Frage an Sebastian Edathy von Irmgard E. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Herr Edathy,
in Ihrer Antwort an Herrn Hirsch schreiben Sie u. a.:
"Es kann doch nicht ernsthaft als das Problem des Herkunftslandes betrachtet werden, wenn hier sozialisierte Personen kriminell werden. Wollen Sie, Herr Hirsch, Personen ohne jegliche Bindung an das Herkunftsland ihrer Eltern dorthin schicken, um damit Probleme, die hier entstanden sind, auszugliedern? Wohlgemerkt Personen, die keine schweren Straftaten begangen haben?"
Was veranlasst Sie zu der Meinung, dass die wirklich ernsthaften kriminellen Probleme der jugendlichen Migranten-Sprösslinge mit nachgewiesenem türkischem Hintergrund in Deutschland sozialisiert werden?
Ist es nicht eher der Einfluss der Ditib und der von der Türkei mit deutscher Duldung eingereisten Imame, der für die Sozialisierung/Nichtsozialisierung der türkischen Jugendlichen im Geiste der Türkei und des Islams verantwortlich ist?
Wer oder was kann uns dann davon abhalten, dass z. B. die Türkei ihre Zöglinge - mit allen von ihr gewollten Macken - zu versorgen bekommt?
Was hält den deutschen Staat davon ab, den Einfluss der Ditib zu unterbinden? Welche Europäische Vereinbarung gebietet die Einflussnahme eines anderen Staates in die inneren Angelegenheit eines Staates?
Bin gespannt auf eine aufklärende Antwort!
Mit freundlichen Grüßen
Irmgard Eder
Sehr geehrte Frau Eder,
vielen Dank für Ihre Frage vom 25. Januar 2008, in der Sie sich auf meine Antwort an Herrn Hirsch vom 23. Januar 2008 beziehen.
1) Pauschal von "ernsthaften kriminellen Probleme(n) der jugendlichen Migranten-Sprösslinge" zu schreiben, halte ich für nicht vertretbar. Im Übrigen werden nicht, wie Sie es schreiben, die Probleme, sondern natürlich die Menschen sozialisiert -- und das werden sie dort, wo ihr Lebensmittelpunkt ist. Wenn aber ein Mensch in der Bundesrepublik geboren wird und hier zur Schule geht, findet eben die Sozialisation hier statt und nirgendwo sonst -- und zwar völlig unabhängig von der Frage, ob dieser Mensch einen Migrationshintergrund aufweist oder nicht.
2) Die Mitgliederzahl der "Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion e.V" (DI.TI.B, Diyanet Iseri Türk Islam Birligi) wird auf bis zu 220.000 geschätzt. DI.TI.B gilt als anerkanntes Mitglied in der Gruppe von Anstalten und Einrichtungen mit religiöser und sozialer Zielsetzung in der Bundesrepublik Deutschland und vertritt ein Islamverständnis, das sich auf der türkischen Variante des Laizismus beruht.
Da DI.TI.B keine anti-westlichen oder verfassungsfeindlichen Bestrebungen verfolgt, gibt es auch keinerlei Gründe, gegen die Organisation vorzugehen. Das deutsche Vereinrecht sieht aus guten und historischen Gründen, gestützt durch das Grundgesetz, vor, dass ein Verein nur unter den engen Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Vereinsgesetz verboten werden darf. § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG lautet wie folgt: "Ein Verein darf erst dann als verboten (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes) behandelt werden, wenn durch Verfügung der Verbotsbehörde festgestellt ist, dass seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder dass er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet; in der Verfügung ist die Auflösung des Vereins anzuordnen (Verbot)."
3) Selbstverständlich gibt es keine europäische Vereinbarung, die die "Einflussnahme eines anderen Staates in die inneren Angelegenheiten eines Staates" gebietet. Die Staatsgewalt eines einzelnen Staates erfasst immer nur sein Staatsgebiet. Wenn eine in Deutschland tätige religiöse Organisation wie DITIB eine enge Anbindung an einen anderen Staat hat, so stellt dies noch längst keine Einflussnahme auf die Bundesrepublik Deutschland dar. Es gibt, wie Sie sicherlich wissen, das im Grundgesetz verankerte Grundrecht auf Religionsfreiheit (Art. 4 GG) -- dies aber gilt für alle Religionen, nicht nur für den christlichen Glauben.
Mit freundlichen Grüßen
Sebastian Edathy, MdB