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Sebastian Edathy
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Frage von Udo L. •

Frage an Sebastian Edathy von Udo L. bezüglich Innere Sicherheit

Sehr geehrter Herr Edathy,

a) was veranlasst Sie, die von Herrn Schlingloff benannten realen Vorkommnisse in http://www.abgeordnetenwatch.de/index.php?cmd=650&id=5810&fragen=#frage110160 als "Verschwörungstheorie" zu bezeichnen? Ist es Ihre Absicht durch Diskreditierung von Argumenten besorgter Bürger, indem sie diese als "Verschwörungstheorie" bezeichnen, die mögliche Existenz einer systembedingten Eigendynamik zu negieren, wie sie gesellschaftlichen Prozessen und Steuerungsmassnahmen innewohnt oder fehlt Ihnen das kybernetische Vorstellungsvermögen (F.Vester) für komplexe Vorgänge so dass Sie bei solcherlei Befürchtungen dem Gegenüber die Annahme eines "Dratziehers" unterstellen müssen? Halten Sie es angesichts der exemplarisch bereits angeführten Ereignisse für undenkbar, das bei der Überwachung der Bürger bereits eine solche Dynamik wirkt? Kennen Sie die Beteuerung "Das haben wir aber nicht gewollt/gewusst" bzw. "Niemand will eine Mauer bauen"?

b) Unter "gewissen Voraussetzungen" verstehen Sie also bspw. die Verwendung von Buzzwörtern, das unglaublich heimtückische und "konspirative" Nicht-mitführen von Handys und vergleichbare offensichtlich schwer terroristische Aktivitäten? Mir erscheint da bereits eine gewisse systembedingte Willkür zu greifen.

c) Wie bringen Sie bspw. die Statistik der Regulierungsbehörde der Telekommunikation (RegTP) zu abgehörten Telefonaten in Einklang mit Ihrer Aussage Deutschland sei kein bzw. entwickle sich nicht zu einem Überwachungsstaat.

d) Warum schliesst Ihrer Meinung nach der "Rechtsstaat" den Überwachungsstaat aus? Ist nicht auch eine gesetzlich und somit rechtlich abgesicherte Überwachung nichts desto Trotz eine Überwachung?

Mit freundlichem Gruss
U. Luda

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Antwort von
SPD

Rehburg, den 16. Mai 2008

Sehr geehrter Herr Luda,

vielleicht fehlt mir in der Tat "das kybernetische Vorstellungsvermögen (F. Vester) für komplexe Vorgänge".

Vielleicht fehlt Ihnen hingegen "pathologiefreie Wahrnehmung der Realität" (S. Edathy).

Könnte ja sein.

Falls Sie trotzdem an einer Antwort interessiert sind, so gebe ich diese Ihnen hiermit:

1. Ich habe keineswegs die Absicht, irgendjemanden zu diskreditieren. Ich lasse mich gern auf Diskussionen ein und nehme Befürchtungen von Bürgerinnen und Bürgern sehr ernst.

2. Selbstverständlich ist mir die Aussage von Walter Ulbricht, wie es richtig heißt, „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“, bekannt. Es darf jedoch nicht ein entscheidender Unterschied verkannt werden: Die DDR war ein Unrechtsstaat, die Bundesrepublik ist ein Rechtsstaat. Wollen Sie ernsthaft beide Staatsformen vergleichen? Dies wäre absurd.

3. Die Entwicklung einer „Eigendynamik der Überwachung“, von der Sie sprechen, ist meines Erachtens bei der dichten Kontrolle der Strafverfolgungsbehörden und Nachrichtendienste durch übergeordnete Behörden und das Parlament kaum zu befürchten.

4. Hinsichtlich des Falls Holm habe ich in diesem Forum am 8. Mai 2008 bereits mitgeteilt ( http://www.abgeordnetenwatch.de/sebastian_edathy-650-5810--f109157.html#frage109157 ), dass ich das Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden als unverhältnismäßig empfand. Dennoch bitte ich zu beachten, dass es sich um einen Einzelfall gehandelt hat und insofern keinesfalls von „systembedingter Willkür“ zu sprechen ist. Wie kommen Sie auf diese Idee?

Unter „gewissen Voraussetzungen“ verstehe ich, übrigens ebenso wie die Rechtsprechung, die vom Gesetz aufgestellten Voraussetzungen für die Durchführung und die Genehmigung von Überwachungsmaßnahmen. Diese sind zu einem großen Teil, um eine mögliche Frage nach der Verfassungswidrigkeit dieser Normen vorwegzunehmen, vom Bundesverfassungsgericht auf ihre Verfassungskonformität hin überprüft worden.

5. Zu den Zahlen der Telekommunikations-Abhörmaßnahmen habe ich mich bei www.abgeordnetenwatch.de ( http://www.abgeordnetenwatch.de/sebastian_edathy-650-5810--f65936.html#frage65936 ) bereits geäußert und verweise daher auf meine Antwort vom 16. bzw. 25. Juli 2007.

6. Der Rechtsstaat schließt den Überwachungsstaat deshalb aus, weil gerade nicht willkürlich überwacht wird, sondern dies aufgrund von Gesetzen geschieht, die eine demokratisch legitimierte Mehrheit beschlossen hat. Die „Überwachung“ erfolgt durch die dafür in den Gesetzen festgelegten Stellen, und sie kann jederzeit durch unabhängige Gerichte überprüft werden. All dies ist verfassungsrechtlich gesichert.

Der Staat hat nicht nur die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten, sondern auch deren Sicherheit. Einmal mehr gebe ich an dieser Stelle zu bedenken, dass der „Staat“ nicht darauf aus ist, das Privatleben der Bürger auszuforschen.

Ich weiß nicht, auf welchem Planeten und in welchem Land Sie leben - mein Planet heißt Erde und das Land Deutschland. Deutschland ist ein Rechtsstaat. Einer der besten, die es auf diesem Planeten gibt. Ich arbeite dafür, dass das so bleibt.

Mit freundlichen Grüßen
Sebastian Edathy, MdB