Frage an Sebastian Edathy von Oliver R. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Edathy,
ich wende mich an Sie, als Vorsitzender des Ausschusses für Inneres, bezüglich der Arbeit der Polizei bei Anzeigen wegen Kindesmissbrauch.
Mir ist unverständlich, wieso die Fälle, die ich persönlich kenne und die Beschreibungen in den Zeitungen so auseinanderlaufen.
Zum 1. Fall:
Ein Kindesmissbrauch wird bei der Polizei angezeigt. Die Polizei sagt:"Der potentielle Täter ist der letzte, mit dem geredet wird. Zuerst werden alle Zeugen vernommen". Dies dauert Monate. Bis dahin erfährt der Täter von der Anzeige und kann alle Beweismittel vernichten. In der Zeitung wird ein Fall geschildert, der sich nur 30 km entfernt zugetragen hat (gleiches Bundesland): Ein Mann wurde bei der Polizei wegen Kindesmissbrauch angezeigt. Sofort brach die Polizei mit mehreren Leuten zu seiner Wohnung auf und stellte dort Kinderpornos sicher. Worin liegt die unterschiedliche Handlung der Polizei begründet? Selbst wenn es keine Erlaubnis für eine Hausdurchsuchung gibt, so sagt doch die Statistik, das sehr viele Täter Kindesmissbrauch zugeben, wenn sie "plötzlich" überraschend angesprochen werden. Dagegen geben es deutlich weniger zu, wenn sie die Polizei erwarten. Ein Geständnis des Täters erspart den Kindern viel. Schon aus diesem Grunde wäre meiner Meinung nach rasches handeln stets von Vorteil!
2. Fall:
Ein deutscher Mann missbraucht eine deutsche Minderjährige während eines Norwegenurlaubs. Nach etlichen Jahren traut sich das Opfer zur Polizei zu gehen. Diese schickt sie wieder weg mit der Aussage:" Dies ist eine Straftat im Ausland, dafür sind wir nicht zuständig" Nichts passiert. In der Zeitung: "Ein Mann wird wegen des Missbrauchs von Kindern in Thailand vor Gericht gestellt." In einem Buch zum Thema:"Auch Taten im Ausland können verfolgt werden."
Wie kann die Polizei so unterschiedlich handeln, gibt es keine eindeutigen Handlungsanweisungen? Liegt es am Ende am "Glück", bei welchen Beamten man die Anzeige stellt?
Mit freundlichen Grüßen
Oliver Reutter
Rehburg, 29.02.2008
Sehr geehrter Herr Reutter,
vielen Dank für Ihre Fragen vom 28. Februar 2008.
Der Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ist ein sehr ernstzunehmendes Thema. Meine Fraktion im Deutschen Bundestag (SPD) setzt sich seit langem für eine erfolgreiche Bekämpfung gerade dieses Deliktfeldes ein und hat zahlreiche Gesetzesreformen zu Gunsten des Opferschutzes durchgesetzt. Dazu zählen unter anderem der „Aktionsplan zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung“ aus dem Jahr 2003, der Ausbau der Sicherungsverwahrung, die Anpassung und Verschärfung der einschlägigen Straftatbestände sowie die Erweiterung des Anwendungsbereiches der DNA-Analyse und die Reform der Führungsaufsicht.
Es ist allerdings besonders schwerwiegend, wenn bei der Ermittlung bzw. Aufklärung solcher Taten, deren Dunkelziffer weit über der Zahl aufgedeckter Taten liegen dürfte, Fehler begangen werden. Indes kann ich die von Ihnen geschilderten Vorwürfe mangels genauerer Angaben nicht bewerten. Sicherlich haben die unterschiedlichen Polizeidienststellen, die übrigens den Ländern unterstellt sind, unterschiedliche Herangehensweisen bei der Kriminalitätsaufklärung. Welche jeweils gewählt wird, liegt aber nicht in der Hand der Politik, sondern beim Dienstherrn. Dieser muss die rechtsstaatlichen Grundsätze zwingend beachten. Sie gelten in einem Rechtsstaat wie der Bundesrepublik ohne Ausnahme – unabhängig davon, wie schwerwiegend oder grauenvoll das einzelne Verbrechen ist.
So befürworten Sie aber, Herr Reuther, im Hinblick auf eine – natürlich wünschenswerte – höhere Aufklärung der Taten auch ohne „Erlaubnis einer Hausdurchsuchung“ das Erscheinen der Polizei am Wohnort des Tatverdächtigen und eine „plötzliche und überraschende“ Befragung, da dann nach Ihrer Vermutung laut einer von Ihnen nicht mit Quellenbezug angegebenen Statistik sehr viel mehr Täter Kindesmissbrauch zugeben würden. Eine solche Vorgehensweise mag zwar im Ergebnis effizient sein, widerspricht aber elementaren rechtsstaatlichen Vorgaben. So sehen das Grundgesetz und die Strafprozessordnung aus guten Gründen vor, dass es in nahezu allen Fällen vor einer Wohnungsdurchsuchung eines unabhängigen richterlichen Untersuchungsbeschlusses bedarf. Auch muss ein Tatverdächtiger vor seiner Vernehmung über seine Rechte belehrt werden. Dies gebietet zudem die Europäische Menschenrechtskonvention.
Ich stimme mit Ihnen überein, dass die „Mühlen der Justiz“ oft langsam mahlen und schnellere Verfahrensabläufe zu fordern sind. Ein diesbezüglicher Mangel resultiert allerdings oftmals aus den knappen Personalbudgets der Länderhaushalte. Bei den derzeitigen Sparmaßnahmen vieler Bundesländer im Bereich der Justiz sind viele ausscheidende Fachleute nicht wieder ersetzt worden, diese Defizite werden nun erkennbar. Es ist allerdings dennoch keine „Glücksfrage“, bei welchem Beamten man die Anzeige stellt. Delikte wie sexueller Missbrauch werden in aller Regel von Spezialabteilungen der Polizei mit Nachdruck bearbeitet. Deren Fachkompetenz will ich nicht anzweifeln - im Gegenteil, nach meinem Eindruck hat hier die Professionalisierung in den letzten Jahren stark zugenommen.
Hinsichtlich Ihres zweiten geschilderten Falles möchte ich Ihnen mitteilen, dass die Aussage der fehlenden Zuständigkeit der Polizei bei Auslandstaten eines Deutschen schlichtweg falsch ist. Das Strafgesetzbuch (StGB) regelt in § 7, dass das deutsche Strafrecht gilt, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist und der Täter zur Zeit der Tat Deutscher war. Dies sollte jeder Polizeibeamte wissen, dieses Wissen ist zwingender Teil der Aus- bzw. Weiterbildung.
Die Polizei ist bei Kenntniserlangung über eine Straftat gesetzlich dazu verpflichtet, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Sollte Ihr Fall zutreffen, dass die Zuständigkeit verneint wurde, können Sie demnach im Beschwerdeverfahren gegen die Entscheidung vorgehen bzw. bei der Staatsanwaltschaft oder einer anderen Polizeidienststelle Strafanzeige stellen. Sollte sich der Fall so zugetragen haben wie von Ihnen geschildert, kann ich nur davon ausgehen, dass es sich um einen absoluten Einzelfall handelt.
Mit freundlichen Grüßen
Sebastian Edathy, MdB