankenversicherung abgeschlossen werden können oder andernfalls einen sehr, sehr geringen Leistungsumfang haben. Ich hielte das für absolut falsch.
Die SPD, der ich angehöre, tritt, wie Sie wissen werden, für die solidarische Bürgerversicherung ein: Also für eine allgemeine Versicherung, in der alle Bürgerinnen und Bürger Pflichtmitglieder sind. Die Leistungen der Bürgerversicherung sollen so ausgestaltet werden, dass jede/r das Recht hat, nach dem Stand der Medizintechnik und Arzneimittelentwicklung bestmöglich versorgt zu werden. Wer Zusatzleistungen, z.B. das Einzelzimmer im Krankenhaus, möchte, kann sich dafür zusätzlich privat versichern.
Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem Menschen, die nicht zu den Gutverdienenden gehören, im Gesundheitssystem schlecht behandelt werden!
Ich habe zudem bereits betont, dass ich kein Verständnis dafür habe, wenn gesetzlich Krankenversicherte nicht oder nur gewissermaßen gegen Vorkasse (Sie nennen das "Direktabrechnung") behandelt würden, obwohl die Beiträge für die gesetzliche Krankenversicherung bezahlt sind und sie damit einen Anspruch auf ärztliche Versorgung erworben haben. Aus meiner Sicht ist jede Verletzung der vertragsärztlichen Pflichten und insbesondere jede Form von Leistungsverweigerung gegenüber den Patientinnen und Patienten nicht zu tolerieren. Ich halte es auch für nicht nachvollziehbar, wenn ein Streit zwischen Ärzten und den gesetzlichen Krankenversicherungen auf dem Rücken der Patienten ausgetragen werden soll. Das als "Geiselnahme" zu bezeichnen, halte ich für zulässig. Genauer wäre: "Versuchte Geiselnahme".
Anmerken möchte ich abschliessend, dass mir für Ihre Argumentation jedes Verständnis fehlt, dass Arztleistungen in bar bezahlt werden sollten, da auch die Grundsicherung bzw. das Arbeitslosengeld II an die Empfänger direkt überwiesen wird. Das Bundessozialgericht hat zum Zweck des Naturalleistungsgrundsatzes ausgeführt: „Nur das Sachleistungsprinzip stellt sicher, dass alle Krankenkassenpatienten hinreichend ärztlich betreut werden. Wenn die Krankenkassen die Beschaffung der ärztlichen Behandlung ihren Mitgliedern überließen und lediglich die Behandlungskosten übernähmen, könnte der Fall eintreten, dass Versicherte, die nicht über hinreichende finanzielle Mittel verfügen, aus diesem Grunde von der Inanspruchnahme versicherungsmäßiger Leistungen Abstand nähmen“ (BSGE 42, 117, 119). Das Sachleistungsprinzip soll die „Hemmschwelle“ des Versicherten herabsetzen, ärztliche Leistungen in Anspruch zu nehmen. Die Kosten der Leistung sollen den Kranken nicht von der Entscheidung zum Arztbesuch abhalten. Das Sachleistungsprinzip führt zur „Unmittelbarkeit der Bedarfsbefriedigung“ (BSGE 55, 188, 193).
Dieser Argumentation schließe ich mich nachdrücklich an. Im Gegensatz dazu werden Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch zu Recht überwiegend nicht als Sachleistungen gewährt, da es dem bedürftigen Bürger nach der im Grundgesetz festgeschriebenen Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG) unbenommen bleiben muss, freie Entscheidungen zu treffen. Dies betrifft auch die Verwendung der zum Leben zur Verfügung stehenden Gelder.
Mit freundlichen Grüßen
Sebastian Edathy, MdB