Frage an Sebastian Edathy von Helmut S. bezüglich Familie
Können Sie mir die gesetzliche Definition für nacheheliche Solidarität geben?
Halten Sie
-den nachehelichen Unterhalt-
-das Prinzip der Leistungsfähigkeit bei der Berechnung des nachehelichen Unterhaltes-
für Gerecht, Verfassungskonform und vereinbar mit der UN Menschenrechtscharta?
Würden Sie sich einer öffentlichen Diskussion darüber stellen?
Mit freundlichen Grüssen
Helmut Stelzer
Berlin, den 22. April 2008
Sehr geehrter Herr Stelzer,
vielen Dank für Ihre Fragen vom 17. April 2008 zum Thema „nacheheliche Solidarität“.
Eine gesetzliche Definition der „nachehelichen Solidarität“ gibt es nicht. Solche sogenannten Legaldefinitionen sind im deutschen Recht auch selten. Vielmehr erfolgt die Definition, wie übrigens auch die Auslegung der Gesetze, durch die wissenschaftliche Literatur und vor allem die Rechtsprechung. Unter nachehelicher Solidarität wird im juristischen Sprachgebrauch der Grundsatz der nachwirkenden Mitverantwortung des wirtschaftlich stärkeren Ehegatten für den anderen verstanden. Dieser Grundsatz steht gleichwertig neben der nachehelichen Eigenverantwortung.
Ich halte den nachehelichen Unterhalt, unter gewissen Voraussetzungen, die ich nachfolgend näher erläutere, sowohl für gerecht als auch für verfassungskonform. Im Übrigen trägt das neue Unterhaltsrecht, das seit dem 1. Januar 2008 in Kraft ist, meines Erachtens stärker als die bisherige Rechtsgrundlage dazu bei, den unterschiedlichen Interessen der geschiedenen Ehegatten gerecht zu werden.
Die Rechtfertigung für die Beschränkung der an sich grundrechtlich garantierten finanziellen Handlungsfreiheit des Unterhaltsverpflichteten gegenüber dem bedürftigen Ehegatten schreibt die Rechtsprechung einer fortwirkenden (nach-)ehelichen Solidarität zu. Deren Grundlage ist mit dem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes (Schutz von Ehe und Familie) ebenfalls verfassungsrechtlich verankert.
Zwar entfällt mit der Ehescheidung grundsätzlich die wechselseitige Abhängigkeit zwischen den Ehegatten. Als rechtfertigender Grund gilt daher vor allem die auf Vertrauen beruhende nachwirkende Verantwortung. Als Folge dieser Mitverantwortung für den bedürftigen Partner muss der wirtschaftlich stärkere Ehegatte die finanzielle Unterhaltsbelastung bis zu einer gewissen zeitlichen und finanziellen Grenze hinnehmen. Die Unterhaltspflicht hängt von dem Maß der Verflechtung der beiderseitigen Lebensdispositionen und von dem Grad der wirtschaftlichen Abhängigkeit des unterhaltsbedürftigen vom anderen Ehegatten ab.
Das neue Unterhaltsrecht hat in erster Linie das Ziel, die nacheheliche Eigenverantwortung zu stärken. Zwar sah auch schon das alte Recht in einem gewissen Umfang die Möglichkeit vor, Unterhaltsansprüche zu befristen oder in der Höhe zu beschränken. Diese Möglichkeiten wurden allerdings bisher von der Rechtsprechung nur sehr zurückhaltend genutzt. Hinzu kommt, dass die Rechtsprechung relativ hohe Anforderungen an die Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit nach der Scheidung stellt. Im neuen Unterhaltsrecht wurde daher der Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit ausdrücklich im Gesetz verankert. Weiterhin haben die Gerichte mehr Möglichkeiten bekommen, den nachehelichen Unterhalt zu befristen oder der Höhe nach zu begrenzen.
Neuere Untersuchungen zeigen, dass der Grundsatz der Eigenverantwortung nach der Ehe in der heutigen Zeit von beiden Seiten weitaus stärker akzeptiert wird als früher.
Eine weitere entscheidende Neuerung ist, - auch Sie, Herr Stelzer, erwähnen den Begriff der Leistungsfähigkeit - dass der in der Ehe erreichte Lebensstandard nicht mehr der entscheidende, sondern nur noch einer von mehreren Maßstäben dafür ist, ob eine Erwerbstätigkeit – und wenn ja, welche – nach der Scheidung wieder aufgenommen werden muss.
Während der Ehe schaffen sich die Ehegatten gemeinsam einen bestimmten Lebensstandard. Mit welcher Rollenverteilung sie dies tun, ist allein ihre Entscheidung. Der gemeinsam erarbeitete Lebensstandard ist deshalb nach der Scheidung aus meiner Sicht grundsätzlich der richtige Maßstab für die Höhe des Unterhalts. Gerade bei Ehen, die nicht sehr lange gedauert haben, wird eine unbegrenzte Lebensstandardgarantie heute aber allgemein nicht mehr als angemessen empfunden. Hier haben die Gerichte mehr Gestaltungsspielraum erhalten, um Unterhaltsansprüche zu befristen oder der Höhe nach zu begrenzen. Auch die Rückkehr in den erlernten und vor der Ehe ausgeübten Beruf ist nun eher zumutbar; dies selbst dann, wenn damit ein geringerer Lebensstandard als in der Ehe verbunden ist. Auch hier kommt es aber immer auf den Einzelfall an, insbesondere auf die Dauer der Ehe, die Dauer der Kinderbetreuung und die Rollenverteilung in der Ehe.
Ich hoffe, Ihre Fragen zu Ihrer Zufriedenheit beantwortet zu haben. Einer öffentlichen Diskussion zu diesem Thema würde ich mich grundsätzlich stellen – ich halte es jedoch für sinnvoller, sich hierfür an Mitglieder des für das Unterhaltsrecht federführenden Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages oder des mitberatend zuständigen Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu wenden.
Mit freundlichen Grüßen
Sebastian Edathy, MdB