Frage an Sebastian Edathy von Ingrid C. bezüglich Deutsche Einheit / Innerdeutsche Beziehungen (bis 1990)
Herr Edathy,
ich habe 2 Fragen:
1. Wie lange muß der ursprünglich befristete Solibeitrag noch nach Ostdeutschland überwiesen werden? Es ist doch nicht unsere Sache dort die Haushaltslöcher zu stopfen, oder? Haushaltslöcher gibt es hier auch zur Genüge.
Laut Lexikon ist "Solidarität" eine freiwillige Leistung, davon kann doch keine Rede sein.
Warum sind die Politiker nicht ehrlich und nennen es Steuer oder Zwangsabgabe?
Stellen Sie sich bitte nicht das gutverdienende MdB vor, sondern den Normalbürger.
Ich möchte auch der Aufforderung der Regierung nach privater Vorsorge folgen und benötige den Solibeitrag dringend für meine private Altersvorsorge (Riester).
2. Fühlen Sie sich zuerst Ihrem Wählervotum verpflichtet oder dem Fraktionszwang?
Sehr geehrte Frau Corte,
danke für Ihre zwei Fragen.
1) Der Zuschlag auf die Einkommensteuer ("Solidaritätszuschlag"), der übrigens nicht nur von westdeutschen, sondern auch von ostdeutschen Steuerzahlern geleistet wird, bleibt auf unabsehbare Zeit unverzichtbar. Trotzdem ist es gelungen, den Einkommensteuer-Tarif deutlich zu senken: Von 26% (Minimum) bis 53% (Maximum) Ende 1998 auf 15% (Minimum) bis 42% (Maximum) jetzt. Das ist eine Steuersenkung, die es in diesem Ausmaß zuvor in der Bundesrepublik noch nie gegeben hat. Rechnen Sie mal für sich nach! Zudem gilt: Deutschland ist eine Einheit. Es gibt nicht Haushaltslöcher "hier" und "dort", sondern gesamtdeutsche Haushaltslöcher. Ich habe es immer für einen Fehler gehalten, dass die Regierung Kohl den Eindruck erweckt hat, das Zusammenwachsen zweier strukturell höchst unterschiedlicher Staaten ließe sich leicht und binnen weniger Jahre gestalten. Das wird noch Jahrzehnte dauern. Und das sollte man auch ehrlich so sagen. Es wäre aber eine Überlegung wert, dass man die gemeinsame finanzielle Anstrengung hierfür auf Dauer nicht über einen "Solidaritätszuschlag" kenntlich macht, sondern dieses Erfordernis in den Steuertarif einarbeitet.
2) Der Widerspruch zwischen "Wählervotum" und sogenanntem "Fraktionszwang" erscheint mir künstlich. Es ist noch nie ein Einzelkandidat in den Bundestag gewählt worden. Mit Grund: Einer von (zur Zeit) 600 Bundestagsabgeordneten hätte vielleicht viel zu sagen, könnte aber nichts entscheidend beeinflussen. Deshalb ist es vernünftig, dass die Wählerinnen und Wähler wissen, für welche politischen Grundüberzeugungen ein Bundestagskandidat aufgrund seiner Parteizugehörigkeit steht. In den Fraktionen, die von den gewählten Abgeordneten der einzelnen Parteien gebildet werden, gilt, jedenfalls kann ich das für die SPD-Bundestagsfraktion sagen: In der Fraktion wird über Entscheidungen gestritten. Wenn dann aber in der Fraktion abgestimmt worden ist, muss man von denen, die in der Minderheit geblieben sind, erwarten, dass sie die Mehrheit folgen. Die Ausnahme: Gewissensentscheidungen (Beispiel: Schwangerschaftsabbruch, Organ-Entnahme, Gentechnik). Dieses Prinzip nenne ich nicht Fraktions-Zwang, sondern Fraktions-Demokratie. Es gilt übrigens in jedem parlamentarischen Gremium, bis hinunter zum Gemeinde- oder Stadtrat. Würde man diesem Prinzip nicht grundsätzlich folgen, wären parlamentarische Mehrheiten nicht stabil, weil sie nicht mehr zum Tragen kommen würden. Und das würde der Demokratie insgesamt mehr schaden als
nutzen.
Mit freundlichen Grüßen
Sebastian Edathy
Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Nienburg II - Schaumburg