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Frage von Christian G. •

Frage an Sebastian Edathy von Christian G. bezüglich Innere Sicherheit

Sehr geehrter Herr Edathy,

ich schreibe Sie an in Ihrer Funktion als Vorsitzender des Ausschusses Inneres im Bundestag.

Ich sehe einen großen Denkfehler in der aktuellen Diskussion zur Unschuldsvermutung. Meine simple Frage:

Wie kann im Zusammenhang mit Gefahrenabwehr überhaupt die Rede von Schuld sein? Bei einer eventuellen Tat, die noch nicht passiert ist, kann es weder einen Schuldigen noch einen Unschuldigen geben.

Von daher ist der Gedanke, bei der Gefahrenabwehr von einer Unschuldsvermutung abzusehen nicht nur völlig absurd, sondern auch eine Gefahr für die Trennung von Exekutive und Judikative, schließlich hieße dass, das Polizisten bei möglicher (!) Gefahr im Verzug jemanden schuldig sprechen müssen - tragischen "Unfällen" wie dem des Jean Charles de Menezes vor fast zwei Jahren wären hier Tür und Tor geöffnet.

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Gramsch,

vielen Dank für Ihre Fragen vom 20. April 2007, in denen Sie die Unschuldsvermutung im Rahmen der Gefahrenabwehr thematisieren.

Ich nehme an, dass Sie sich auf die jüngsten Äußerungen des Bundesinnenministers beziehen, der im „Stern“ sagte: "Die Unschuldsvermutung heißt im Kern, dass wir lieber zehn Schuldige nicht bestrafen als einen Unschuldigen zu bestrafen. Der Grundsatz kann nicht für die Gefahrenabwehr gelten. Wäre es richtig zu sagen: Lieber lasse ich zehn Anschläge passieren, als dass ich jemanden, der vielleicht keinen Anschlag begehen will, daran zu hindern versuche? Nach meiner Auffassung wäre das falsch".

Ich stimme mit Ihnen insoweit überein, als dass die verfassungsrechtlich im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz sowie einfachgesetzlich in Art. 6 Abs. 2 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verankerte Unschuldsvermutung nicht im Zuge der Terrorismusbekämpfung in Frage gestellt werden darf.

Zutreffend ist allerdings auch, dass im Gefahrenabwehrrecht – anders als im Strafverfahrensrecht - die Unschuldsvermutung im engeren Sinne grundsätzlich keine Anwendung findet. Das Gefahrenabwehrrecht folgt insoweit anderen Maßgaben als das Strafprozessrecht. Maßnahmen der Gefahrenabwehr sind unabhängig von einer „Schuld“ im juristischen Sinne, auch findet hier keine formalisierte Beweisaufnahme statt und es kommt nicht zu einem Schuldspruch.

Eingriffe im Zusammenhang mit Gefahrenabwehrmaßnahmen sind aber grundsätzlich nur möglich beim Vorliegen einer Gefahr im polizeirechtlichen Sinne und dürfen grundsätzlich auch nur gegen einen so genannten Störer angewendet werden. Liegt keine Gefahr vor, besteht aber ein Gefahrenverdacht, so sind aufgrund der bestehenden Zweifel aus Gründen der Verhältnismäßigkeit lediglich so genannte Gefahrerforschungseingriffe zulässig, also Maßnahmen, die nicht auf die Beseitigung des Gefahrenzustandes abzielen, sondern der Ermittlung des notwendigen Umfangs der endgültigen Gefahrenabwehrmaßnahme dienen.

Allerdings ist die Unschuldsvermutung ein zentrales rechtsstaatliches Element, das für die freiheitlich-demokratische Grundordnung konstitutiv ist. Zudem ist die Unschuldsvermutung Teil des Verhältnismäßigkeitsprinzips, das nicht exklusiv im Strafrecht gilt, sondern für jegliches (insbesondere freiheitseinschränkendes) staatliches Handelns gilt.

Insofern muss darauf geachtet werden, dass die Sicherheitsgesetze, die Teile des Gefahrenabwehrrechts sind, nicht schärfer werden als das Strafrecht, das besonders strengen Voraussetzungen unterliegt. Eben diese aber dürfen nicht durch das Abstellen auf das Gefahrenabwehrrecht umgangen werden.

Zu ihrem letzen Absatz möchte ich anführen, dass für die Gewaltenteilung in der Bundesrepublik, also unter anderem die Trennung von Exekutive und Judikative, aufgrund des verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzips selbstverständlich keine Gefahr besteht. Ein Schuldspruch kann immer nur durch ein Gericht erfolgen.

Insofern kann auch ihr Vergleich zum tragischen Vorfall des Herrn Jean Charles de Menezes nicht tragen. Polizisten in der Bundesrepublik sind, anders als damals in Großbritannien, nicht dazu angehalten, im Zweifel den potentiellen Terroristen zu töten (sog. shoot to kill policy). Nach dieser sind seit dem Jahr 2002 Sicherheitskräfte in Großbritannien angewiesen, möglichen Selbstmordattentätern direkt in den Kopf zu schießen, statt erst auf den Körper zu zielen. So soll verhindert werden, dass die Schüsse eine Bombe auslösen oder der Attentäter noch Zeit findet, einen möglichen Sprengsatz zu zünden. Eine solche generelle Anweisung wäre nicht mit hiesigen rechtsstaatlichen Grundsätzen zu vereinbaren und daher verfassungswidrig.

Ich hoffe, dass ich Ihre Fragen zu Ihrer Zufriedenheit beantwortet habe.

Mit freundlichen Grüßen

Sebastian Edathy, MdB