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Frage von Udo L. •

Frage an Sebastian Edathy von Udo L. bezüglich Innere Sicherheit

Sehr geehrter Herr Edathy,

Auf
Ihre Antwort vom 16.05 verbleiben nur wenige Fragen. Zu Ihrer Vermutung einer pathologischen Wahrnehmung der Realität:

Im Hinblick auf die Befürchtung einer Eigendynamik der Gesetze, Organe und hiermit befassten Individueen (welche als Menschen anfällig für Irrtum, vorauseilenden Gehorsam, Verfolgung eigener Karriereinteressen etc sind) die möglicherweise zu einer Zunahme von Ihnen so bezeichneter "Einzelfälle" führt und in weiterer Sorge um die von Regierungsmitgliedern initiierten Diskussionen um Folter und gezielte Tötungen, die einmal undenkbar waren (vgl gerne auch: Jan Philipp Reemtsma, Die Fratze der Folter, in Cicero März 2006), möchte ich darauf hinweisen, dass ich mich mit meinen Befürchtungen um den Leviathan durchaus in illustrer Gesellschaft befinde.

Wie Ihnen bekannt ist(?), haben die Verfasser unseres Grundgesetzes in Artikel 20/4 das Widerstandsrecht aufgenommen. Wenn man davon ausgeht, dass die staatlichen Organe, sollte dieses gegen sie gewendet werden, aller Wahrscheinlichkeit nach die Voraussetzungen für dessen Inanspruchnahme als nicht gegeben annehmen werden, so bleibt nur die Feststellung, dass die Verfasser des GG weniger die Legitimation von Taten wie Georg Elser und Co im Sinne hatten (Wer für Widerstand eine Legitimaion der Obrigkeit benötigt wird ihn ohnehin kaum leisten), als vielmehr eine Warnung auch an den Leviathan - die Aufnahme der Selbsterkenntnis, dass staatliche Macht, trotz aller Kontrollstrukturen, dazu tendiert, sich totalitär auszuweiten. Der Preis der Freiheit ist ewige Wachsamkeit.

Da sie hinblicklich meiner Sorgen eine pathologische Wahrnehmung vermuten meine Frage:

a) Halten sie die Verfasser des GG auch für pathologische Krankheitsfälle, da diese die selben Befürchtungen gar in das GG einfliessen liessen?
b) Ist das GG für Sie ergo Ausfluß krankhafter Psychopathen?

Mit freundlichem Gruß
U. Luda

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Antwort von
SPD

Berlin, den 22.05.2008

Sehr geehrter Herr Luda,
Ihre Nachfrage auf meine Antwort vom 16. Mai 2008 beantworte ich Ihnen wie folgt:

Ich halte das Grundgesetz für eine der besten Verfassungen, die es auf der Welt gibt. Das Grundgesetz hat sich bewährt, indem es nach Ende des zweiten Weltkriegs Deutschland von einem Unrechtsstaat und einer Diktatur in eine beispielhafte Demokratie verwandelt hat, die inzwischen zum Vorbild für die Verfassungen verschiedener anderer Länder wurde.

Das Widerstandsrecht des Artikel 20, Absatz 4, des Grundgesetzes wurde mit Einführung der Notstandsgesetzgebung im Jahr 1968 ins Grundgesetz eingefügt. Mit diesem Recht soll verhindert werden, dass eine Machtübernahme durch nichtdemokratische Handlungen der Exekutive oder Legislative (insbesondere die Feststellung des Spannungs- oder Verteidigungsfalls) das politische System der Bundesrepublik aushebelt. Es soll also die Einführung eines diktatorischen Systems verhindert werden, das sich auf demokratischem Wege nicht verhindern ließe.

Das Widerstandsrecht ausweislich seiner ausdrücklichen (formellen) Subsidiarität gilt nur, wenn die in Artikel 20, Absatz 1 bis 3, des Grundgesetzes festgeschriebenen Grundsätze (also z.B. das Demokratie-, Rechtsstaats und Sozialstaatsprinzip), also die freiheitlich-demokratische Grundordnung per se, eindeutig angegriffen werden.

Nach dem Standard-Kommentar für das Grundgesetz Jarass/Pieroth ist das Widerstandsrecht übrigens objektiv „durch seine Symbolfunktion geprägt“ (7. Auflage, Art. 20, Rn. 116).

Das Grundgesetz gewährt seinen Bürgern über Artikel 19, Absatz 4, sowie die Justizgrundrechte einen sehr weitreichenden Rechtsschutz. Solange aber dies der Fall ist, ist m.E. die Subsidiaritätsgrenze des Artikel 20, Absatz 4, noch längst nicht überschritten. Das ist nur der Fall, wenn andere Abhilfe nicht mehr möglich ist. In meinen Augen ist dies in der Bundesrepublik nur sehr schwer vorstellbar.

Herrn Luda, Sie schreiben über www.abgeordnetenwatch.de mehrere meiner Kollegen und mich an, und Sie bekommen fundierte Antworten. Sie haben zudem die Möglichkeit, den Petitionsausschuss des Bundestages anzurufen, Sie können gegen jegliche Verwaltungsentscheidung bei unabhängigen Gerichten Klage erheben, und Sie können missliebige Äußerungen nahezu ohne Einschränkungen abgeben, ohne dass dies irgendwelche Konsequenzen hätte. Übrigens: Durch Ihre Wahlentscheidung die Zusammensetzung des Bundestages so zu beeinflussen, wie es Ihren Vorstellungen entspricht, ist ebenfalls eine Ihnen zur Verfügung stehende Option.

Wenn all dies nicht ginge, könnte ich es verstehen, dass Sie sich über die Ausübung eines Widerstandsrechts Gedanken machen. In der Bundesrepublik der heutigen Zeit fehlt mir dieses Verständnis völlig. Offenkundig geht es Ihnen mehr um die eigene Selbstdarstellung als um die Sache.

Mit freundlichen Grüßen
Sebastian Edathy, MdB