Portrait von Sebastian Edathy
Sebastian Edathy
SPD
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Sebastian Edathy zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Marco S. •

Frage an Sebastian Edathy von Marco S. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Edathy,

ein derzeit großes juristisches Problem scheint mir bei der Internet-Abmahnwelle seitens großer Kanzleien zu bestehen, die im Interesse der Medienkonzerne mit einem sehr undurchsichtigen und vom Gesetzgeber nicht kontrollierten System, vermeintliche Internetpiraten zu der Zahlung einer Geldstrafe und einer Unterlassungserklärung nötigen wollen. Die Abmahnenden Unternehmen stützen sich hier bei auf das herausfiltern einer IP-Adresse, die sie in so genannten P2P-Netzwerken ausfindig gemacht haben. Diese IP-Adresse kann einem bestimmten Nutzer zugeordnet werden. Daher erscheint es vordergründig möglich, dass mit Hilfe der IP-Adresse der Übeltäter exakt bestimmt werden kann. Natürlich kann man IP-Adressen fälschen (ist gar kein Problem), oder das System, dass die IP-Adressen herausfiltern kann manchmal nicht korrekt funktionieren.

Ich möchte es z.B. mit folgender Situation vergleichen:
Ein Unbekannter stiehlt in ihrem Stamm-Supermarkt eine Flasche Champagner und hinterlässt eine Visitenkarte mit Ihrem Namen darauf. Daraufhin werden sie zur Zahlung von EUR 80,00 verklagt und zur Unterzeichnung einer Unterlassungserklärung genötigt.

Internetnutzer sind diesem Abmahnverfahren allerdings schutzlos ausgesetzt, da sie als angebliche "Störer" eine Straftat begangen haben...
Mir erscheint die Lage momentan so, als ob jeder Internetnutzer per se als möglicher Downloader illegaler Kopien gebrantmarkt ist. Die sehr undursichtigen Verfahren seitens sogenannter Anti-Piracy-Firmen beim ermitteln von IP-Adressen scheinen andererseits die Justiz nicht auf den Plan zu rufen, dass hier eine große Lobby mit einer Gesetzeslücke den ganz großen Reibach machen möchte. Aufgrund der überlasteten Justiz wird diese Methode sogar unterstützt, da die Herausgabe von Nutzerdaten seitens der Provider ohne Prüfung der sachlichen Richtigkeit seitens der Staatsanwaltschaften angeordnet werden.

Sehen Sie hier nicht auch Handlungsbedarf?

Mit freundlichem Gruß,
Marco Sievert

Portrait von Sebastian Edathy
Antwort von
SPD

Berlin, den 29.04.2008

Sehr geehrter Herr Sievert,
vielen Dank für Ihre Frage vom 18. April 2008.

Zunächst möchte ich Ihnen mitteilen, dass der Deutsche Bundestag mit der Verabschiedung des Gesetzes zum Schutz geistigen Eigentums am 11. April 2008 die Situation von Verbraucherinnen und Verbrauchern bei anwaltlichen Abmahnungen wegen unerheblicher Urheberrechtsverletzungen deutlich verbessert hat.

Ihre konkrete Frage möchte ich vor einer Beurteilung, ob gesetzlicher Handlungsbedarf besteht, zunächst eingehend prüfen lassen. Ich werde Sie anschließend an dieser Stelle über das Ergebnis informieren.

Mit freundlichen Grüßen
Sebastian Edathy, MdB

Portrait von Sebastian Edathy
Antwort von
SPD

Berlin, den 02.06.2008

Sehr geehrter Herr Sievert,
wie in meiner Antwort vom 29.04.2008 angekündigt, möchte ich diese nun
ergänzen.

Ich stimme mit Ihnen überein, dass die Praxis einiger Rechtsanwaltskanzleien, massenweise Abmahnungen wegen (geringster) Urheberrechtsverletzungen im Internet zu versenden und damit enorme Umsätze zu erzielen, unterbunden werden sollte. Insbesondere missfällt mir die Praxis der Kanzleien, über den kostenlosen Umweg der Einschaltung der Staatsanwaltschaft an die persönlichen Daten der (vermeintlichen) Störer zu gelangen. So versuchen Musikindustrie und Rechteinhaber seit längerem, durch strafrechtliche Ermittlungsverfahren die Anschlussinhaber der jeweiligen Telefonanschlüsse zwecks zivilrechtlicher Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen zu identifizieren.

