Frage an Sebastian Edathy von Thomas S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Edathy,
Spiegel-online berichtet aktuell über folgendes Verhalten des Jobcenters Neinburg gegenüber 2 Jugendlichen, deren elterlicher Haushalt Leistungen gemäß H-4 bezieht. Ich bitte Sie den gesamten verlinkten Artikel zu beachten, Zitat daraus:
"Obwohl sie zur Schule gehen, werden zwei Kinder in Niedersachsen vom Jobcenter wiederholt zu Beratungen geladen - weil ihre Eltern Hartz IV bekommen. Erscheinen sie nicht, drohen Sanktionen. Und wer sein Zeugnis nicht zeigen will, macht sich verdächtig (...)
Die Söhne der Familie K. werden wiederholt zum Beratungsgespräch ins Jobcenter eingeladen, zuerst berichtete die "Junge Welt" über den Fall. Man wolle "Stellengesuche und vermittlungsrelevante Daten besprechen", heißt es. Im Juli sollen sie zum Beispiel zu einem Termin erscheinen, im Oktober auch.
Es sind keine freundlichen Briefe, findet die Mutter. Das Amt verlangt Zeugnisse, Lebenslauf, Bewerbungsunterlagen. Die Familie fühlt sich bevormundet. Im Gespräch fragt der Arbeitsvermittler den Sohn, ob sich die Schulausbildung lohne. Dann spricht er von "Familienverantwortung", so erinnert sich die Mutter."
Frage 1:
Wie werten Sie das in dem verlinkten Artikel beschriebene Verhalten des Jobcemters Nienburg?
Frage 2:
Halten Sie es für sinnvoll und taktvoll, dass zwei in der Schule erfolgreiche Schüler, die gerne srtudieren möchten, von besagtem Jobdenter vorgeladen werden, um "Stellengesuche und vermittlungsrelevante Daten" zu besprechen?
Frage 3:
Warum wird dieses Verhalten nur bei Jugendlichen angewendet, deren Eltern Leistungen nach Hartz 4 beziehen?
Frage 4:
Mischt sich das Jobcenter Nienburg nicht in diskrimierender Form in den Berufswahlfindungsprozess dieser jungen Menschen ein?
Frage 5:
Wie werden Sie sich bezogen auf die oben benannte Angelegenheit verhalten?
Mit freundlichen Grüßen, Thomas Schüller
Sehr geehrter Herr Schüller,
zu dem im Artikel beschriebenen Vorgang stehe ich bereits mit dem Jobcenter Nienburg in Kontakt. Die Bereichsleiterin hat dazu in einer Presseinformation vom 7. November 2013 wie folgt Stellung genommen:
„Der Vorwurf, Jugendliche würden durch das Jobcenter unter Druck gesetzt, ihre Schule vorzeitig zu verlassen, um sich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen ist insofern absurd, als dass das Jobcenter das Interesse verfolgt, Jugendliche bei der Erreichung eines höchstmöglichen Abschlusses zu begleiten und zu unterstützen“, stellte Jobcenter-Bereichsleiterin Daniela Meyer klar.
Da die mediale Berichterstattung sich auf einen anonymisierten Einzelfall bezieht, darf das Jobcenter aus Datenschutzgründen ohne Zustimmung der Betroffenen keine Auskunft über die individuelle Sachlage machen. Nachstehend wird der übliche Ablauf und die Intention des Jobcenters erläutert.
Nach dem Sozialgesetzbuches II (SGB II) gelten Jugendliche ab 15 Jahre als erwerbsfähig im Sinne des Gesetzes. Das bedeutet jedoch nicht, dass alle Jugendlichen ab 15 Jahren aufgefordert werden, sich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen, sondern eine Berechtigung zum Bezug von staatlichen Leistungen gesondert geprüft werden muss. Grundsätzlich muss sich jede/r erwerbsfähige Hilfebedürftige dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen, wenn es zumutbar ist. Nicht zumutbar ist dies bei nachgewiesenem Schulbesuch! Der Nachweis dieses Schulbesuchs wird mit Vollendung des 15. Lebensjahres vom Jobcenter angefordert. Liegt eine Schulbescheinigung vor, erfolgt eine Einladung des Jobcenters im Regelfall lediglich einmal im Jahr, um den entsprechenden Nachweis des aktuellen Schulbesuchs belegt zu bekommen. Da es sich hier um eine Einladung gem. § 59 SGB II i.V.m. § 309 II Nr. 1 SGB III handelt, erfolgt diese mit Rechtsfolgenbelehrung, also der sogenannten Mitteilung, dass die maßgeblichen Regelleistungen um 10 % abgesenkt werden können, wenn der Leistungsempfänger seiner Pflicht nicht nachkommt.