Wie Sie als Interessent an dieser Thematik sicherlich der Presse entnommen haben werden, entscheiden aber zunehmend mehr Staatsanwaltschaften, wegen "Rechtsmißbräuchlichkeit" keine Ermittlungsverfahren bei Massenstrafanzeigen der Musikindustrie mehr einzuleiten. Diese Entscheidung begrüße ich.

Zu Ihrer Kenntnis nachfolgend eine diese Thematik behandelnde Stellungnahme des Pressesprechers der Staatsanwaltschaft Wuppertal aus dem März 2008:
"Seit geraumer Zeit gehen bei den Staatsanwaltschaften massenweise Strafanzeigen der Musik- und Pornoindustrie wegen illegaler Datenübertragungen ein, die vor allem in sog. Tauschbörsen stattfinden. Die Anzeigenerstatter übermitteln die IP-Adressen der mutmaßlich genutzten Rechner und begehren die Ermittlung der Anschlussinhaber. Werden Ermittlungen aufgenommen und die IP-Adressen bei den Providern nachgefragt, so entstehen hierfür Bearbeitungsgebühren in Höhe von mindestens circa 20 Euro bis 50 Euro pro überprüfter IP-Adresse, die durch die Justiz bezahlt werden müssen. Die weiteren Ermittlungen führen dann in der Regel nie zu einer Anklage, weil jedenfalls die Schuld gering wäre, wenn die Personalien der Person, die den Rechner bei der konkreten Datenübertragung genutzt hat, angesichts der Vielzahl der legalen und illegalen Zugriffsmöglichkeiten (Familienangehörige, Nutzen des Gerätes durch Hacker pp.) überhaupt zu ermitteln ist. Die Verfahren sind deshalb regelmäßig einzustellen. Die Musik- bzw. Pornoindustrie ist selbst auch durchweg an einer strafrechtlichen Verfolgung nicht interessiert. Sie macht vielmehr gegen die Inhaber der IP-Adressen Schadensersatzansprüche geltend oder erteilt den Inhabern der IP-Adressen in der Regel Abmahnungen, wobei sie hierbei regelmäßig Beträge von 200,- bis 300,-EUR verlangt. In Tauschbörsen - wie hier bei Bearshare - ermitteln private Ermittler so genannte Uploader, die rechtswidrig Musikdateien zur Verfügung stellen. Um diese belangen zu können, brauchen sie die Hilfe der Staatsanwaltschaft. Die in Wuppertal hält das für unverhältnismäßig. Die Staatsanwaltschaft Wuppertal hat in der letzten Zeit die Aufnahme von Ermittlungen abgelehnt, was zu einer Vielzahl von Beschwerden seitens der Anzeigenerstatter geführt hat. Derzeit liegen eine große Anzahl von Beschwerden dem Generalstaatsanwalt in Düsseldorf vor. Dort werden derzeit die Vorgänge geprüft. Nach hiesiger Auffassung wäre die Aufnahme von Ermittlungen bereits unverhältnismäßig, da die Tatverdächtigen in den Tauschbörsen keinerlei finanzielle Interessen verfolgen und nach Studien der Universität Harvard (2004, The effect of filesharing on recordsales) auch der Musikindustrie ein wirtschaftlicher Schaden durchweg durch die Tauschbörsen nicht entstehen dürfte. Zudem geht es den Anzeigenerstattern regelmäßig nicht um eine Bestrafung der Tatverdächtigen, sondern um die Ermittlung der Nutzernamen, um Schadensersatzansprüche geltend zu machen oder nachträgliche Abmahnungen zu erteilen. Einen eigenen Auskunftsanspruch der Industrie gegen die Provider hat der Gesetzgeber jedoch bislang abgelehnt. Nach hiesiger Auffassung wird diese gesetzgeberische Entscheidung durch die Strafanzeigen unterlaufen. Bislang sind hier zwei gerichtliche Entscheidungen (AG Offenburg und AG Hamburg-Altona) aus dem Jahre 2007 bekanntgeworden, die eine Befugnis der Staatsanwaltschaft zur Weitergabe von IP-Adressen bzw. Ermittlungsmaßnahmen wegen offensichtlicher Unverhältnismäßigkeit abgelehnt haben. Die Entscheidung des Generalstaatsanwalts bleibt abzuwarten."

Mit freundlichen Grüßen
Sebastian Edathy, MdB