Wird der Schulbesuch nachgewiesen, erfolgen in der Regel keine weiteren Einladungen oder Schreiben an die jungen Erwachsenen.
Erst ein Jahr vor Schulentlassung oder auf persönlichen Wunsch des Jugendlichen werden diese vom Jobcenter erneut eingeladen. Dies erfolgt vor dem Hintergrund, den Jugendlichen möglichst frühzeitig zu unterstützen, den eigenen Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten zu können. Um dies dauerhaft zu gewährleisten, sind ein möglichst hoher Schulabschluss und eine qualifizierte Ausbildung von großem Vorteil. Daher ist das Jobcenter bemüht, frühzeitig die erforderlichen Schritte wie Berufsberatung und Bewerbungs- und Vermittlungsbemühungen einzuleiten, damit der Übergang von der Schule in den Beruf möglichst nahtlos gestaltet werden kann. Dabei begleitet der persönliche An-sprechpartner kontinuierlich den schulischen Werdegang bzw. den Ausbildungsverlauf des Jugendlichen u. a. durch Fragen nach der aktuellen bzw. angestrebten Schul-, Ausbildungs- oder Studienform, nach dem Stand im Berufswahlprozess oder nach dem schulischen Leistungsstand. Auf Grund der frühen Bewerbungsfristen von bis zu einem Jahr vor Beendigung der Schule für betriebliche Ausbildungsstellen ist es sinnvoll, die Jugendlichen ca. ein bis eineinhalb Jahre vor Schulentlassung bzw. Bildungsabschluss zu einem Beratungs- und Informationsgespräch einzuladen. Auch bei dem Wunsch nach einem Hochschulstudium oder einer schulischen Berufsausbildung sollten rechtzeitig, d. h. möglichst in der vorletzten Klassenstufe, entsprechende Informationen und Bewerbungsaktivitäten zusammen mit dem Schüler oder der Schülerin begonnen werden. Für diese Begleitung und Sachverhaltsklärung ist es erforderlich, dass neben der Vorlage einer Schulbescheinigung ein persönliches Gespräch mit dem Jugendlichen erfolgt.
Im Regelfall beschränken sich diese Einladungen zu persönlichen Gesprächen auf ein zumutbares Maß. Die persönlichen Ansprechpartner tragen Sorge dafür, dass die Termine für diese persönlichen Gespräche außerhalb der Schulzeit (am Nachmittag oder in den Ferien) stattfinden. Von einer unzumutbaren Belastung der Betroffenen kann hier keine Rede sein. Zu wiederholten Einladungen sieht sich das Jobcenter lediglich bei unklaren Sachverhalten oder bei Nichtmitwirkung veranlasst.
Im Artikel wird ebenfalls die Vorlage von Zeugnissen thematisiert. Im gegenseitigen Einvernehmen- also freiwillig und zur Unterstützung des Beratungsprozesses- kann die Vorlage von Schulzeugnissen vereinbart werden. Das Jobcenter hat auf diesem Wege die Möglichkeiten, bei entsprechenden „Schieflagen“, wie z.B. schlechten Noten, Unterstützungsangebote wie z.B. eine Förderung von Nachhilfeunterricht im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets anzubieten. Eine Nichtvorlage von Zeugnissen führt jedoch zu keiner Sanktion. Wird bei sanktionsbewehrten Einladungen der Hinweis angebracht, dass ein Zeugnis zum Termin mitgebracht werden soll, kann dies vor dem Hintergrund der Rechtsfolgenbelehrung der Einladung den Eindruck erwecken, dass im Falle der Nichtvorlage sanktioniert würde. Dies ist nicht der Fall, veranlasst uns jedoch, die Formulierung der Vordrucke anzupassen.
Hintergrundinformation:
Jobcenter verfolgen nicht nur das Ziel, Menschen in Arbeit zu vermitteln. Je nach individueller Situation können auch ganz andere Unterstützungsleistungen oder Beratungen notwendig sein. Dazu gehört auch, die Jugendlichen frühzeitig über die Möglichkeiten zu beraten und Ihnen Unterstützungsleistungen wie z.B. Übernahme der Bewerbungskosten für Ausbildungsplätze oder Nachhilfeunterricht anzubieten.“
Soweit die Sicht des Jobcenters. Da auch mir aus Datenschutzgründen die Einzelheiten des Falles nicht bekannt sind, kann ich dem nichts hinzufügen und sehe auch von der von Ihnen gewünschten Bewertung ab. Ich stehe jedoch weiterhin in Kontakt mit dem Jobcenter, mit dem Anliegen, die Situation zwischen der betroffenen Familie und dem Jobcenter schnellstmöglich zu klären.
Mit freundlichen Grüßen
Sebastian Edathy, MdB